Filmkritik zu Red Sparrow: Der Kalte Krieg ging nie vorüber

Bolschoi-Theater, Moskau: Inmitten eines Auftritts vor tausenden Zuschauern wird die Karriere der aufstrebenden Tänzerin Dominika Egorova (Oscar-Preisträgerin Jennifer Lawrence) durch einen nur scheinbar unbedarften Tritt ihres Tanzpartners beendet. Mit gebrochenem Bein liegt die Hauptdarstellerin in einem heruntergekommenem russischen Krankenhaus, ihre größte Sorge dabei: Wie soll sie in Zukunft für ihre kranke Mutter sorgen, wo doch das Ballett nichts mehr abwirft? Die Rettung naht in Form ihres finsteren Onkels (Matthias Schoenaerts), welcher beim Geheimdienst seine Brötchen verdient und noch dazu Wladimir Putin verdammt ähnlich sieht. Dominika soll eine der Regierung unliebsame Person mithilfe ihrer weiblichen Reize verführen und dieser dabei das Handy abnehmen und durch ein Duplikat ersetzen. Dumm nur, dass sie bei dieser Aktion in der Suite eines Luxushotels vergewaltigt wird und ihr Peiniger dabei von einem Geheimagenten auf sehr unschöne Weise ins Jenseits expediert wird. Im Anschluss kommt heraus, dass Dominika bei diesem Mordkommando lediglich als Köder diente. Da sie jedoch Zeugin eines Regierungsmordes geworden ist, befindet sie sich nun in der Hand des russischen Geheimdienstes. Die beiden möglichen Optionen: Kollaboration oder Tod…

Wer bei diesen einleitenden Zeilen an einen trashigen James-Bond-Abklatsch aus den 60er Jahren gedacht hat, muss leider enttäuscht werden: Die Handlung spielt im Russland der Gegenwart und kommt als Anklage gegen die Putin-Administration daher. Nicht eine Sekunde lang lässt der Film einen Zweifel daran, wer gut und wer böse ist: Der düsteren Wüterei der Russen wird im Rahmen eines zweiten Handlungsstrangs das freundliche Wirken des CIA-Agenten Nate Nash (Joel Edgerton) gegenübergestellt – selbstredend, dass sich dessen Wege alsbald mit jenen des russischen Hauptcharakters kreuzen.

Dominikas weiteres Schicksal besteht darin, in der „staatlichen Schule IV“ zu einem „Red Sparrow“ ausgebildet zu werden. Begann der Film bereits als wahres Feuerwerk antirussischer Klischees, so gleitet er nun wahrhaft in die Gefilde des Trashs ab: Die Ausbildung in der von Dominika treffend als „Hurenschule“ bezeichneten Einrichtung besteht darin, gutaussehende Männer und Frauen zu Sexmaschinen zwecks der Gewinnung von geheimdienstlichen Informationen auszubilden. Die dortige eisenharte, durchgeknallte Ausbilderin hätte dabei durchaus das Potential, Teil eines Trashfilms über Nazi-Zombies zu sein…

Im weiteren Verlauf der Handlung, welche sich auf das Zusammenwirken zwischen Dominika und ihrem amerikanischen „Gegenspieler“ konzentriert, wird das Grundproblem des Films deutlich: Er kann sich schlicht und einfach nicht zwischen Trash und Ernsthaftigkeit entscheiden. Nach der Ausbildung zum Red Sparrow nimmt das Tempo des Films deutlich ab, dafür gewinnt er an Dramatik. Überzeugend ist dies bei einer stolzen Länge von 139 Minuten jedoch nicht: Die Idee, dass eine Geheimagenten wie Dominika nicht genau weiß, auf wessen Seite sie steht, wurde cineastisch schon hinreichend thematisiert. Bis zum zugegebenermaßen überraschenden Ende wird die dahinplätschernde Handlung durch einige überzogene Gewaltszenen angereichert, welche zur Handlung kaum etwas beitragen. Diese Unzulänglichkeiten in der Dramaturgie kommen auch dadurch gut zum Ausdruck, dass die ausführlich gezeigte Ausbildung von Dominika in der lächerlichen „Hurenschule“ später keinerlei Relevanz mehr besitzt – sie braucht die fragwürdigen Fähigkeiten schlicht und einfach nicht. Ihr Auftrag besteht darin, einen Maulwurf der CIA in hohen Kreisen der russischen Regierung ausfindig zu machen.

Die Darstellung sexueller Gewalt zieht sich wie ein roter Faden durch die Handlung, wie bei den Gewaltszenen stehen hier billige Schauwerte im Vordergrund. Auch bei der absolut negativen Darstellung von Russland und seines mordenden Geheimdienstes schießt der Film weit über die Grenzen der Komik hinaus. Lautes Gelächter war im Kinosaal zu vernehmen, als der CIA-Agent verkündet, „dass manche Preise einfach zu hoch sind – vor allem, wenn es um Menschen geht“. Salvador Allende würde ihm in diesem Zusammenhang sicher recht geben… So fasst die Szene, wo die ranzige Ausbilderin ihre angehenden Sexmaschinen begrüßt, auch den ganzen Film gut zusammen: „Der Kalte Krieg ging nie vorüber“.

Nach dem Kinobesuch haben wir uns bei einem Bier über die Frage unterhalten, inwiefern es sich bei diesem Streifen um einen Propagandafilm handelt. Ich gab zu bedenken, dass das doch alles viel zu dick aufgetragen ist, als dass das jemand ernst nehmen könnte – wenn etwa Dominika von ihrem Onkel gedroht wird, dass ihre Mutter in einem staatlichen Hospiz enden wird, wo es vor Ratten und Exkrementen nur so wimmelt. „Obwohl“, sagte ich, und führte die Namen von zwei durchaus beschränkten Zeitgenossen aus unserem Bekanntenkreis an, „bei denen würde es wohl doch wirken, egal wie primitiv und dumm der Kram ist“. „Siehst du, und das Problem ist, dass 30% der Menschen so sind wie die“, wurde mir entgegnet. Ich begann zu grinsen und gab meinem Gesprächspartner recht – wenngleich die Zahl von 30% gewiss zu hoch angesetzt ist, so einfach ist es dann doch nicht.

Doch vielleicht steckt hinter diesem Film ja auch nicht die geringste politische Absicht. Vielleicht wollte man nur mit möglichst einfachen Mitteln einen möglichst reißerischen Film drehen und hat dabei auf altbekannte Muster zurückgegriffen. Unterhaltsam war der Kinobesuch auf jeden Fall – jedoch meist nur deshalb, weil wir uns über Red Sparrow fortlaufend lustig gemacht haben. Bleibt offen, warum sich Jennifer Lawrence für so etwas hergibt…

[Julian Müller]

Red Sparrow

USA 2018

Regie: Francis Lawrence

Drehbuch: Justin Haythe, nach Roman von Jason Matthews

Darsteller: Jennifer Lawrence, Joel Edgerton

Verleih: 20th Century Fox

FSK: 16

Länge: 139 min

Kinostart: 1. März 2018

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