Von Ullrich Umann Moskau (gtai) – Deutsche Architekten gehören zu den Vorreitern beim „grünen“ Bauen in Russland. In der aktuellen Krise spielen Energieeffizienz und Nachhaltigkeit bei Bauherren eine untergeordnete Rolle. Niedrige Preise haben Vorrang. Oft scheitert die Umsetzung an der Finanzierung oder den Ämtern, weil veraltete oder nationale Normen den Einsatz von Energiespartechnik nicht vorsehen. Initiativen arbeiten daran, internationale Erfahrungen in nationale Normen einfließen zu lassen.
Grünes Bauen spielt in Russland eine nachgeordnete Rolle. Im internationalen Vergleich besteht Aufholbedarf auf diesem Gebiet. Die Anforderungen an ökologische und nachhaltige Aspekte in der Projektierung und Bauausführung sind – unter anderem durch die Regierungsverordnung Nr. 18 vom 25.1.2010 – zwar recht hoch. Seit 2013 muss auch auf die Verwendung nicht vollständig verbrauchter Energie und die Einbeziehung erneuerbarer Energiequellen bei der Planung und beim Betreiben von Gebäuden geachtet werden.
Grüne Vorschriften werden gern übersehen
Der Russian Green Building Council (RuGBC) schätzt jedoch, dass viele dieser Forderungen das Papier nicht wert sind, auf dem sie stehen. Der 2009 gegründete RuGBC geht in seiner Kritik sogar noch weiter. So sei die Bauwirtschaft in Russland weniger energieeffizient, weniger wettbewerbsfähig und weniger zuträglich für Gesundheit und Umweltschutz als in den entwickelten Industrieländern. Als Gründe dafür werden der Überfluss an Bodenschätzen und Energieträgern bei einer gleichzeitig chronischen Nichtbeachtung der eigenen Baunormen und einem durchschnittlich niedrigen Kenntnisstand potenzieller Anwender über relevante Energiesparmöglichkeiten gesehen.
Billiges Bauen hat in Rezessionszeiten Vorrang
Hinzu kommt, dass in der aktuellen Rezession möglichst billig gebaut werden soll und muss: Das gilt insbesondere für Wohnraum, damit trotz Budgetengpass sozialer Druck abgebaut werden kann. Dieses Gebot gilt insbesondere in den Regionen außerhalb Moskaus, in denen die Haushaltslage als kritisch bis äußerst kritisch einzustufen ist. Wenn überhaupt, so können sich energieeffiziente Technologien am Bau fast nur solvente private Investoren leisten.
Doch vermögende Privatinvestoren mit einem Faible fürs grüne Bauen sind rar oder derzeit nicht gewillt, sich auf mittel- bis langfristige Projekte einzulassen. Wegen der unsicheren Zukunftsaussichten wird abgewartet und Liquidität auf den Bankkonten – wenn möglich im Ausland – gehortet.
Die öffentliche Hand kommt lediglich bei der Durchführung prestigeträchtiger und besonders repräsentativer Projekte als Auftraggeber für grünes Bauen in Frage. Hierzu gehört die bautechnische Vorbereitung der Fußball-WM 2018. Die Stadien an allen Austragungsorten werden den FIFA-Auflagen in Bezug auf minimale Umweltauswirkung und größtmögliche Nachhaltigkeit entsprechen.
Fußball-WM könnte Trend einleiten
Gleichzeitig laufen Vorbereitungen, um nationale grüne Standards für Sportanlagen auszuarbeiten und einzuführen. Daran beteiligt ist das Ministerium für Naturressourcen und Umwelt. Fachleute hoffen, dass die Vorbereitungen für die Fußball-WM 2018 langfristig nachwirken und zu einem Trend führen. Belastbare Fakten dafür lassen sich – über den Bau der Fußball-Stadien hinaus – aber noch nicht finden. Skepsis bleibt geboten.
Um grünes Bauen zu fördern, stellt sich der RuGBC als Plattform für interessierte Firmen und Personen zur Verfügung. Neben der Lobbyarbeit in Industrie und Politik arbeitet die Organisation an der Ausarbeitung und Durchsetzung von nationalen Standards, die unter anderem auf den Empfehlungen des U.S. Green Building Council (LEED) und des BRE Building Research Establishment (BREEAM) basieren.
