Vor genau einem Jahr begann Putin den Einmarsch in die Ukraine. Es ist ein langes Jahr gewesen. Von Deutschland aus ist es schwer zu verstehen, was die russische Bevölkerung über diesen Krieg denkt, wie sie ihn erlebt, wie sie seine Erklärung vom 24. Februar 2022 empfunden hat? Manchmal hat man den Eindruck, dass 140 Millionen Russen diesen Krieg mit großem Enthusiasmus unterstützen und eine Welle der Begeisterung erlebten, als die sogenannte militärische Sonderoperation erklärt wurde.
Die Website Echo (der Internetnachfolger des verbotenen oppositionellen Radiosenders Echo Moswky) veröffentlichte Geschichten von Hörern des Senders darüber, wie sie den 24. Februar 2022 erlebt und was sie gefühlt haben.
„Vor einem Jahr hörte ich am frühen Morgen von Freunden, dass etwas Schreckliches passiert war. Damals dachte ich, dass es sich um einen Irrtum handelt und dass jetzt jeder alles begreifen und diesen Wahnsinn beenden wird. Ich konnte mir nicht einmal vorstellen, dass es ein Jahr dauern würde.“
Tatjana, Moskau
„Ich fuhr mit dem Auto zum Fitness und hörte unterwegs wie immer die Morgensendung von Echo Moswky. Ich erinnere mich daran, dass die Moderatoren einfach nicht begreifen konnten, was los war. Meine Tränen flossen in Strömen. Ich stand einfach auf dem Parkplatz vor dem Fitnessstudio und weinte.“
Eugene
„Mein Mann weckte mich am Morgen des 24. mit den Worten „Maschenka, es hat begonnen“. Er hatte nicht geschlafen und die ganze Nacht die Nachrichten gelesen. Als ich nach dem ersten Schock aufwachte, überlegte ich, ob ich meinen Sohn anrufen sollte, damit er nicht an die Universität geht, denn ich hatte Angst, dass die Studenten direkt vom Unterricht abgezogen werden.
Abends gingen wir zu einer Kundgebung, wir gingen ein paar Tage lang, aber es kamen immer weniger Leute. Jetzt sind meine Söhne nicht mehr in Russland, mein Mann und ich haben auch bereits die Koffer gepackt.“
Maria
Der 24. Februar 2022 war der schlimmste Tag in meinem Leben! Das dachte ich damals. Meine Schwestern aus der Ukraine riefen mich weinend und schreiend an. Sie gaben mir für alles die Schuld. Meine Tante war aus der Kommunikation verschwunden (sie lebt auch dort). Weinen, Hysterie, Panik …“
Elena
„Am 24. Februar begleitete ich meine Tochter in die Schule und erfuhr vom Krieg. Ich schrieb ihr nicht, , um sie in der Schule nicht nervös zu machen. Ich rannte los, um Medikamente für ihre Diabetes zu kaufen, als mir klar wurde, dass die Welt zusammengebrochen war. Und es gab nur ein Wort, das in meinem Kopf herumspukte: Ungeheuerlich! Mit diesem Wort lebte ich das ganze Jahr. Ich fuhr im Auto und mir wurde klar, dass ich vor Wut platzen würde, wenn ich jetzt nicht schreien würde. Ich fuhr und schrie wie eine Verrückte. Das war das erste Mal in meinem Leben. Meinen Kindern wurde die Zukunft weggenommen. Damals wurde es mir absolut offensichtlich“.
Auch prominente Russen haben sich sich auf der Internetseite von Echofm zum Thema Jahrestag des Kriegesgeäußert:
„Ich finde keine Worte für die Ukraine. Vergebt uns“ zu sagen ist völlig hohl. Wie kann man den Mord an einer Mutter, den Tod von Kindern verzeihen? Aber ich bin sicher, viele von uns fühlen sich verantwortlich …“
Dmitri Gudkow, Politiker
„Es war ein Jahr, in dem wir alle auf die Probe gestellt wurden, ein Jahr, in dem unsere Menschlichkeit, unser Wille, unsere Geduld, unsere Fähigkeit, unter unmenschlichen Umständen menschlich zu bleiben, auf die Probe gestellt wurde …“
Lew Schlosberg Politiker, Historiker, Journalist
„Warum begann Russland den Krieg? Diese Frage wird nie jemand beantworten. Selbst Putin nennt jedes Mal ein neues Ziel. Und es ist immer eine Lüge …“
Alexander Rodnjanskij Filmproduzent
„Natürlich gewöhne ich mich an das neue Leben, an die neuen Umstände, an das neue Zuhause. Ich gieße die Blumen, ich habe nicht mehr genug Platz für Bücher … Aber ich will mich nicht daran gewöhnen, dass Krieg ist und Menschen sterben …“
Tamara Eidelmann, Historikerin
„Russland steht als Staat am Rande des Zusammenbruchs. Das Riesenreich blieb geistig ein Lehen moskowitischer Fürsten, die es gewohnt sind, mit Gewalt, Angst und Gehorsam zu regieren …“
Andrej Loschak, Journalist, Dokumentarfilmer
„Ein Krieg, der Zehntausende Leben, Pläne und Hoffnungen getötet und zerstört hat. Ein Krieg, der niemanden glücklich gemacht hat …“
Katerina Gordejewa, Journalistin
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