Eine Holzpuppe als Sinnbild der russischen Rätselhaftigkeit

[Daria Boll-Palievskaya] „Russland ist ein Rätsel, umgeben von einem Mysterium, verborgen in einem Geheimnis“. Wenn man diesen Satz von Winston Churchill liest, hat man sofort das Bild von der berühmten russischen Holzpuppe vor Augen. Man macht eine bemalte Holzpuppe auf, und es kommt eine kleinere Puppe ans Tageslicht, in der wiederum eine noch kleinere Puppe steckt, in der…  usw. usf. Wie heißt sie doch gleich? Die Babuschka oder die Mamuschka?

Merkwürdig, dass nur wenige hierzulande wissen, wie die Puppe wirklich heißt. Dabei gilt sie als das Russlandsouvenir schlechthin. Und kaum ein Buch über Russland darf ohne obligatorische Holzfigur auf dem Cover erscheinen, als ob es im Land mit neun Zeitzonen keine anderen Sinnbilder gäbe.

Der richtige Name der rundlichen Holzschönheit ist Matrjoschka. Normalerweise besteht sie aus drei oder fünf Puppen, doch es gibt Sets mit fast 40 Matrjoschkas. Inzwischen kann  man sie in allen Farben und Stilrichtungen kaufen.

Zum zehnjährigen Jubiläum der russischen „Vouge“ z.B. haben 31 weltberühmte Designer wie Giorgio Armani oder Roberto Cavalli der traditionellen Puppe ein Outfit im Stil ihres Mode-Labels verpasst. Ursprünglich stellte sie eine russische Bäuerin dar – folkloristisch gekleidet, mit roten Wangen und großen runden Augen. Matrjona ist ein russischer Frauenname und Matrjoscha oder Matrjoschka – eine Verniedlichung davon.

Eine Matrjoschka sieht harmlos, volkstümlich und richtig mütterlich aus, birgt aber ein Geheimnis in sich. Man weiß ja schließlich nie, wie viele kleine Figürchen drin stecken. Ist sie deswegen zum Russland Symbol für Europäer geworden? Weil man im Westen davon ausgeht, dass Russland so unberechenbar und immer für eine Überraschung gut ist? Ein Rätsel eben.

Wenn man die Russen selbst fragt, was ihr Land symbolisiert, dann nennen sie die Balalaika, die Birke, den Bären oder den Samowar. Martjoschka kommt in dieser Liste zwar auch vor, aber nicht unbedingt an der ersten Stelle. So hat sie es auch nicht geschafft, offizielles Maskottchen der Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi zu werden und dufte sich nur mit der Rolle eines olympischen Souvenirs (entsprechend bemalt) begnügen.

Doch andererseits versucht man mit Hilfe von Matrjoschka in Russland seine eigene Geschichte zu verstehen: in einer große Lenin-Matrjoschka verbergen sich Stalin, Chruschtschow,  Breschnew, Gorbatschow, Jelzin und schließlich ein ganz kleiner Putin. Oder in einer umgekehrten  Reihenfolge, wobei Putin als Übervater für alle anderen Machtinhaber erscheint.

Soll uns diese Matrjoschkas etwas über die Kontinuität in der russischen Politik sagen? Wenn man das wüsste, wäre Russland kein in einem Mysterium verborgenes Geheimnis.

Was gibt es russischeres als eine Matrjoschka! Doch die  Holzpuppe ist ja gar nicht so alt. Sie  entstand in Russland erst Ende des 19. Jahrhunderts. Und die Idee einer auseinandernehmbaren Holzpuppe kommt angeblich aus Japan. Die Ehefrau des Künstlers Sergej Mamontow, der als Schöpfer von Matrjoschka gilt, war auf der Insel Honshu und brachte von dort eine verschachtelte Fukurokuju-Figur mit. Allerdings erzählte man, dass ein auf der Insel lebender russischer Mönch diese Puppen schnitzte…

Video-Classic: Riesen-Matrjoschkas in Moskau

 

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