„Fake news“: 5 Jahre im russischen Gefängnis für Lüge über Covid-19

„Fake news“: 5 Jahre im russischen Gefängnis für Lüge über Covid-19

[von Anastasia Petrowa] Eines der Prinzipien des Journalismus ist die Objektivität. Das Streben nach hohen Leserzahlen und der Durst nach Sensationen führen jedoch dazu, dass die Medien immer häufiger dieses Prinzip verletzen. „Fake news“ sind leider Teil des modernen Lebens geworden. Ihre Anerkennung als Phänomen zeugt nicht nur von der hohen Effizienz solcher Informationen, sondern auch von ihrer Nachfrage in der Gesellschaft, die sich nach sensationellen und schockierenden Nachrichten sehnt.

Was sind „Fake news“?

Gefälschte Nachrichten sind die absichtliche Verbreitung von Fehlinformationen in den Medien und sozialen Netzwerken, um irrezuführen und finanzielle oder politische Vorteile zu erzielen. Gefälschte Nachrichten schüren langjährige Stereotypen und beeinflussen die öffentliche Meinungsbildung von Millionen Menschen. Sie gehören zu dem Konzept der Post-Wahrheit. Die Post-Wahrheit, die 2016 zum Wort des Jahres ernannt wurde, „bezieht sich auf Umstände, unter denen Menschen mehr auf Emotionen und persönliche Überzeugungen, als auf Fakten reagieren“[1].

Es gibt viele verschiedene Arten von gefälschten Nachrichten. Hierbei muss vor allem zwischen gefälschten Nachrichten als Werbemittel und als Instrument politischer Intrigen, Propaganda und Marktmanipulation unterschieden werden.

Die erste Form wird für das Bewerben einer Person oder eines Produkts verwendet. In diesem Fall sollen potentielle Kunden z. B. durch virales Marketing und reißerisches Clickbaiting (Schlagzeilen, die starke Emotionen auslösen und zum Klicken auf einen Link verleiten sollen) beeinflusst werden. In den Händen von Politikern und Geschäftsleuten sind gefälschte Nachrichten gefährlicher: Um falsche Information zu verbreiten, nutzen sie aktiv soziale Netzwerke, in denen sich Lügen durch Funktionen wie „Gefällt mir“ und „Teilen“ wie ein Lauffeuer verbreiten können.

Kampf gegen „Fake news“ in Russland

Staaten sind gezwungen, Fehlinformationen, die durch unsorgfältige Medien und soziale Netzwerke verbreitet werden, zu bekämpfen. Obwohl der Kampf gegen Lügen auf staatlicher Ebene keine Rückkehr der totalen Zensur bedeutet, nimmt die Medienverantwortung für verteilte Inhalte jedoch zu.

In Russland fällt der Kampf gegen „Fake news“, die durch ausländische Medien verbreitet werden, in die Zuständigkeit der Sondereinheit des Außenministeriums. Beispiele ihrer Arbeit finden sich auf der offiziellen Website des Außenministeriums im Bereich Pressedienst/Gegendarstellung (auf Deutsch leider nicht verfügbar).

Fehlinformationen werden auch auf gesetzlicher Ebene bekämpft. 2017 wurde ein Gesetz über Nachrichtenaggregatoren verabschiedet (Websites, die automatisch die aktuellen Nachrichten aus verschiedenen digitalen Veröffentlichungen erfassen): Die Eigentümer müssen demnach vor ihrer Verbreitung die Zuverlässigkeit der sozial bedeutenden Information überprüfen und die Verbreitung sofort einstellen, falls diese sich als falsch erweisen sollten[2]. Das Gesetz wurde von Internetgeschäftsleuten heftig kritisiert, weil „heiße“ Clickbait-Schlagzeilen, die sofort und sehr oft ohne Überprüfung veröffentlicht werden, eine der Hauptmethoden sind, um Publikum und dementsprechend Werbetreibende anzulocken.

Im Jahr 2019 wurden Gesetze verabschiedet, die das Veröffentlichen unzuverlässiger, sozial bedeutender Informationen, die als wahrheitsgemäße Nachrichten getarnt sind, verbieten[3]. Zu den sozial bedeutenden Informationen gehören Nachrichten, die die Gesundheit der Bürger, das Eigentum, die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder lebenswichtige Infrastrukturen betreffen. Die in den Gesetzen vorgesehenen Sanktionen umfassen die Sperrung von Webseiten und Kontos in sozialen Netzwerken, sowie ein Bußgeldsystem. Der erste Verstoß kostet Einzelpersonen bis zu 100.000 Rubel (1250 Euro) und juristische Personen bis zu 500.000 Rubel (6260 Euro). Wenn die Veröffentlichung gefälschter Nachrichten schwerwiegende Folgen hat, erhöhen sich die Bußgelder um drei bis viermal. Gleichzeitig ist kein Gerichtsbeschluss erforderlich, um die Webseite oder das Konto zu blockieren. Roskomnadzor fordert die Redaktion/Eigentümer, gefälschte Informationen innerhalb von 24 Stunden zu entfernen. Andernfalls wird die Webseite blockiert. Vor Gericht muss per Gesetz nicht nur die Fehlerhaftigkeit der verbreiteten Information, sondern auch ihre Gefahr für die Gesellschaft nachgewiesen werden.

