Die Ukraine im westlich-russischen Spannungsfeld. Die Krise, der Krieg und die Aussichten

„Die Ukraine im westlich-russischen Spannungsfeld. Die Krise, der Krieg und die Aussichten“: das Buch vom Christian Wipperfürth ist eine akribische Analyse des Konflikts

An Büchern über die Ukraine Krise mangelt es in Deutschland nicht. Dabei ergreifen die Autoren immer Partei. Das Lager der „Russland-Versteher“ argumentiert gegen die „Kreml-Kritiker“ und „Transatlantiker“ und umgekehrt.

Christian Wipperfürth will mit seinem Sachbuch „Die Ukraine im westlich-russischen Spannungsfeld. Die Krise, der Krieg und die Aussichten“ niemanden von der einen oder der anderen Position überzeugen. Sein Werk ist eine chronologische, ja beinahe minuziöse Studie der Ereignisse und eine präzise Untersuchung der Hintergründe.

Der Autor holt weit aus und beginnt seine Analyse mit dem Zerfall der UdSSR. Damals, erinnert er uns, warnte sogar Georg Bush bei seinem Besuch in Kiew im August 1991 vor der Unabhängigkeit und „selbstmörderischem Nationalismus“. Dreizehn Jahre später, Mitte 2004 veröffentlichte die Ukraine eine Militärdoktrin, in der „die EU- und NATO-Mitgliedschaft als Ziele bezeichnet wurden“. Schon damals war die ukrainische Außenpolitik sprunghaft, weil die Führung in Kiew glaubte, mal Russland, mal dem Westen „Zugeständnisse machen zu müssen“. Im Kapitel „Vor der Orange-Revolution bis Herbst 2013“ kann man aufgrund der Statistiken und Grafiken feststellen, wie das Land zwischen Russland und dem Westen hin-und hergerissen ist: 93% der befragten Russen und 33% der Ukrainer im Jahre 2009 sahen Russland positiv; 42% wünschten sich die Annährung mit Russland. Dabei nahmen die Spannungen mit Russland gleichzeitig deutlich zu.

Orange, betont der Autor, hatte 2004 den Sieg davongetragen, weil die Menschen innere Reformen wollten. Doch weder die Regierung Juschtschenko, noch Janukowitsch schafften es, Reformen im Inneren durchzuführen. Wupperfürth geht auch auf Zweiteilung der Ukraine genau ein. Laut der Volkszählung von 2001, gaben 29,6% Russisch als ihre Muttersprache an. Dazu kommt die Kirchenspaltung im Land. „Eine Teilung des Landes stand aber zu keiner Zeit in Aussicht(…). Um die Sprachenfrage entbrannten jedoch wiederholt Konflikte“.

Christian Wupperfürth verfolgt die Historie des Konflikts weiter. Die Proteste vom November 2013 bis Februar 2014, die Abstimmung auf der Krim, die Eskalation der Gewalt in der Ostukraine, die Präsidentschaftswahlen, der Krieg in der Ostukraine, der Flugzeugabschuss – alles wird akribisch dokumentiert, mit Fakten und Zahlen belegt. Allein diese genaue Rekonstruktion der Ereignisse, beantwortet viele offene Fragen. Was hat Russland zu verlieren, was hat EU zu befürchten, was sind die Ziele der USA? Wupperfürth geht dabei chronologisch vor, erläutert alle Schritte und Gegenmaßnamen in ihrer Reihenfolge.

Doch das Buch ist keine pure Chronik des Konflikts. Der Autor analysiert genau, welche Rollen alle Akteure haben. Die Ziele von Russland fasst er so zusammen: „Die Ukraine darf nicht der NATO beitreten“; das Land „soll eine föderale Ordnung erhalten“, und die russische Sprache „soll einen dauerhaft gesicherten Status erhalten“. Er betont, dass es immer noch keine Beweise für den Einsatz der regulären russischen Truppen gibt, obwohl die ganze Welt glaubt, genau das zu wissen. „Russland hatte die Separatisten ermutigt und zumindest indirekt unterstützt (…) Die Unruhe in der Ostukraine besaß ihre Basis aber vor Ort“. Auf der anderen Seite werden alle Kiewer Berichte im Westen „kritiklos übernommen“ und verbreitet. Als der ukrainische Geheimdienstchef z.B. erklärte, die Gefängnisse in der Ukraine seien mit russischen Geheimdienstlern überfüllt, legte er keine Belege vor und „wurde von westlicher Seite hierzu auch nicht aufgefordert“. Mehr noch, am 06. März 2014 beschlossen die EU- Staats- und Regierungschefs die Verhandlungen über ein neues EU-Russland-Abkommen auszusetzen. So stellte sich die EU „bedingungslos auf die Seite der neuen Kiewer Führung“. Und indem die EU-Staaten im Juli 2014 auf weitere Sanktionen gegen Russland einigten, war das „ein Signal an Kiew, mit der Offensive fortzufahren, ohne sich auf Verhandlungen einzulassen“.

Wichtig für Wupperfürth ist die Rolle Deutschlands im Konflikt zu erläutern. Jede Handlung des deutschen Außenministers, jede Äußerung der Kanzlerin wird dokumentiert und in den gemeinsamen politischen Kontext gestellt. Immer wieder stellt er fest, dass der Außenminister Steinmeier auch an Kiew mahnende Worte richtete, deeskalierte, vor dem Ausschluss Russland aus der G8 warnte und eine „von NATO-Vertretern geforderte Aufrüstung“ ablehnte. „Die Lage in Europa (…) wäre nicht so eskaliert, wenn der Westen der auf Interessenausgleich gerichteten deutschen Haltung gefolgt wäre“, stellt er mit Bedauern fest.

Zum Schluss werden dem Leser nochmal die Ursachen der Krise vor Augen geführt: die „Spaltung der Bevölkerung“ und „die westlich-russische Rivalität“. 2013 forderte Manuel Baroso eine Entscheidung Kiews für Brüssel. „Eine Sowohl-als-auch, wofür etwa die Bundeskanzlerin und Außenminister Steinmeier wiederholt eintraten, konnte sich im Westen nicht durchgesetzt werden“. Die ganze Dimension der Krise besteht auch darin, dass sie Züge „eines Stellvertreterkrieges“ bekommen hat. Denn die USA hat ihre Hände auch im Spiel: „Russland war nach dem Ende des Ost-West-Konflikts das erste Land, das bereits in der Lage war, die USA offen herauszufordern (…). Moskau musste in die Schranken gewiesen werden. „Ein Kompromiss in der Ukrainefrage (…) kam aus US-Sicht nicht in Frage“.

Christian Wupperfürth beschränkt sich nicht nur auf die umfassende Analyse der Krise, sondern wagt einen Ausblick. Dabei warnt er vom erneuten Aufflammen des Konflikts. Die Gründe dafür nennt er auch. Neben der katastrophalen wirtschaftlichen Lage der Ukraine, ist das die Tatsache, dass der Westen die Entschlossenheit Russlands und der Rebellen unterschätzt: „Die Ukraine ist für Russland von weit größerer Bedeutung als für die USA oder die Staaten Westeuropas. Russland ist bereit, einen weit höheren Preis für eine Lösung der Ukrainekonflikts in seinem Sinne zu bezahlen als der Westen“. Die Prognosen des Autors sind düster: „Der Westen und Russland haben sich in ein Nullsummenspiel verstrickt, in dem die Ukraine vollends zu zerbrechen droht“. Man kann sich nur wünschen, dass sich der sonst so präzise Autor in diesem irrt.

Daria Boll-Palievskaya/russland.RU

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