Die erste registrierte Impfung gegen Covid-19 in der Welt, kostenlose Verfügbarkeit des Impfstoffes nicht nur in Arztpraxen, sondern auch in mobilen Impfzentren, Einkaufszentren und sogar Theatern, materielle Anreize für diejenigen, die sich impfen lassen – und trotzdem sind weniger als 30 Prozent der erwachsenen Bevölkerung in Russland geimpft worden. Der Trend bei den Erkrankungen und Todesfällen durch Covid ist entmutigend. In den vergangenen 24 Stunden wurden in Russland 28.717 neue Fälle gemeldet. 984 Menschen sind gestorben.
Die Frage, warum sich die Russen nur ungern impfen lassen, hat sogar Wissenschaftler zum Nachdenken gebracht. Darauf gibt es keine eindeutige Antwort. Einer der Hinweise auf die niedrige Impfquote stammt von Professor Wiktor Dementjew, Doktor der Wirtschaftswissenschaften und korrespondierendes Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften. In seinem Artikel „Schwarze Schwane und soziale Institutionen“, der in der wissenschaftlichen Zeitschrift Ökonomische und soziale Veränderungen: Fakten, Tendenzen und Prognosen“ veröffentlicht wurde, schreibt er, dass das „zwischenmenschliche Vertrauen“ in Russland sehr gering ist. In Ländern mit geringem Vertrauen neigt die Bevölkerung dazu, staatlichen Anordnungen skeptisch gegenüberzustehen. Und das wirkt sich letztlich nicht nur auf die Pandemiesituation aus, sondern auch auf die Wirksamkeit der Konjunkturmaßnahmen. Wenn das Vertrauen gering ist, werden die Haushalte ihre Ausgaben einschränken und die Unternehmen werden nicht investieren.
Laut Dementjew, der sich auf verschiedene Studien stützt, sind Länder, in denen die Menschen der Regierung vertrauen, die ersten, die den Rückgang des BIP-Wachstums abmildern. „Der Rückgang des BIP in einer Reihe von Ländern fand vor dem Hintergrund eines relativ hohen Niveaus an Information und persönlicher Freiheit statt, dessen Kehrseite ein geringeres Vertrauen in die Regierung bei einer Pandemie ist. Die Regressionsanalyse bestätigt, dass fast die Hälfte der Unterschiede zwischen den Ländern bei der BIP-Dynamik im Jahr 2020 negativ mit zwei Dingen zusammenhängt: der Coronavirus-Mortalität und der Informationsfreiheit. Angesichts des Misstrauens gegenüber der Regierung ist es schwierig zu erwarten, dass die Maßnahmen der Regierung zur Anpassung an die Notlage wirksam sind“.
Andererseits „reagierten Gesellschaften mit höherem zwischenmenschlichen Vertrauen, Vertrauen in die Regierung und allgemeinem Maß an Freiheit langsamer auf die Pandemie. Wo das Vertrauen groß ist, braucht die Regierung vielleicht nicht mit restriktiven Maßnahmen einzugreifen, sondern kann sich auf die Menschen verlassen“. Dort, wo die Menschen einander mehr vertrauen, wird die soziale Distanzierung viel besser durchgesetzt.
[hrsg/russland.NEWS]
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