Internationale Zertifikate freiwillig anwendbar
Grüne Gebäude können in Russland nach allen gängigen internationalen Standards auf freiwilliger Basis zertifiziert werden. Unter den etwa 240 Mitgliedern des RuGBC befinden sich Architekten, Projektanten, Juristen, Wissenschaftler, Studenten und Ingenieure, aber auch Hersteller von Baumaterialien, Baufirmen und Immobilienentwickler. Ausgewiesen werden Energiespareffekte unter anderem in russischen Dokumentationen, etwa im sogenannten Energiepass, den örtliche Kontrollinstanzen ausstellen. De facto ist der Weg für grünes Bauen dadurch geebnet.
Erste Beispiele für grüne Gebäude sind vorhanden: das Einkaufszentrum „Belaya Dacha“ vor den Toren Moskaus (BREEAM), das Kugellagerwerk SKF in Twer (LEED) als erste zertifizierte Fabrik in Russland, das Bürogebäude Dukat Place III in Moskau (BREEAM), das Bürogebäude am Obwodny Kanal in Sankt Petersburg (LEED) und das Bürogebäude „Barwicha“ im Moskauer Gebiet (DGNB, LEED und BREEAM).
Initiativen setzen sich für grünes Bauen ein
Neben dem RuGBC hat sich auf Initiative der Union der Architekten im Jahr 2011 eine zweite Organisation, Russian Sustainable Architecture and Building Council (RSABC), gegründet. Dieser kann sich der Unterstützung des Parlaments, der Akademie für Architektur- und Bauwissenschaften und einiger Hochschulen sicher sein.
Der RSABC ist nach eigenen Angaben eine Kooperation mit dem World Green Building Council eingegangen und führt Veranstaltungen mit der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DNGB) durch. Ziel ist die weitere Ausarbeitung und Einführung nationaler Umweltnormen im Bauen, analog zu DGNB, LEED und BREAM. Bei der engeren Auswahl der Vorbilder scheint RSABC zum DNGB-Katalog zu tendieren.
Im Juni 2015 trat der Vorstandsvorsitzende der RSABC, Alexander Remizov, auf dem Rubin Innovationsforum in Berlin-Adlershof auf. Die Schwerpunkte des Forums lagen auf autonomen Energieversorgungsmodellen, Energieeffizienz in Gebäuden, optimierter Stromversorgung, energietechnischer Nutzung von Abfällen und innovativen Lösungen zur Abwasserreinigung.
Umweltaspekte können bei Vermarktung ein Plus darstellen
Zur Auftragsakquise im Bereich grünes Bauen können spezialisierte Architekten und Projektentwickler ihre potenziellen russischen Auftraggeber immer noch am ehesten von den ökologischen Aspekten überzeugen, wenn nach Bauvollendung die Betriebskosten geringer sind als bei herkömmlichen Gebäuden. Ein gewichtiges Argument ist auch die Wertsteigerung der Immobilie, wenn diese mit einem grünen Zertifikat ausgestattet ist.
Insbesondere bei steigendem Leerstand auf dem Immobilienmarkt in Krisenzeiten erweisen sich Umweltaspekte als Wettbewerbsvorteil. Private und gewerbliche Mieter oder Immobilienkäufer sind dann eher bereit, sich für dieses Objekt zu interessieren.
Energieanbieter von grünem Bauen wenig angetan
Eine Genehmigung des Vorhabens durch die Ämter in allen Teilaspekten zu erhalten, wird aber schwieriger für Architekten und Projektentwickler, wenn sie einen grünen Ansatz realisieren möchten. Hier können verschiedene Aspekte das Vorhaben ausbremsen, wie die Praxis gezeigt hat. Dazu gehören entgegengesetzte Interessen der Energieanbieter, die natürliche Monopole darstellen und daher über wirtschaftlichen und politischen Einfluss verfügen, administrative und technische Barrieren, konservative und veraltete Normen, die den Einsatz von Energiespartechnik einfach nicht vorsehen oder mit ausländischen „grünen“ Normen und Standards nicht kompatibel sind.
Zudem tragen sämtliche Nationalnormen und -standards für grünes Bauen (SNIP und GOST) lediglich fakultativen Charakter, sind somit nicht zwingend anzuwenden. Darunter befinden sich entsprechende Zertifizierungen, die von der Union der Architekten zusammen mit dem Rat für grünes Bauen (HP SPZS) speziell für Russland ausgearbeitet wurden.
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