Vor wenigen Tagen erschien in der Schweizer Weltwoche ein Interview mit dem 91jährigen ehemaligen US-Sicherheitsbeauftragten und Außenminister Henry Kissinger, in dem er mit Bezug auf sein letztes Buch »World Order« zum weltpolitischen Geschehen und zur augenscheinlich aus den Fugen geratenen Weltordnung spricht.
Einen wesentlichen Teil des Interviews nahmen zwangsläufig die Ereignisse in und um die Ukraine ein, die am deutlichsten zeigen, wie unverhofft und wie stark die Weltordnung aus den Fugen geraten ist. Als einer der erfahrensten »Elder Statesmen« scheut er sich auch nicht, wider den Zeitgeist zu sprechen und das politische Geschehen zu kritisieren.
So kommt es, dass er die politische Entwicklung zur ukrainischen Krise hin und die aktuellen Ereignisse so gar nicht wie die handelnden Politiker und schon gar nicht dem medialen Mainstream gemäß sieht und dies auch ausspricht.
Die Anfänge der Ukraine-Krise betrachtend, weist er darauf hin, dass die Europäer glaubten, sie könnten im Rahmen der Verhandlungen zum Assoziationsabkommen ukrainische Innenpolitik machen, indem sie die Freilassung von Julia Timoschenko forderten. Außerdem seien die finanziellen Bedingungen für den Beitritt derartig hart gewesen, dass die Ukrainer sie ablehnten, was die Russen als ihre Chance sahen und sich als Geldgeber anboten. Darauf gerieten wiederum die Europäer in Panik, worauf die Russen Dreierverhandlungen vorschlugen, was dann die Europäer ablehnten. Die große Sünde der Staatenlenker sei es gewesen, dass keiner erkannte und sagte:
„«Moment mal, hier geht es ums Eingemachte, um die Zukunft Russlands, der Ukraine, Europas und Amerikas. Wohin treiben wir?» Insbesondere wir, die Amerikaner, haben in dieser Phase gar nichts getan; wir hatten nicht einmal einen Botschafter in Moskau.“
Darüber hinaus sei es vom Westen auch nicht psychologisch geschickt gewesen, dass viele Staatsmänner die olympischen Spiele boykottierten, was die Russen als Beleidigung empfanden. Mögliche konfliktlösende Gespräche seien versäumt worden.
Auf die Frage, wie der Westen in der Ukrainekrise seiner Meinung nach handeln solle, oder was er besser getan hätte, kam die überraschende Antwort:
„Ich halte die ukrainische Krise für eine Tragödie. Schritt für Schritt haben vernünftige Leute annehmbare Ziele angesteuert, doch dabei eine gefährliche Situation geschaffen, die von historischem Ausmaß sein könnte. Meiner Meinung nach war das völlig unnötig.“
Putin habe 10 Jahre seines Lebens und 50 Milliarden Euro für sein großes Olympia-Projekt ausgegeben, es sei einfach unlogisch, dass er mitten in seinem Erfolg die Ukrainekrise anzettelt und sich selbst diesen Erfolg kaputt macht, meinte Kissinger auf die Frage nach dem Auslöser der Krise.
Der Westen habe den Maidan-Aufstand als eine innerukrainische Angelegenheit gesehen, in der „gute“ Demokraten gegen ein „Regime“ kämpften – wobei allerdings dieses „Regime“ mit einer Mehrheit gewählt worden war – und heizten die Situation zusätzlich an, indem hohe Repräsentanten auf dem Maidan erschienen.
Russland hingegen habe schon immer nostalgische Gefühle gegenüber der Ukraine gehabt und auf ein „heim nach Russland“-Holen gehofft und musste plötzlich erkennen, dass mitten während der Sotschi-Feierlichkeiten diese Ukraine aufgrund innenpolitischer Kämpfe ins westliche Lager abrutscht.
Auf Frage die zu seiner Haltung zur Krim meinte er:
„Ich rechtfertige die Besetzung der Krim nicht. Aber darum geht es nicht. Der Punkt ist, dass der Westen bis heute nicht verstanden hat, dass selbst diese Krise dazu hätte benutzt werden sollen, Russland in der Gemeinschaft zu halten und nicht in die Isolation zu treiben. Aber mit dieser Ansicht stehe ich fast allein da.“
Da Kissinger schon immer persönliche Gespräche zwischen den Politiker favorisiert hat, wurde er auch nach seiner Meinung zu Kanzlerin Merkel und Außenminister Steinmeier gefragt und auf die Frage ob er glaube die Kanzlerin gehe zu hart mit Präsident Putin um, meinte er:
„Ich weiß nicht genau, aber ich denke, nötig ist eine konzeptionelle Diskussion mit Putin: Wo wollen wir hin? Deutschland wäre nicht stark genug, um das ohne die USA zu machen. Merkel ist nicht in der Position, Putin die konzeptionelle Debatte anzubieten, die er sich wünscht. Auch hier wird Amerika gebraucht. Berlin und Moskau sind in der Zwickmühle. Es tut mir leid, dass Merkel in ihrer Enttäuschung so streng reagiert. Gleichwohl bin ich ein ehrlicher Bewunderer der Bundeskanzlerin.“
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