Gegen die Verteufelung der russischen Kultur: „Auch Nazis lasen Goethe und hörten Mozart“© russland.news

Gegen die Verteufelung der russischen Kultur: „Auch Nazis lasen Goethe und hörten Mozart“

Der niederländische Historiker Ian Buruma hat einen lesenswerten Artikel geschrieben, den es nachzuerzählen lohnt. Unter dem Titel „Schluss mit der Schuldzuweisung an die russische Seele“ warnt er all die, die den Ukraine-….. nicht nur als einen Konflikt mit dem Regime des russischen Präsidenten Wladimir Putin, sondern auch mit der russischen Kultur betrachten.

Alle Russen als existenzielle Feinde zu behandeln, sei „ein großes Geschenk für den Kreml. Es stärkt den Verfolgungskomplex, den Putin braucht, um das russische Volk auf seiner Seite zu halten, so der Professor für Menschenrechte und Journalismus. „Die Fetischisierung der russischen Kultur als grausame Wurzel von Putins Aggression und dem brutalen ….. in der Ukraine ist ebenso gefährlich wie falsch.“

Selbst ein flüchtiger Blick in die Weltgeschichte zeige, dass „grausames Verhalten und mörderische Regime überall entstehen können“, erinnert Buruma. „Hochzivilisierte Menschen können sich in Barbaren verwandeln, wenn Demagogen und Diktatoren ihre Ängste ausnutzen und ihre atavistischsten Instinkte wecken.“

Putin kanalisiere diese paranoiden Tendenzen. Er möchte, dass alle Russen das Gefühl haben, der „arrogante, dekadente, verdorbene Westen wolle sie beherrschen und ihren stolzen Geist brechen“. Er stärke den Verfolgungskomplex, der zwar leicht zu wecken ist, aber nicht nur in Russland anzutreffen ist. Dennoch warnt Buruma, dass„die Absage von Aufführungen russischer Komponisten, der Ausschluss russischer Künstler und Tennisspieler oder die Hetze gegen russische Literatur  dem Kreml-Diktator in die Hände spielt“ .

Keine Kultur, schon gar nicht die russische, sei monolithisch, und nicht wenige Kulturen sind durch unterschiedliche lange Phasen der „politischen Unterdrückung“ geprägt.

Die Russen hätten in dieser Hinsicht kein Glück gehabt, urteilt der ehemalige Herausgeber der New York Review of Books. Unter Mitwirkung der russisch-orthodoxen Kirche sei von den Zaren bis zu Präsident Wladimir Putin die Unterdrückung in Russland fast chronisch ausgefallen – mit Ausnahme einiger Monate zwischen Februar und November 1917.

Aber zu behaupten, dass diese Missbräuche der Macht „ein natürliches und unvermeidliches Ergebnis der russischen Kultur sind“, führe in dieselbe Falle, in die Theoretiker der Nachkriegszeit in Deutschland und Japan getappt sind.

Früher sei es üblich gewesen, das Dritte Reich als eine Krankheit der deutschen Seele zu interpretieren: „Von Luther zu Hitler“ lautete die These, die implizierte, dass Luthers Antisemitismus die Saat für den Nationalsozialismus rund 350 Jahre vor Hitlers Geburt gelegt hatte. „Aber nur wenige Menschen haben heute noch eine so krude Sicht auf die deutsche Geschichte.“

Viele hätten ähnliche Ideen in den 1940er Jahren mit noch größerer Überzeugung auf Japan angewandt. Da es in Japan weder einen Diktator wie Hitler noch eine den Nazis ähnliche Partei gab, machten Kritiker die Kultur des Landes für den Militarismus des zwanzigsten Jahrhunderts verantwortlich. Es sei der ‚Geist der Samurai‘ und der ‚Feudalismus‘ gewesen.

„Diese Art der Kulturanalysen haben einen ziemlich altmodischen Klang. Sowohl in Deutschland als auch in Japan gibt es immer noch rechtsextreme Gruppen, die in Kampfmontur herumstolzieren, aber das gilt auch für die meisten westlichen Demokratien. Ansonsten ist es schwierig, im heutigen Japan eine Spur des Samurai-Geistes oder im heutigen Deutschland eine Spur von Rassenbarbarei zu finden. Im Gegenteil, beide Länder sind bemerkenswert friedlich.

Wir müssen vermeiden, diesen Fehler erneut zu begehen. Stattdessen sollten wir die Meisterwerke der russischen Kunst, Musik, des Tanzes und der Literatur würdigen und unsere Verurteilung denen wie Putin und seinem inneren Kreis vorbehalten, die der russischen Kultur zu einem derart schlechten Ruf verholfen haben. Der Kultur, die diese Meisterwerke hervorgebracht hat.“

Buruma wurde durch einen Artikel im Times Literary Supplement inspiriert, in der die ukrainische Schriftstellerin, Essayistin und Dichterin Oksana Zabuzhko westlichen Lesern vorwarf, sie würden die „Barbarei Russlands nicht erkennen“ und hätten nicht tief genug in die „wilde russische Seele“ geblickt. Eine Seele, in der die Dichterin „eine Explosion des reinen, destillierten Bösen und des lange unterdrückten Hasses und Neids“ gesehen haben will.

Buruma bleibt aber optimistisch, denn zum Glück, „so sehr ihm die Vorstellung auch schmeicheln mag, Putin repräsentiert nicht die russische Kultur“.

[hrsg/russland.NEWS]

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