„Gegen alle“: Sobtschak tritt zur Präsidentenwahl an

[von Lothar Deeg] Die russischen Präsidentenwahlen im März 2018 könnten doch schwungvoller verlaufen als bisher zu erwarten: Die junge, prominente Fernsehjournalistin Ksenia Sobtschak will sich zur Wahl stellen – und alle, die Russlands verkrustetes politisches System satt haben, hinter sich vereinen.

Am Mittwoch ließ Sobtschak die Katze – die sozusagen schon länger über die Dächer gestrichen war – endlich aus dem Sack: Ja, sie wird kandidieren. Dies machte sie in Form einer verbal kämpferischen, aber dabei ganz gemütlich in der eigenen Retrostil-Wohnküche aufgezeichneten Videobotschaft.

Die Kernaussage: Sie habe es leid, dass faktisch seit ihrer Kindheit immer die gleichen Gesichter bei russischen Präsidentenwahlen kandidieren: Der Kommunisten-Chef Gennadi Sjuganow, der patriotische Polterer Wladimir Schirinowski, der Alt-Liberale Grigori Jawlinski und natürlich Putin – nur gelegentlich ausgetauscht durch „deren Doppelgänger oder Stellvertreter“. Sie befürchte, dass wenn ihr Sohn – der jetzt ein Jahr alt ist – volljährig werde, immer noch die gleichen Kandidaten auf den Wahlzetteln stünden, so Sobtschak.

Der Protestwahl ein Gesicht geben

Wer dieses einvernehmliche Rollenspiel im Demokratie-Theater satt habe, der hätte bis vor einigen Jahren noch sein Kreuzchen bei „Gegen alle Kandidaten“ machen können. Doch diese Möglichkeit wurde gestrichen. Deshalb wolle sie als „Gegen-alle-Kandidatin“ antreten. Nicht um Russlands Präsidentin zu werden (diese Perspektive sei sowieso nicht real), sondern damit Kritiker, Oppositionelle und Politverdrossene nicht mehr länger mit desinteressierten Nichtwählern in einen Topf geworfen werden können und so der Staatsmacht demonstrieren, wie hoch der Anteil der Nichteinverstandenen nun ist.

Die Möglichkeit einer Kandidatur Sobtschaks wurde schon seit Anfang September in den russischen Medien erörtert. Allerdings mit einem diffusen Quellenhinweis auf den Kreml, da man dort fieberhaft für den Wahlgang im März 2018 nach „Sparringpartnern“ für Putin suchen würde – am besten einer Frau. Sobtschak, die Anfang November 36 Jahre alt wird und damit just die von der Verfassung gesetzte Altersgrenze für eine Kandidatur erreicht – wurde dabei bereits von den Informanten als „beste Variante“ genannt. Sie selber dementierte damals, machte sich über derartige Spekulationen lustig – und erklärte, sie hätte wahrlich anderes zu tun.

Putins Patentochter schießt quer

Aber nun also doch. Obwohl Sobtschaks Kandidatur-Erklärung nun schon nicht mehr besonders überraschend kam, hat sie doch die politische Öffentlichkeit mächtig aufgescheucht. Denn die leibhaftige Patentochter von Wladimir Putin – der in den 1990er Jahren Stellvertreter von Ksenia Sobtschaks Vater, dem Petersburger Oberbürgermeister Anatoli Sobtschak war – hat offenbar nicht vor, den ihr zugeworfenen Ball nur für ein paar attraktive Dribblings im eigenen Strafraum zu nutzen: Das einstige Glamour-Girl des russischen Boulevards, die sich schon vor Jahren zur streitbaren Oppositionsaktivistin gewandelt hatte, ging gleich zum Angriff über.

