[von Thomas Vogt] Im Osten Europas und im Nahen Osten steht die Welt in Flammen. Leid und Elend bestimmen das tägliche Leben von vielen Millionen Menschen. Kann man als einfacher Bürger, als kleiner Verein diesem monströsen Geschehen etwas entgegensetzen? Oder ist das sinnlos?
„Es ist besser, ein einziges kleines Licht zu entzünden, als die Dunkelheit zu verfluchen.“ (Konfuzius)
Unser Hoffnungslicht ist die friedliche und vertrauensvolle Begegnung von deutschen und russischen Jugendlichen auf der Basis von Musik und Kultur. Unter schwierigen äußeren Bedingungen haben wir, eine Gruppe von 27 Teilnehmern, uns in der Türkei getroffen, um einen gemeinsamen Musikfilm, eine ost-westliche Romeo – Juliette – Story zu filmen.
Während einer der sehr emotionalen Gesprächsrunden der jugendlichen Teilnehmer über ihre Motivation an dem Projekt teilzunehmen, habe ich als meine Motivation einen Brief, den ich als Großvater an meine Enkel geschrieben habe, vorgelesen. Er wurde auch auf Russisch verlesen. Andrey Korjakov, der Leiter der russischen Gruppe meinte, das sei ein Manifest.
Was für eine Welt wollen wir euch Kindern hinterlassen?
Mein Brief als Großvater an meine Enkelkinder
Michaeli 2023
Meine lieben Enkelkinder,
ich freue mich immer sehr euch zu sehen und liebe euch von ganzem Herzen. Das
Leben ist ein großes Wunder. Ich sehe ehrfürchtig und dankbar, wie ihr mit großen
staunenden Augen die Welt wahrnehmt, wie ihr immer wacher wissen wollt, was das
ist, diese Welt, in die ihr hineingeboren seid.
Noch seid ihr klein, zwischen zwei und fast sechs Jahre alt, und braucht noch die
Fürsorge von uns Erwachsenen. Gerne nehmen wir euch bei der Hand und zeigen
euch die Schönheiten des Lebens: Die Natur, die so heilend und beruhigend auf uns
wirken kann; die Technik, die so faszinierend und aufregend ist und die Kunst, die
euch wieder ein Stück Himmel, wo ihr hergekommen seid, zurückbringt.
Ich muss euch aber auch sagen, dass ich mir viele belastende Gedanken darüber
mache, welche Welt wir Erwachsene euch Kindern hinterlassen. Oma und ich sind
einige wenige Jahre nach dem großen Weltkrieg geboren. Wir haben noch die Folgen
und das Elend dieses Krieges als Kinder miterlebt. Als wir größer waren haben wir
unsere Eltern und Großeltern gefragt, warum es diesen Krieg gab und ob niemand
etwas dagegen getan hat. Es war schwierig, auf diese Fragen Antworten zu
bekommen.
Wenn ihr etwas älter seid und uns Großeltern und Eltern fragt – „was habt ihr
Erwachsene getan, um uns eine lebenswerte Zukunft zu hinterlassen“? – dann
möchte ich ehrlich und aufrichtig in eure fragenden Augen schauen können.
Wir leben wieder in einer schwierigen Zeit: Rücksichtslos und ohne an die
zerstörenden Folgen zu denken haben wir Menschen jahrzehntelang die Natur und
die Welt ausgebeutet. Für einen schnellen faden Gewinn war uns alles recht und wir
haben egoistisch nur an uns gedacht. Die Natur war uns nie heilig, die Zerstörung und
den Dreck haben wir einfach hinter uns gelassen. Jetzt kommen die Folgen unseres
Handelns massiv und unerbittlich auf uns zu. Verzweifelt und spät erkennen wir die
nahende Katastrophe.
Aber statt, dass die Menschheit sich zusammenschließt und gemeinsam dem Unheil
entgegentritt, führen die mächtigsten Machtblöcke Krieg gegeneinander. Wir erleben
nicht nur einen Krieg gegen die Natur, sondern die Menschen morden sich auch noch
gegenseitig. Wieder sind es elitäre gierige Interessen, die ganze Völker ins Elend
stürzen. Das Fatale ist auch, dass die allgegenwärtige Kriegspropaganda das
vernünftige Denken der Menschen verdunkelt und die meisten dem Kriegsgeschrei
nichts entgegensetzen. Hervorragende Wissenschaftler, Nobelpreisträger, warnen
uns vor einer Eskalation und einem drohenden Atomkrieg, der alles Leben auf der
Erde auslöscht.
Können wir als einfache Bürger, die keine Macht und keinen Einfluss haben, gegen
dieses monströse Geschehen überhaupt etwas ausrichten? Eure Oma und ich meinen
„Ja“. Wir können nicht passiv bleiben und alles unwidersprochen geschehen lassen:
„Es ist besser ein einziges kleines Licht zu entzünden, als die Dunkelheit zu
verfluchen.“ Das lernen wir von Konfuzius, einem uralten chinesischen Weisen.
Oma und ich wollen uns nicht den „verordneten“ Feindbildern unterwerfen. Wir
wollen allen Menschen mit Achtung begegnen. Wir sehen in ihnen den
Menschheitsbruder, die Menschheitsschwester. Das Menschsein ist dasjenige, das
uns alle verbindet, das Nationale wird uns im Politischen immer trennen. Im
kulturellen Bereich, in der Geschichte und den Traditionen hat das Nationale seine
Berechtigung. Es widerspiegelt die verschiedenen Farben des Menschseins und macht
es vielfältig.
Omas und mein kleines Licht ist „Musik für den Frieden – Mузыка ради Mира“.
Eigentlich dürften russische und deutsche Jugendliche in dieser Zeit nichts
miteinander zu tun haben. Man sagt uns, wir sind Feinde. Trotzdem verbindet uns die
Musik, die gemeinsame Sprache aller Menschen, und wir geben zusammen Konzerte,
drehen Musikfilme, tanzen miteinander und begegnen uns, wie alle Freunde das tun.
Wir achten und mögen uns. Wir wollen damit anderen Menschen Mut machen, es
ebenso zu tun.
Vertrauen ist die Grundlage für ein friedliches Zusammenleben auf der Welt. Es wird
viel von Sicherheitsinteressen geredet. Die Sicherheit soll durch Waffen, möglichst
durch noch größere und noch effektivere Waffen, garantiert werden. Nein, ohne
gegenseitiges Vertrauen und gegenseitige Achtung wird es keinen dauerhaften
Frieden zwischen den Völkern geben.
Vielleicht kann unser „Musik für den Frieden“ ein winziger Keim sein, der, wenn er
gepflegt wird, stetig wächst und sich zu einem großen „Vertrauensbaum“ entwickelt.
Viele solcher „Vertrauensbäume“ auf der ganzen Welt können dann für euch, ihr
lieben Enkel, zu einer lichtvollen und friedlichen Zukunft werden.
Ich wünsche es euch mit meinem ganzen Herzen.
In Liebe euer Opa Thomas
PS: noch seid ihr zu jung, um den Brief zu lesen. Wenn ihr älter seid und ihr
entsprechende Fragen habt, möchte ich gerne mit euch darüber reden.
Projekte von Musik für den Frieden (musik-fuer-den-frieden.de)
Radiosendung des Uni-Radios Freiburg Radiosendung Uni-Radio Freiburg 13.11.2023
Preisträger Göttinger Friedenspreis 2022 www.musik-fuer-den-frieden.de
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