Fall Kagarlitzki: Gericht wandelt Geldstrafe in fünf Jahre Gefängnis um

Fall Kagarlitzki: Gericht wandelt Geldstrafe in fünf Jahre Gefängnis um

Ein russisches Berufungsgericht hat die Strafe des Soziologen Boris Kagarlitzki im Fall der „Rechtfertigung des Terrorismus“ verschärft. An die Stelle einer Geldstrafe von etwa 6000 Euro, die im Dezember verhängt wurde, trat eine fünfjährige allgemeine Haftstraße. Kagarlitzki wurde im Gerichtssaal in Gewahrsam genommen. Journalisten durften den Gerichtssaal nicht betreten, konnten den Prozess aber über eine an einem Kontrollpunkt organisierte Übertragung verfolgen.

Die Staatsanwaltschaft hatte eine Verschärfung der Strafe gefordert, da sie das vorherige Urteil als zu milde und „nicht den Umständen des Falles entsprechend“ ansah. Außerdem erklärte die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer, dass der Soziologe aufgrund eines Konkursverfahrens nicht in der Lage sei, die Geldstrafe zu zahlen. Die Verteidigung wies darauf hin, dass Kagarlitzki dies bereits getan habe.

Viele Experten und Beobachter brachten das Gerichtsurteil vom letzten Jahr mit dem Beginn des Wahlkampfs von Putin und den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in Verbindung. Nun äußern sie die Meinung, dass die Behörden dem Soziologen offenbar Zeit gaben, Russland zu verlassen, er aber wegen seiner Prinzipien blieb und dafür bezahlte.

Kagarlitzkis Anwalt Sergej Erochow sagte nach dem Urteilspruch, die Verhaftung sei für uns keine Überraschung gewesen. „Wir haben sie als eine der Möglichkeiten betrachtet und am Morgen eine Tasche mit Sachen und Wasser mitgenommen.“  Er kündigte an, gegen das Urteil Kassationsbeschwerde einzulegen.

Der russische Journalist Oleg Kaschin schrieb: „Es sah so aus, als ob die Behörden angesichts der beispiellosen Unterstützung einen Rückzieher machten, beschlossen, ihn nicht anzurühren. Die Geldstrafe sah wie die endgültige Strafe aus. Jetzt ist klar, dass die Behörden höchstens bereit waren, den Mann einige Wochen auf freiem Fuß zu lassen, damit er voraussichtlich ausreisen kann.“

Der regierungsnahe politische Analyst Sergej Markow meint, dieses Urteil werde zu einem starken Rückgang der Unterstützung für Russland in Dutzenden von Ländern führen. Auch in Ländern des globalen Südens, wie Brasilien, Südafrika, den BRICS+-Ländern und der EU. „Dies ist ein schwerer Schlag für Russlands Position in der Welt. Kagarlitzki ist in der Welt unter den Freunden Russlands sehr bekannt. Er ist einer der wenigen Marxisten aus Russland, die in der Welt bekannt sind. Und die meisten Marxisten unterstützen Russland heute in Dutzenden von Ländern.“

Kagarlitzki selbst äußerte sich nach dem Urteilsspruch optimistisch: „Natürlich bin ich nicht niedergeschlagen. Ich bin guter Dinge, ich sammle weiterhin Daten und Material für neue Bücher, darunter eine Beschreibung des Lebens in Moskauer Gefängnissen. <…> Wir werden uns in Freiheit wiedersehen, und alles wird gut werden. Wir müssen nur noch ein wenig länger leben und diese dunkle Zeit für unser Land überstehen. Und am Ende wird alles gut werden. Auf jeden Fall sehen wir uns bald wieder.

Boris Kagarlitzki ist Soziologe, Publizist, Dozent an der Moskauer Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften und ein Politiker mit linken Ansichten. Im Mai 2022 wurde er vom Justizministerium als „ausländischer Agent“ eingestuft. Im Frühsommer 2023 wurde ein Strafverfahren gegen Kagarlitzky eingeleitet, im Juli wurde er in Syktyvkar verhaftet. Anlass war ein Video über die Explosion auf der Krim-Brücke mit dem Titel „Explosive Glückwünsche an die Katze Mostik, nervöse Menschen und Ereignisse, Angriffe auf die Infrastruktur“. Es wurde inzwischen entfernt. Anfang August setzte Rosfinmonitoring Kagarlitzky auf die Liste der „Terroristen und Extremisten“. Am 12. Dezember wurde er zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt und freigelassen.

Im Sommer 2023 wurde der russische Präsidenten Wladimir Putin von einem bekannten russischen Journalisten gefragt, ob es normal sei, dass Menschen für das, was sie sagen oder schreiben, verhaftet werden“, und nannte als Beispiel den Fall Boris Kagarlitzky. Der Staatschef antwortete, dass „es eine bestimmte Haltung gegenüber Menschen geben sollte, die uns im Land schaden“. Er habe den Soziologen nicht gekannt und seinen Nachnamen zum ersten Mal gehört.

Der Präsident versprach, den Fall zu untersuchen. Dem neuen Urteil zufolge entspricht der Tageswert von Kagarlitzky 3,30 Euro – monatlich etwa 300 Euro und jährlich 1200 Euro. Die russische Menschenrechtsorganisation Memorial erkannte Boris Kagarlitzki als politischen Gefangenen an.

[hrsg/russland.NEWS]

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