„Freund für eine Stunde“ – ungewöhnliche Dienstleistung in der russischen Hauptstadt immer gefragterBild: Avito.ru ©

„Freund für eine Stunde“ – ungewöhnliche Dienstleistung in der russischen Hauptstadt immer gefragter

Einfach mit jemand über das Leben reden. Oder ins Theater, in eine Ausstellung oder ins Kino gehen. Sich über das letzte Fußballspiel seiner Lieblingsmannschaft unterhalten. Mit Begleitung zu einem Klassentreffen gehen. Eine kurze Zeit das Gefühl haben, nicht alleine zu sein. Genau das wünschen sich Menschen, die den Service Freund für eine Stunde bestellen. Denn die Einsamkeit, dieser obligatorische Bestandteil eines Industriestaates, hat auch Russland, vor allem seine Metropolen, erreicht.

Trinkgenosse für eine Stunde, Ehemann für eine Stunde – russische soziale Netzwerke sind voll von Gruppen solcher Art. Überall wird ausdrücklich betont: es geht nicht um sexuelle Dienste! Die Preise liegen zwischen 300 und 1000 Rubel (etwa 4 und 13 Euro) pro Stunde. Studenten machen solche Jobs gerne, um etwas Geld zu verdienen, aber auch um selber neue Menschen kennenzulernen. Oft entstehen so richtige Freundschaften oder man verlangt gar kein Geld aus Mitgefühl. Viele treten in solche Gruppen ein, um anderen zu helfen oder aus purer Neugier. Denn reich wird man so nicht. „Ich verlange für alle Dienstleistungen 300 Rubel pro Stunde“, erzählte Michail Potjaew, Mitglied einer Gruppe, in der kleinere Haushaltarbeiten und Reparaturen angeboten werden, in einem Interview. „Aber manchmal sind Kunden so nett, dass ich alles kostenlos erledige. Neulich kam ich zu einem Mann, der sich als großer Fußballfan erwies. Ich habe in einer halben Stunde seinen Kühlschrank repariert, und dann haben wir uns zwei Stunden über Fußball unterhalten“. Im Schnitt kann man so um die 10.000 Rubel (etwa 130 Euro) im Monat verdienen.

Viele Angebote solcher Art gibt es auch auf dem größten Kleinanzeigenportal Russlands avito.ru. Der PR-Direktor der Webseite Andrej Barkowskij erzählte im Interview dem Radiosender Kommersant.fm: „Die Nachfrage für diesen Service ist zwischen Januar und November dieses Jahres acht Mal gewachsen. Inzwischen kostet eine Stunde 850 Rubel (etwa 11 Euro) im Schnitt, was um 81 Prozent teurer ist als im Januar“.

Der Lebensrhythmus in Moskau ist so rasant, dass sogar ein Umzug um einige U-Bahnstationen weiter dazu führen kann, dass Freunde jahrelang keine Zeit mehr für ein Treffen finden. Freunde in einer neuen Umgebung zu finden ist auch schwer, also sucht man eine schnelle Lösung. Außerdem ist die Grundstimmung der Einwohner von russischen Metropolen wegen der wirtschaftlichen und politischen Lage eher negativ. Man möchte aber seine Angehörigen damit nicht belasten. Die Psychologin Jelena Filipjewa erklärte Kommersant.fm dieses Phänomen so: „Der Druck in der Gesellschaft wächst, viele haben Angst, über ihre Gefühle zu reden, kapseln sich ab. In einer Metropole bleibt oft keine Zeit, sich mit Freunden zu treffen. Wenn man sich dann aber trifft, will man maximal viel Spaß haben, und nicht sich gegenseitig mit Problemen belästigen. Deswegen wächst der Trend, einen Freund zu mieten“. Die meisten Kunden sind zwischen 18 und 35 Jahre alt. Aber auch Rentner bestellen sich solche Dienstleistungen. Denn die Einsamkeit macht vor keinem Halt.

[Daria Boll-Palievskaya/russland.NEWS]

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