„Er hat die Welt von der Angst befreit“: russische Stimmen zum Tod vom Michail Gorbatschow

„Er hat die Welt von der Angst befreit“: russische Stimmen zum Tod vom Michail Gorbatschow

Leiter des Rechnungshofes Alexej Kudrin:

Michail Gorbatschow, der Urheber des „neuen Denkens“ und der „Perestroika“, die dem Land und der Welt einen neuen Aufschwung bringen sollten, ist gestorben. Eine historische, mitreißende Persönlichkeit.

Vorsitzender der Liberaldemokratischen Partei und Leiter des Staatsduma-Ausschusses für internationale Angelegenheiten Leonid Slutsky:

Aus christlicher Sicht tut mir sein Tod leid… Aber es tut mir auch das große Land leid, dessen Untergang mit der Perestroika und dem „neuen Denken“ begann und denjenigen in die Hände spielte, die die Sowjetunion von der politischen Landkarte der Welt streichen wollten. Gott sei seiner Seele gnädig… Aufrichtiges Beileid an Familie und Freunde.

Kolumnist der Zeitung Kommersant Sergej Strokan:

Michail Gorbatschow, der erste und letzte Präsident der UdSSR, deren Zusammenbruch Wladimir Putin als „größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnete, ist gestorben. Die Regel „Über die Toten soll man nur gut oder gar nicht sprechen“ scheint für den historisch besiegten Reformer des Sozialismus und für eine in zwei kriegerische Lager gespaltene Welt nicht zu gelten.

Denn im öffentlichen Bewusstsein des modernen Russlands hält sich hartnäckig die Auffassung, dass Michail Gorbatschow und nur er die Schuld an der „geopolitischen Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ trägt – dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Verlust der Stellung der UdSSR als eine der beiden Weltsupermächte. Wäre er nicht dort gewesen, wäre die Sowjetunion nicht zusammengebrochen, der Warschauer Pakt hätte überlebt, die Berliner Mauer wäre nicht gefallen, die NATO hätte sich nicht nach Osten ausgedehnt und den Japanern wäre keine Gebietsfrage versprochen worden.

Journalist Leonid Parfjonow:

In einem Interview vor 11 Jahren sagte er zu mir: „Sie schreien, ich habe alles weggegeben. Ich habe Polen verschenkt, ich habe Ungarn verschenkt! An wen habe ich alles verschenkt? Polen an die Polen, Ungarn für die Ungarn?“.

Zwei Verdienste von Gorbatschow, die heute besonders wertvoll sind. Die Sowjetunion ist mit wenig Blut zusammengebrochen – mit viel Blut will man sie jetzt zurückzugewinnen. Und: Er verließ das Land nach sechs Jahren an der Macht im Alter von 60 Jahren. Er hat einfach einer neuen Zeit Platz gemacht, die er selbst ins Leben gerufen hat.

Gründer der Partei Jabloko Grigorij Jawlinski:

Gorbatschow hat uns die Freiheit gegeben. Er schenkte Hunderten von Millionen Menschen in und um Russland und auch halb Europa die Freiheit. Wie wir in Russland die uns gegebene Freiheit, diese große Chance, genutzt haben, liegt in unserer Verantwortung.

Nur wenige Führungspersönlichkeiten in der Geschichte haben ihre Zeit so entscheidend geprägt. Michail Gorbatschow hat während seiner sechsjährigen Amtszeit die Welt verändert. Gorbatschow hat Russland nicht verlassen. Er wäre in jedem anderen Land willkommen gewesen, aber er blieb in seinem Heimatland, wo er unter dem Unverständnis und der Ablehnung der Masse litt.

Oppositionspolitiker Michail Chodorkowski:

Das Wichtigste, was Gorbatschow für mich persönlich beim ersten Treffen getan hat – er hat mir für immer die Ehrfurcht vor den Menschen auf dem Thron genommen. Damit hat er mein Leben verändert. Und auch durch sein Verhalten gegenüber Raisa Maximowna – eine zweite wichtige Lektion. Er ging zu ihr. Ruhe in Frieden. Entschuldigung, ich meine nicht die Politik. Beim Tod von Gorbatschow geht es um etwas, das schon lange persönlich ist.

Politologe Alexander Kynew:

Michail Sergejewitsch war ein großer Mann. Nicht perfekt, aber groß. Lebendig und hell.

Wir alle machen Fehler, auch er hatte welche. Aber ein Mann mit einer so enormen Macht zu bleiben und sich nicht mit Blut zu besudeln (was wir 1990 und 1991 gesehen haben, sind solche Kleinigkeiten im Vergleich zu dem, was unter einem anderen Mann hätte passieren können), ist eine bürgerliche und menschliche Leistung. Es ist ihm zu verdanken, dass wir den großen Krieg beim Zusammenbruch der Sowjetunion nicht erlebt haben. Ewiges Andenken.

Chefredakteur der Novaja Gazeta und Nobelpreisträger Dmitry Muratow: 

Ich habe gehört, dass er es geschafft hat, die Welt zu verändern, aber nicht sein Land. Das mag sein. Aber er hat dem Land und der Welt ein unglaubliches Geschenk gemacht – er hat uns dreißig Jahre Frieden beschert. Ohne die Gefahr eines globalen und nuklearen Krieges. Wer sonst könnte so etwas tun?

Aber. Das Geschenk ist vorbei. Das Geschenk ist weg. Und es wird keine Geschenke mehr geben.

Ehemaliger Chef des präsidialen Menschenrechtsrates Michail Fedotow:

Michail Gorbatschow hat die Menschheit vom Rande des Atomkriegs weggeführt und Russland wieder in die zivilisatorische Entwicklung zurückgeführt.

Professor Ruslan Grinberg, ein guter Freund von Michail Gorbatschow

Michail Gorbatschow war eine einzigartige Persönlichkeit, denn er hat die Welt von der Angst befreit. Er erzählte mir, wie er mit Reagan scherzte. Er sagte zu dem damaligen amerikanischen Präsidenten: „Wir werden euch einen schrecklichen Schlag versetzen.“ Reagan war sehr überrascht und fragte: „Wie meinen Sie das?“ Und Gorbatschow antwortete: „Wir werden euch eures Feindes berauben!“ Ich habe ihn zuletzt vor vierzehn Tagen besucht und ihm gesagt, dass die Deutschen ihn für den besten Deutschen aller Zeiten halten. Und er antwortete: „Richte ihnen aus, dass ich damit einverstanden bin“.

[hrsg/russland.NEWS]

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