Ilja Jaschin wegen „Fälschungen“ über die russische Armee zu 8 Jahren und 6 Monaten Gefängnis verurteilt

Ilja Jaschin wegen „Fälschungen“ über die russische Armee zu 8 Jahren und 6 Monaten Gefängnis verurteilt

Das Moskauer Meschtschanski-Gericht hat den Oppositionspolitiker und ehemaligen Moskauer Stadtverordneten Ilja Jaschin zu achteinhalb Jahren Haft in einer Strafkolonie verurteilt. Er wurde für schuldig befunden, Fälschungen über die russischen Streitkräfte verbreitet zu haben (Artikel 207.3 des Strafgesetzbuchs).

Die Staatsanwaltschaft hatte neun Jahre Gefängnis für ihn gefordert. Zusätzlich wurde Jaschin nach Verbüßung seiner Strafe die Nutzung des Internets für 4 Jahre zu untersagt. Dies ist die bisher härteste Strafe nach Artikel 207.3

Das Strafverfahren gegen Ilja Jaschin, der ein enger Unterstützer von Alexej Nawalny ist, wurde eingeleitet, weil sich der Politiker im April in einem Stream auf YouTube über die Tötung von Zivilisten in Butscha in der Region Kiew geäußert hatte. In journalistischer Manier berichtete er über die Gräueltaten, legte die Versionen der Uno dar, der Ukraine, auch die des russischen Verteidigungsministeriums, das bis heute davon spricht, es seien Schauspieler gewesen, die entlang der Straßen von Butscha Tote gespielt hätten. Der Staatsanwaltschaft zufolge verbreitete Jaschin „wissentlich falsche Informationen“ mit „politischen Hassmotiven“, obwohl er wusste, dass Russland Maßnahmen „zur Aufrechterhaltung von Frieden und Sicherheit“ ergriff. Jaschin befindet sich seit Ende Juni in Untersuchungshaft. Er hat sich nicht schuldig bekannt.

Sogar der russische Präsident Wladimir Putin hat sich zur Verurteilung des ehemaligen Stadtverordneten Ilja Jaschin geäußert. Ein Korrespondent der russischen Zeitung Kommersant und der Präsident unterhielten sich auf einer Pressekonferenz nach dem Besuch von Wladimir Putin in Bischkek. Gefragt, ob er achteinhalb Jahre für ein paar Worte nicht für eine „brutale“ Strafe halte, stellte Putin auf stur: „Wer ist das?“ Danach erinnerte der gelernte Jurist an seine Grundausbildung an der Staatlichen Universität Leningrad und erklärte, er halte „eine Einmischung in die Tätigkeit der Gerichte für absolut inakzeptabel und die Entscheidung des Gerichts in Frage zu stellen für absolut unzulässig. Jeder Bürger habe das gesetzliche vorgeschriebene Recht, sich an eine höhere Instanz zu wenden. „Die Anwälte von Herrn Jaschin wissen sicher, was sie tun sollten“, so der russische Präsident.

Weitere öffentliche Reaktionen (15) hat das russische Internetportal Medusa, nach Auszeichnung mit dem Status eines „Inoagenten“ ausgezeichnet und im benachbarten Lettland arbeitend, veröffentlicht.

Erwartungsgemäß fand das harte Urteil auch in russischen Telegram-Kanälen keine Zustimmung. Der Journalist und Sozialwissenschaftler Pawel Prjannikow sammelte auf seinem Kanal Dolmetscher drei jüngste Beispiele für Strafen mit vergleichbarer Haftdauer:

Am 2. August verurteilte ein Gericht in Woronesch einen 25-Jährigen zu 8 Jahren strenger Haft, der einen Freund wegen einer Schuld von 10.000 Rubel brutal getötet hatte. Am 13. Mai schickte ein Gericht in Murmansk einen Mörder zu 8 Jahren in ein Zuchthaus. Ihm hatte die Art und Weise, wie der Mann Gitarre spielte, nicht gefallen, und am 6. Dezember wurde in Kursk ein Mann zu 8 Jahren Gefängnis verurteilt, weil er einen Freund mit einem Vorschlaghammer getötet hatte.

Alexander Gorbunow, als Blogger StalinGulag bekannt, fühlt sich „wie immer vom unmenschlichen russischen Justizsystem nicht enttäuscht“. Niemand hätte daran gezweifelt, dass Jaschin eine „echte Haftstrafe“ erhalten würde. „Das illegale Gesetz über Fälschungen sei nur ein Vorwand gewesen, nur ein Werkzeug, mit dem die russische Regierung gegen ihre Gegner vorgeht. … Jaschin führte viele Jahre lang seinen kompromisslosen Kampf mit dem Regime, er verließ das Land nicht, sondern blieb, um seine Unschuld zu verteidigen, und wurde ein politischer Gefangener.“

