Eisbaden – keine Pflicht, aber Tradition

Eisbaden – keine Pflicht, aber Tradition

In der Nacht des Christi-Taufe-Festes, das nach dem julianischen Kalender am 19. Januar begangen wird, werden alle Gewässer geweiht. Das Fest der Taufe Christi ist auch als „Große Wasserweihe“ bekannt. Nach dem nächtlichen Gottesdienst und nach der Liturgie am 19. Januar zelebriert der Priester die Wasserweihe, in dem er das Kreuz drei Mal ins Wasser taucht.

Die Gläubigen strömen in die Kirchen, um geweihtes Wasser nach Hause zu holen. Diesem Wasser wird in der orthodoxen Welt eine besondere Kraft und Bedeutung zugesprochen. Bis zur nächsten Weihe wird das Wasser zu Hause aufbewahrt. Die Orthodoxen glauben, dass Christi-Taufe-Wasser eine heilende Wirkung besitzt. Man trinkt es nicht nur, sondern besprenkelt damit das Haus. „Das Wasser, das in dieser Nacht aus einem Eisloch oder aus einem Brunnen geschöpft wird, hat starke Heilkräfte. Es ist ein wundertätiges Wasser, ein heiliges, das Jesus Christus durch seine Taufe geweiht hat. Es kann nicht verderben, auch wenn man es lange stehen lässt“, schrieb der russischer Schriftsteller Andrej Sinjawski.

In dieser Jahreszeit sind die meisten Seen und Flüsse in Russland zugefroren. Da am 19. Januar alle Gewässer als heilig gelten, gehen viele Gläubige in Eislöchern baden, um sich einer Reinigung zu unterziehen. Allein in Moskau nehmen an dieser Zeremonie jährlich mehr als 30.000 Menschen teil. „Für Orthodoxe ist das eisige Ritual ebenso Pflicht wie für den Katholiken die Sonntagsmesse“, las man vor Jahren im deutschen Nachrichtenmagazin Focus, der den Titel „Kälteschock statt Beichte“ trug. Das ist natürlich ein absoluter Unsinn. Weder ist das Baden am 18. und 19. Januar ein Ersatz für die Beichte, noch ist es eine Pflicht. Ganz im Gegenteil: viele Priester warnen davor, ohne Vorbereitung ins eisige Wasser zu springen, denn weder bringe das eine Erlösung, noch könne es von allen Sünden befreien.

Und doch ist das Eintauchen ins heilige Wasser eine Tradition, ein alter Brauch, der zwar nicht zwingend zum Fest selber gehört, aber unter (auch nicht gläubigen) Russen sehr populär ist. In diesem Jahr hat man allein in Moskau 60 spezielle Stellen mit Umkleidekabinen und sogar WCs errichtet, wo Gläubige in das eiskalte Wasser eintauchen können. Man rechnet mit fast zweihunderttausend Menschen. Polizei und Notärzte sind immer vor Ort. Sogar am Revolutionsplatz, direkt vor den Kremlmauern werden drei gigantische Fässer mit Wasser aufgestellt, wo man das Ritual auch vollziehen kann. Auf unzähligen Internetseiten kann man sich informieren, wo es Möglichkeiten zum Eisbaden gibt und welche Regeln man beachten sollte. Gott sei Dank erwartet man in diesem Jahr keine starken Fröste („nur“ minus 13 Grad), denn sonst herrscht um diese Zeit klirrende Kälte (im Russischen spricht man sogar von Christi-Taufe-Frösten). In den letzten Jahren nahmen im ganzen Land insgesamt etwa eine Million Russen in der Nacht von 18. auf den 19. Januar am Eisbaden teil. Vielleicht werden es dieses Jahr noch mehr. Zwar ist Christi-Taufe in Russland kein Feiertag, aber 2019 fällt das Fest auf einen Samstag.

[Daria Boll-Palievskaya/russland.NEWS]

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