Berlin. Am Freitag fand in Berlin im Hotel „Radisson Blu“, in Kooperation mit dem Deutsch-Russischen Forum und dem Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft, unter dem Motto: „Liberale Wirtschafts- und Finanzpolitik in Deutschland und Russland – Erfahrungen und Perspektiven“, dass Gaidar-Naumann-Forum 2013 statt. Ziel des Forums war es, dass gegenseitige Lernen und die Entwicklung konstruktiver Lösungsansätze für die wirtschafts- und finanzpolitische Debatte in beiden Ländern zu erörtern.
Das Vertrauen, das Menschen einander sich entgegenbringen, bildet das Sozialkapital verschiedener Gesellschaften untereinander. Es schlägt sich in Regeln, Institutionen, sowie wirtschaftlichen und politischen Erwartungen nieder. Deutschland wie Russland blicken in der jüngeren Vergangenheit auf Erfahrungen mit liberalen Wirtschaftsreformen zurück: Russland auf die Reformen Jegor Gaidars in den 1990er Jahren und Deutschland auf die Reformen in den neuen Bundesländern nach der Wiedervereinigung.
Welche Lehren sind aus dieser Zeit gezogen worden? Wie sind die Reformergebnisse aus heutiger Sicht zu bewerten? Welche Anknüpfungspunkte lassen sich für die aktuellen Herausforderungen finden, denen beide Länder durch die Wirtschafts- und Finanzkrise gegenüberstehen? Dieses waren Fragen die auf dem Forum diskutiert und erörtert wurden.
Dr. Alexej Kudrin, langjähriger Finanzminister der Russischen Föderation und international anerkannter und renommierter Finanzpolitiker, erörterte diese Fragen im Austausch mit deutschen und russischen Experten aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft.
Alexej Kudrin verwies in seiner Eröffnungsrede darauf, dass Russland erst seit zehn Jahren einen offiziellen Status einer Marktwirtschaft besitzt. Dieses durch die Integration Russlands in die Welthandelsorganisation (WTO) im Jahr 2003. Dieses bedeute aber auch, dass Russland viel später als andere Länder mit der Reformation seiner Wirtschaft begann – „und Rom wurde auch nicht an einem Tag gebaut“. Er sagte: „das Russland heute eine Staatsverschuldung von 11 Prozent am Bruttonationaleinkommen (BNE) gemessen hat – darauf könne die gesamte Europäische Union (EU) nur mit Neid schauen. Russland tut alles für eine Modernisierung seiner Produktionsstätten, deshalb werden auch rund 20 Prozent vom BNE in diese Modernisierung investiert.
Die Liberalisierung sei in Russland auf einem gesunden Weg, nach Kudrin – leider finde dieses in der deutschen Presse nicht die entsprechende Würdigung. In Russland existieren in der Zwischenzeit über 70 verschiedene Parteien. Wobei für eine Parteiengründung lediglich 500 Unterschriften notwendig seien. Dadurch hat die Zivilgesellschaft in Russland eine neue Rolle eingenommen. Die von ihr ausgeübte Kontrolle wird jetzt viel stärker und bewusster wahrgenommen und diese Kontrolle wird auch auf die russische Regierung ausgeübt. Als Beispiel dafür führte Alexej Kudrin an, dass in Russland bei der Polizei auch bereits Polizeiräte gebildet wurden. Selbstverständlich kann nicht in nur wenigen Jahren das geschaffen werden, was in anderen Ländern viele Jahrzehnte gedauert hat – Schritt für Schritt in Russland, aber das Land ist auf einem guten und richtigen Weg.
Der Ost-Ausschuss-Vorsitzende Dr. Eckhard Cordes verwies darauf, dass Deutschland die Rolle des Vermittlers zwischen Brüssel und Moskau dringend und sofort übernehmen muss – Deutschland ist der drittgrößte Handelspartner für Russland. Cordes betonte auch, dass Deutschland jetzt handeln muss und nicht erst in geraumer Zeit – mit einem Wink auf den Koalitionsvertrag 2013 für die Regierungsbildung in Deutschland.
Seit 2003 sind die abgeschlossenen Verträge zwischen Deutschland und Russland nicht so gestiegen, wie dieses sich die deutsche Wirtschaft gewünscht hätte. Explizit ging Cordes darauf ein, dass eine Förderung des Petersburger Dialogs im Koalitionsvertrag 2013 nur angedeutet wurde, aber nichts Konkretes dort zu lesen ist.
Eine Förderung des Mittelstandes könne nur im Interesse beider Länder sein, sagte Cordes. Dazu gehören auch gutausgebildete Fachkräfte, damit die Produktivität gesteigert werden kann und es merkliche Fortschritte in der Industrie gäbe.
Russland und Deutschland sind strategische Partner und beide Staaten sind aufeinander angewiesen – heute mehr als je zuvor. Angesichts der Herausforderungen der Globalisierung gilt es, diese strategische Partnerschaft unbedingt zukunftsfähig zu machen. Deutschland und Russland müssen daher ihre Zusammenarbeit in wichtigen Bereichen wie Industrie, Rechtszusammenarbeit, Gesundheit und Demographie, Energieeffizienz, Verkehrsinfrastruktur sowie Aus- und Weiterbildung entscheidend mehr als bisher vertiefen.
Ein Schwerpunkt sollte darauf abzielen, demokratische und marktwirtschaftliche Institutionen mehr zu unterstützen und die Zivilgesellschaft zu stärken. Dabei kommt der neuen Bundesregierung ein entscheidender Auftrag zu. Im Moment ist dazu aber leider äußerst wenig im Koalitionsvertrag 2013 von CDU/CSU und SPD zu entdecken.
Das Gaidar-Naumann-Forum 2013 wurde durch die Yegor-Gaidar-Stiftung und die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Kooperation mit dem Deutsch-Russischen Forum und dem Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft durchgeführt.
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