Erstens erklärte sie mehrfach ihre Solidarität mit dem gegenwärtig wieder einmal inhaftierten Oppositionspolitiker Alexej Nawalny, der bereits erklärt hat, zur Präsidentenwahl antreten zu wollen. Doch die ihm in mehr als fragwürdigen Prozessen angehängten Bewährungsstrafen schließen dies aus. Wenn Nawalny – oder auch andere prominente Vertreter der außerparlamentarischen Opposition – wider Erwarten doch zur Wahl zugelassen würden, dann wäre sie bereit zur Kooperation – bis hin zum Verzicht auf die eigene Kandidatur.

Kernaussagen: Europa und demokratische Rechte

Und zweitens machte sie – oder ihr noch im verborgenen arbeitender Stab – in einem programmatischen Artikel einige für die heutigen Verhältnisse in Russland geradezu provokante Aussagen: Russland sei ein europäisches Land – die enge Zusammenarbeit mit Europa müsse außenpolitische Priorität haben, „gemeinsame europäische Werte“ müssten Russlands Politik im Innern wie nach außen bestimmen. Die Frage, ob die Krim „unser oder nicht unser“ sei, müsse einvernehmlich mit den Nachbarn geklärt werden. Der hohe Anteil des Staates an der russischen Wirtschaft muss drastisch gesenkt werden. Gesetze und Regeln, die die Meinungsfreiheit, die demokratische Willensbildung und die Rechte von sexuellen Minderheiten einschränkten, gehören abgeschafft. Der Staat solle keine Propagandamedien betreiben und sich nicht in die Künste einmischen.

Bekanntheitsgrad ist gegeben

Das ist zwar noch kein Programm – aber es könnte durchaus noch eines daraus werden. Und es sieht nicht danach aus, als wären diese Aussagen Sobtschak von Polittechnologen im Kreml in den Block diktiert worden. Auch wenn sich die wahrlich nicht auf den Mund gefallene Sobtschak selbst als elitäres Geschöpf und „Blondine in Schokolade“ bezeichnet – einen Vorteil bringt sie bei ihrem Einzug in die politische Arena zweifellos mit: Durch ihre früheren Skandälchen und Moderationen von Shows (was bekanntlich dem gegenwärtigen US-Präsidenten nicht geschadet hat) ist sie in Russland  bekannt wie ein bunter Hund: Laut dem Meinungsforschungsinstitut WZIOM kennen sie 95 Prozent der Bevölkerung – von denen allerdings 60 Prozent eine negative Meinung von ihr haben, 21 Prozent eine positive. Von so einem Rating können andere Oppositionsaktivisten allerdings nur träumen. Noch dazu ist Sobtschak in der russischen High Society bestens vernetzt – Geld für einen intensiven Wahlkampf sollte sich also finden.

Die altbewährten Putin-Herausforderer reagierten jedenfalls bereits nervös: Sjuganow zog die Patriotismus–Karte und erklärt Sobtschak für unwählbar, weil sie einmal Russland als ein „Land des genetischen Abschaums“ bezeichnet habe. Und Schirinowski sprach ihr jegliche Führungsqualitäten ab, weil sie keine politische Erfahrung habe und außer Moskau und St. Petersburg das Land nicht kenne.

Onkel Wolodja war gar nicht froh

Wladimir Putin sei im Übrigen von ihrer Entscheidung zur Kandidatur nicht begeistert gewesen, sagte Sobtschak. Sie habe es ihm als alten Bekannten ihrer Familie selbst mitgeteilt, nachdem sie ihn vor einiger Zeit für ein Dokumentarfilmprojekt über ihren Vater interviewt habe, sagte Sobtschak.

Vielleicht wittert Putin – der seine eigene erneute Kandidatur offiziell noch nicht verkündet hat – ja auch eine reale Gefahr, die da durch eine junge, dynamische Nachwuchskraft lauert. Mit Trudeau, Macron und Kurz sind diese ja gegenwärtig mächtig auf dem Vormarsch. Und Sobtschak ist immerhin volle vier Jahre älter als der designierte österreichische Bundeskanzler und hat im Gegensatz zu diesem sogar ein abgeschlossenes Studium – auch noch in Politologie.

[ld/russland.NEWS]

 

COMMENTS