„Es ist großartig, dass die Menschen das Gotteshaus vermissen“© russland.news

„Es ist großartig, dass die Menschen das Gotteshaus vermissen“

Diesen Sonntag feiert die Russisch-orthodoxe Kirche Ostern. Doch in diesem Jahr werden die meisten russisch-orthodoxen Gläubige das Osterfest wegen des Coronavirus nicht in der Kirche erleben können. Der Vorsteher der Orthodoxen Gemeinde des Hl. Antonius des Großen zu Mönchengladbach, Erzpriester Aleksejs Ribakovs, erzählte russland.NEWS über die Bedeutung dieses Festes und darüber, wie russisch-orthodoxe Gläubige in Deutschland in diesem Jahr Ostern feiern.

Vater Alexej, Ostern ist der Höhepunkt des gesamten Jahres in der Orthodoxie, “das Fest der Feste“. Obwohl das Osterfest in der lateinischen Kirche theologisch gesehen auch das höchste Fest ist, hat das Weihnachtsfest in der Kultur des Westens Priorität. „Nirgendwo auf der Welt wird Ostern so hell gefeiert wie in der Orthodoxen Kirche und nirgendwo wird diese Freude des Festes so poetisch und rührend zum Ausdruck gebracht, wie in Russland“, schrieb im Jahre 1911 Mitglied der Heiligsten Synode Erzbischof Nikon. Was denken Sie, wie kam es zu diesem Unterschied in der kirchlichen Tradition?

Vater Alexej: Es scheint mir, aber das ist nur meine persönliche Meinung, dass das westliche Christentum eher sinnlich als kontemplativ ist. Ich meine für westliche Christen ist es angenehmer, an das Christuskind zu denken, das in einem Stall neben einem Schaf und einem Esel geboren wurde. Es ist ein sehr bewegendes und rührendes Bild. Und für das östliche Christentum ist es wichtig zu verstehen, dass Christus auferstanden ist und „den Tod mit dem Tod“ überwunden hat.

Und der diesjährige Osterfeiertag für orthodoxe Gläubige wird ohne den wichtigsten Gottesdienst stattfinden. Es ist eine große Herausforderung für die Gläubigen.

Vater Alexej: Ostern ist für uns kein niedlicher Hase, der Eier versteckt, sondern die Auferstehung Christi. Das ist das Allerwichtigste im Christentum. Vierzig Tage nach Ostern begrüßen wir uns gegenseitig mit den Worten: „Christus ist auferstanden!“ Aus diesem Grund ist das Fehlen des Ostergottesdienstes – aber auch der Gottesdienste während der Karwoche – eine große Belastungsprobe für die Gläubigen, eine echte Prüfung. Schließlich warten die orthodoxen Christen auf die Karwoche, weil es die Zeit der Buße und betender Vertiefung ist. Fern von der Kirche zu sein, ist eine große Herausforderung. Und die Tatsache, dass das Fest der Feste zu Hause stattfinden muss, bringt manche sogar in einen Zustand der Verzweiflung. Die Menschen bleiben ohne die übliche Beichte und andere Sakramente. Aber irgendwie kommen wir damit zurecht. Unsere Gemeinde wurde bereits im März geschlossen, weil wir unsere Gottesdienste in der evangelischen Trauerhalle zelebrieren. Zuerst dachten wir, wir könnten eine Liturgie unter freiem Himmel feiern, aber selbst das wurde unmöglich. Und dann hatte ich keine andere Wahl, als Gottesdienste zu Hause zu veranstalten, wo ich eine kleine Hauskapelle auf sechs Quadratmetern habe. Hier diene ich jeden Tag mit meinem Altardiener. Ich habe einen Kanal auf YouTube eingerichtet, und unsere Gemeindemitglieder können auf diese Weise an der Liturgie teilnehmen. Jedes Mal versammeln sich etwa 50 Gemeindemitglieder. Die Qualität ist natürlich schlecht, ich habe ja keine professionelle Ausrüstung, und wir haben auch keinen Chor. Aber jetzt schalten wir unseren Chorregenten übers Handy zu. Mit modernen Kommunikationseinrichtungen kann man mühelos jeden Gottesdienst live verfolgen, und es wird eine Osterübertragung aus der Christus-Erlöser-Kathedrale geben, in der der Patriarch von Moskau und ganz Russland selbst die heilige Liturgie leiten wird. Auch viele andere Kathedralen und Kirchen in Russland übertragen schon jetzt die Gottesdienste der Karwoche. Dennoch ist es für die Gläubigen wichtig, sich mit ihrem Priester verbunden zu fühlen, der sie beim Namen kennt und für sie betet.

In vielen Kathedralen und Kirchen gehen die Gottesdienste weiter, nur ohne Gemeindemitglieder und Chor… Nur ein Priester und Diakon sind anwesend, aber die Gemeindemitglieder „müssen leider draußen bleiben“…

Vater Alexej: Ja, so ist es leider. Wir haben jedoch Kontakt zu den Gemeindemitgliedern. Besonders schwer ist es für alleinstehende Menschen, für die die Kirche auch eine Gelegenheit ist, sich mit Menschen zu treffen. Gott sei Dank habe ich als Priester die Möglichkeit der so genannten Notbetreuung, zum Beispiel kann ich zu Menschen kommen, um einen Konflikt zu schlichten oder einen Sterbenden zu besuchen, ihm die Beichte abzunehmen und die heilige Kommunion zu erteilen.

Alexej Ossipow, ein bekannter Theologieprofessor, sagt, dass Menschen, die in letzter Zeit selten in die Kirche gekommen sind, jetzt auf einmal empört sind, wenn man sie bittet, dies nicht zu tun. Aber siebzig Jahre lang war die Kirche in der Sowjetunion verboten, und doch konnten einige Christen ihren Glauben bewahren…

Vater Alexej: Natürlich ist das Konzept der Kirche für Orthodoxe extrem wichtig. Aber es gibt hier eine interessante Sache zu beachten. Schließlich hatten die ersten Christen keine Kirchen, sondern beteten in den Katakomben und im Allgemeinen nur dort, wo es möglich war. Ich rufe die Menschen ja nicht auf, in den Katakomben zu beten, aber lassen Sie uns nachdenken: Was bedeutet das Wort Pfarrei im Russischen? Es stammt von dem griechischen Wort παροικία, also Haus. Das ist unser Zuhause! Die frühe russisch-orthodoxe Kirche hatte eine Tradition des Hausgebets. Leider ist sie dann in Vergessenheit geraten. Aber jetzt werden sogar auf der Website des Moskauer Patriarchats die Regeln des Hausgottesdienstes veröffentlicht, so dass die Menschen auf diese Weise Trost finden können. Und so sehen wir, dass wir eine Vesper oder ein Matutin zu Hause zelebrieren können. In dieser schwierigen Zeit müssen wir etwas Positives sehen. Die Menschen merken plötzlich, dass sie nach Gottes Wort durstig sind, die Kirche und Gottesdienste vermissen. In all den Jahren meiner Tätigkeit als Priester habe ich noch nie Menschen gesehen, die so gefestigt und vereint waren. Jeden Tag rufen mich Leute an und erzählen, wie dumm sie waren, als sie die Gelegenheit hatten zur Kirche zu gehen, dies aber nicht taten. Es ist großartig, dass die Menschen das Gotteshaus vermissen.

[Daria Boll-Palievskaya/russland.NEWS]

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