Russlands provozierendster Blogger, Alexander Newsorow, schreibt, Artikel 207.3 habe nichts mit dem Gesetz zu tun. „Er wurde nur erfunden, damit das Regime all seine Verbrechen, seine Gemeinheiten und Lügen leicht verbergen kann. … Jaschin ist ohne Zweifel ein mutiger Mann, dem das russische Volk viel zu verdanken hat.“ Newsorow ist sich aber nicht sicher, „ob die Zahl der Tapferen ausreicht, um den guten Ruf des ganzen Volkes wiederherzustellen.“ Es sei allerdings „offensichtlich, dass er nicht lange sitzen wird. Bald ist alles vorbei.“

Nachdem die Richterin ihr Urteil verkündet hatte, veröffentlichte Jaschins Telegram-Kanal einen Beitrag. Hier der von Medusa vollständig zitierte Text von Jaschins Kommentar zu seinem Prozess: Das Gericht hat mich also zu acht Jahren und sechs Monaten in einer Kolonie verurteilt. Es zeigt, dass diejenigen, die dieses Urteil ausgesprochen haben, zu optimistisch in Bezug auf Putins Aussichten sind. Meiner Meinung nach viel zu optimistisch.

Aber wir haben keinen Grund zur Traurigkeit – denn, Freunde, wir haben diesen Prozess gewonnen. Es war als Schauprozess gegen einen (von mir verkörperten) „Volksfeind“ konzipiert, wurde aber stattdessen zu einem Antikriegs-Megaphon. Wir haben die Wahrheit über Kriegsverbrechen gesagt und ein Ende des Blutvergießens gefordert. Als Antwort hörten wir nur eine Mischung aus Slogans aus der Zeit des Kalten Krieges, die der stammelnde Staatsanwalt rezitierte.

Die zitternden Hände des Staatsanwalts sind ein anschauliches Symbol dieses Prozesses. Er bemühte sich sehr, imposant zu klingen, indem er einen Staatsanwalt aus der Stalin-Ära imitierte, aber er sah aus wie eine Karikatur und sorgte immer wieder für Gelächter im Raum.

Mit diesem hysterischen Satz versucht das Regime, uns alle einzuschüchtern, während es stattdessen seine eigene Schwäche offenbart. Starke Anführer sind ruhig und selbstbewusst, und nur Schwächlinge versuchen, alle um sich herum zu knebeln und jegliches Freidenken auszurotten. So bleibt mir heute nur noch zu sagen, was ich am Tag meiner Verhaftung gesagt habe: Ich habe keine Angst – und ich sage auch Ihnen: Haben Sie keine Angst.

Der Wandel ist nicht weit entfernt, und bald müssen wir viel tun, um Gerechtigkeit und Humanismus in unserem Land wiederherzustellen.“

Eine Petition zur Unterstützung von Ilja Jaschin, wurde bereits von mehr als 67.000 Menschen unterzeichnet: „Das Gesetz, nach dem er vor Gericht gestellt wird, ist offensichtlich verfassungswidrig – es widerspricht direkt den Garantien der Meinungs- und Gedankenfreiheit und der Suche nach Informationen, die die russische Verfassung vorsieht.“

Für internationale UN-Beobachter ist eine nachgewiesene Tatsache, dass das russische Militär in Butscha und anderen ukrainischen Städten Zivilisten ohne Gerichtsverfahren getötet und hinrichtet habe. Im jüngsten Bericht der UN-Mission zur Beobachtung der Menschenrechte in der Ukraine sind Beispiele für solche Kriegsverbrechen angeführt.

Artikel 207.3 des Strafgesetzbuchs („Öffentliche Verbreitung wissentlich falscher Informationen über den Einsatz der Streitkräfte der Russischen Föderation und die Ausübung ihrer Befugnisse durch staatliche Organe der Russischen Föderation“) sieht Geldstrafen von bis zu 5 Millionen Rubel und Freiheitsstrafen von bis zu 15 Jahren vor. Mitte November schlug Wladimir Putin außerdem vor, dass Personen, die wegen „Diskreditierung“ und „gefälschter Geschichten“ über die russische Armee verurteilt wurden, die russische Staatsbürgerschaft entzogen werden solle.

Das jüngste viel beachtete Urteil im Fall militärischer „Fälschungen“ erging gegen den Moskauer Stadtverordneten Alexej Gorinow, der für sieben Jahre in eine Kolonie geschickt wurde. Bis vor kurzem war dies die strengste Strafe nach Artikel 207.3 des russischen Strafgesetzbuches.

Die russische Politologin Tatjana Stanowaja erklärte, mit der Härte der Strafe überschreite die russische Führung die Grenze von einer Machtdemonstration hin zu „inadäquater Brutalität gegenüber einem schon sehr schwachen Gegner“. Die Härte habe sogar einige Kriegsbefürworter schockiert, meinte sie.

[hrsg/russland.NEWS]

COMMENTS