Der Verlag „Moment der Wahrheit“ und sein Chefredakteur Eugene Gneuschew waren die ersten, die nach den neuen Gesetzen bestraft wurden. Im Oktober 2019 verurteilte das Gericht den Verlag zu einer Geldstrafe in Höhe von 200.000 Rubel (2500 Euro) und Gneuschew zu – 60.000 Rubel (750 Euro), weil er auf YouTube Videos über die „Vorbereitung des Maidan in Russland“ und eine Reihe anderer Videos veröffentlicht hatte[4].

Innovationen vor dem Hintergrund der Pandemie

Während der Covid-19-Pandemie verschlechterte sich die Situation der „Fake news“. In sozialen Netzwerken wurden Videos und Nachrichten über Masseninfektionen und den künstlichen Ursprung des Virus verbreitet, oder darüber, wie die Rosguardija die Zugänge zu den Städten blockiert, was natürlich zu Panik und Unruhe, einem Mangel an Masken, Antiseptika und sogar Ingwer führte. Die Regierung reagierte recht schnell: Ende März wurde ein Gesetz über hygienisch-epidemiologische Vorschriften verabschiedet, das unter anderem eine Bestrafung für die Verbreitung gefälschter Nachrichten über Notfälle, einschließlich Covid-19, vorsieht. Für solche Verstöße werden Bußgelder in Höhe von 300.000 Rubel (3750 Euro) und Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren verhängt[5].

Im Zusammenhang mit der Verbreitung gefälschter Coronavirus-Nachrichten war der bekannteste Fall, neben Geldstrafen für Einzelpersonen, der Fall gegen die Gewerkschaft Allianz der Ärzte. Der Untersuchungsausschuss leitete eine Voruntersuchung gegen die Gewerkschaftschefin Anastasia Wasilyeva ein, die im Verdacht steht, „Fake news“ verbreitet zu haben. Die Aktivistin nahm ein Video über den Mangel an Schutzausrüstung in Krankenhäusern auf und sagte, dass die Behörden Informationen über die tatsächliche Anzahl der Patienten mit dem Coronavirus in Moskau verbergen würden[6].

Ein merkwürdiger Vorfall ereignete sich um den berühmtesten und angesehensten russischen Regisseur und Oscar-Preisträger, Sergei Mikhalkow. Die Ausgabe seines Programms Besogon TV, in dem er Bill Gates beschuldigte die Weltbevölkerung chippen zu wollen, wurde aus der Sendung genommen. Das Programm ist auf der Website von Mikhalkow verfügbar. Er selbst spricht in Bezug auf diesen Vorfall von einer „reinen Zensur“. Bestraft wurde er als landesweit geachtete Persönlichkeit nicht.

Über die Manipulation der öffentlichen Meinung, die auch moderne Medien nicht scheuen, kann man viel sagen. Eines ist klar: Nachfrage schafft Angebot, und in diesem Fall schafft der Informationshunger des Publikums heftige Schlagzeilen. Es wäre schön, wenn Menschen mit einem „kühlen Kopf“, einer gesunden Skepsis und kritischem Denken alles, was in den Medien verbreitet wird, wahrnehmen und hinterfragen. Der einzige Weg für den Staat, Mutmaßungen über seine Aktivitäten zu entkräften, besteht darin, die Transparenz und Effizienz bei der Bereitstellung zuverlässiger Informationen zu maximieren.

[1] https://www.oxfordlearnersdictionaries.com/definition/english/post-truth

[2] https://www.interfax.ru/russia/543893

[3] https://rg.ru/2019/03/20/tehnologii-dok.html , https://rg.ru/2019/03/20/a1667356-zakon-feiki-dok.html

[4] https://tass.ru/obschestvo/7001807

[5] https://www.kommersant.ru/doc/4309307

[6] https://www.rbc.ru/society/24/03/2020/5e79d8fd9a79473b0e21bf3c

[Anastasia Petrowa/russland.NEWS]

Foto: Christoph Scholz, Creative Commons 2.0 via flickr.com, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/, keine Änderungen

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