Die deutsche Sektion der IPPNW fordert von Regierung und Parlament eine eindeutige Ablehnung militärischer Maßnahmen und ein Bekenntnis zu ziviler Konfliktbearbeitung. Die Abkehr von einem machtpolitisch und wirtschaftspolitisch motivierten Konfrontationskurs ist dringend erforderlich.
Wir beobachten die Eskalation der Krise in der Ukraine mit großer Sorge. Es besteht die Gefahr bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen politischen Strömungen und ein Auseinanderbrechen des Staates. Die Konfrontation, die den Charakter eines Stellvertreterkonfliktes hat, droht zunehmend in den Sog von Eskalation und Militarisierung zu geraten.
Ein Beschluss des deutschen Bundestags, der die Beteiligung Deutschlands an militärischen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Krise in und um die Ukraine grundsätzlich ablehnt, würde ein deutliches Zeichen setzen. Er stünde zudem in Übereinstimmung mit dem Willen der Bevölkerungsmehrheit in Deutschland, die nicht nur Wirtschaftssanktionen ablehnt, sondern auch bezweifelt, dass es den ausländischen Kräften in erster Linie um die Interessen der Menschen in der Ukraine geht.¹
Unsere ärztliche Friedensorganisation kritisiert sowohl völkerrechtswidrige Grenzverschiebungen als auch die Ausdehnung von Militärbündnissen sowie Wirtschaftsabkommen, wie mit dem Internationalen Währungsfond, dessen neoliberale Deregulierungsauflagen die Konzerne reicher und die Mehrheit der Bevölkerung ärmer werden lassen. Die Folgen haben die Menschen in der Ukraine zu tragen: Gestern z.B. kündigte der Ministerpräsidenten der ukrainischen Übergangsregierung Arseni Jazenjuk „Stellenabbau und soziale Einschnitte“ an.
In der derzeitigen angespannten Situation sollten weder neue Staatengebilde wie die Krim anerkannt werden, noch Assoziierungsabkommen mit einer nur unzureichend legitimierten ukrainischen Übergangsregierung (unter Einschluss rechtsextremer Kräfte) abgeschlossen werden. Weitere Aufrüstungsschritte wie der Ausbau der sogenannten Raketenabwehr der NATO müssen gestoppt werden.
Diese Woche wurde durch das Treffen von US-Präsident Obama mit EU-Kommissionspräsident Barroso und EU-Ratspräsident Van Rompuy ein Näherrücken von EU und USA in der Auseinandersetzung mit Russland demonstriert. Ein weiterer konfrontativer Schritt, der die Welt nicht „gerechter und sicherer“ (Obama) machen wird. Gleichzeitig werden Forderungen nach höheren Rüstungsausgaben erhoben und die Durchsetzung des Freihandelsabkommens (TTIP) vorangetrieben, das Privatisierungen begünstigt und Umweltstandards schwächt. Die skandalöse Überwachungspraxis der Geheimdienste, die massive Zweifel an einer vertrauensvollen Zusammenarbeit begründet, wird dagegen zum vernachlässigten Thema.
Die IPPNW ist in Zeiten des Kalten Krieges entstanden und erhielt für ihr blockübergreifendes Engagement 1985 den Friedensnobelpreis. Damals wurde der mutige Schritt getan, auf zivilgesellschaftlicher Ebene der Spaltung der Welt in Ost und West, in Gut und Böse zu widersprechen und sich in einem blockübergreifenden Bündnis für die Verhinderung eines Atomkrieges einzusetzen. Heute steht nicht nur die Zukunft der Ukraine auf dem Spiel, sondern auch die dringend notwendige Abrüstungsperspektive im Atomwaffenbereich. Derzeit wird der Konflikt genutzt, um den Besitz von Atomwaffen zu rechtfertigen.
Für die Lösung der gegenwärtigen komplexen Krise, wie auch kommender Konflikte, ist zivile Konfliktbearbeitung anstelle von Konfrontation und Sanktionen unbedingt erforderlich. Die IPPNW kann sich für die Ukraine und für weitere Staaten an den Grenzen Russlands einen neutralen Status nach dem Vorbild von Österreich und der Schweiz denken. Dieser Status müsste mit der Erklärung verbunden sein, keinem Militärbündnis beizutreten.
Die IPPNW begrüßt als einen befriedenden Schritt, dass die OSZE nunmehr freien Zugang zur Ukraine erhält und gemäß ihrer grundlegenden Prinzipien, der „Charta von Paris für ein neues Europa“, dort die Lage und Entwicklungen der Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit beobachten kann. Wir erwarten, dass die Russische Föderation als OSZE-Mitglied den Zugang ihrer Delegationen auf der Krim ebenfalls erlauben wird.
Es liegt eine bittere Ironie darin, dass ausgerechnet im Jahr 2014, 100 Jahre nach Beginn des ersten Weltkriegs, wieder antirussische Ressentiments mit dem Ziel benutzt werden, einen Konfrontationskurs populär zu machen.
Wir fordern von allen Beteiligten die Suche nach einem fairen Interessenausgleich statt der Durchsetzung von Interessen ohne Rücksicht auf die Menschen in der Ukraine und anderswo.
Vorstand der IPPNW-Deutschland
¹ Nur sieben Prozent der Deutschen glauben, dass es den ausländischen Mächten, die an den Konflikten beteiligt sind – egal ob Russland, die USA oder die EU – wirklich in erster Linie um die Interessen der Menschen in der Ukraine geht. Mehr als drei Viertel (76 Prozent) sind der Ansicht, dass diese ausländischen Kräfte vor allem ihre eigenen Interessen verfolgen. Forsa-Umfrage 10.3.2014.
63 % sprechen sich gegen Wirtschaftssanktionen aus. Forsa-Umfrage vom 19. und 20.3.2014
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