Die Spur von Edward Snowden nach Moskau

[von Daria Boll-Palievskaya] Es schien, als hätte man über Edward Snowden schon alles erzählt. Tausende Journalisten haben über die NSA-Affäre berichtet, Spiel- und Dokumentationsfilme sind gedreht, mehrere Bücher geschrieben worden. Aber dem Leiter Investigative Recherche vom „Handelsblatt“ Sönke Iwersen ist es doch gelungen, eine Geschichte zu finden, die noch nicht erzählt wurde – die Geschichte über einfache Menschen, die im Jahre 2013 den meistgesuchten Mann der Welt zwei Wochen lang bei sich versteckt hielten. Es waren Flüchtlinge aus Sri Lanka und den Philippinen  – Ajith, Vanessa, Nadeeka und Supun -, die seit Jahren in Hongkong auf die Entscheidung in ihren Asylverfahren warteten, „nicht genug zum Leben und nicht genug zum Sterben“ hatten, und buchstäblich ihr Leben riskierten, um Snowden zu helfen. Die Flüchtlinge in Hongkong warten Jahrzehntelang auf ihr Asyl, sie dürfen nicht arbeiten, bekommen aber kein Geld, nur Gutscheine für bestimmte Waren und Dienstleistungen. Iwersen`s Enthüllungsartikel im „Handelsblatt“ hat damals hohe Wellen geschlagen.

Was ist inzwischen aus den „Schutzengeln von Edward Snowden geworden“? Darüber erzählte Sönke Iwersen in einem spannenden Vortrag im Deutsch-Russischen Wirtschaftsclub in Düsseldorf. Durch die Veröffentlichungen im Handelsblatt sind sie berühmt geworden, aber ihre Lage hat sich in keiner Weise gebessert. Ganz im Gegenteil. „Keine gute Tat bleibt ungestraft, lautet eine sarkastische Weisheit“. Für die Helfer von Snowden wurde dieses böse Sprichwort Realität. Die Hongkonger Behörden haben inzwischen die sozialen Leistungen für sie eingestellt, und sie müssen sogar um ihre Zukunft fürchten. Um ihnen zu helfen, hat der deutsche Journalist eine Internetseite eingerichtet, um Spenden für sie zu sammeln. Er habe auch Unternehmen angesprochen, für die die benötigte Summe „ein Klacks wäre“. Aber alle haben mit dem gleichen Argument abgesagt: Vor Snowden hätten sie zwar einen gewissen Respekt, aber ihre amerikanischen Beziehungen möchte sie nicht gefährden. Auch Deutschland will den Rettern von Snowden nicht helfen. Denn für sie gilt das gleiche Prinzip, wie für Snowden: sich bloß nicht mit Amerika anlegen. Waren also die Taten der mutigen Helfer umsonst? „Mit ihren Asylanträgen ging es noch vor einem halben Jahr nicht vor und nicht zurück. Jetzt ist die Bewegung da, und ihnen ist eine große Last von Schultern gefallen, denn sie mussten drei Jahre lang das Geheimnis hüten, dass sie damals Snowden geholfen haben“, sagt Iwersen. Inzwischen setzt sich eine Gruppe von kanadischen Anwälten für sie ein und bereitet ihre Asylantrüge für Kanada vor.

Snowden hat auch den Asylantrag gestellt. In 28 Ländern. Er hat entweder gar keine Antwort oder eine Absage bekommen. Die deutsche Regierung möchte Snowden auch nicht haben. „Es ist unstrittig, dass dieser Mann in seinem Land politisch verfolgt wird. Wenn Trump damals als Präsidentschaftskandidat sagte, den sollte man erschießen, da braucht man keine anderen Argumente für ein Asyl. Aber die deutsche Politik möchte nicht noch mehr Ärger mit den Amerikanern haben“, sagt Iwersen.

Im Gespräch mit dem deutschen Journalisten hat Snowden gesagt, dass er sich in Moskau frei bewegen kann. Nur in den Computerläden wird er erkannt. Doch die Illusion, dass er für immer sicher ist, hat er nicht. Und doch hofft er, dass die Publicity ihn schützt. Iwersen glaubt nicht, dass Snowden irgendwelche Informationen der russischen Regierung angeboten hätte, um zu bleiben. Natürlich ist er von FSB angesprochen worden, aber er hat alles „The Guardian“ übergeben.  Die Theorie, dass Snowden ein russischer Spion sei, hält Iwersen für ziemlich an den Haaren herbeigezogen. „Also den größten Whistleblower aller Zeiten in Hongkong von amerikanischen Journalisten interviewen lassen, dann von einem kanadischen Menschenrechtsanwalt bei Flüchtlingen aus Sri Lanka zwei Wochen unterbringen, um dann vier Wochen auf dem Moskauer Flughafen in einem Container warten lassen, mir erscheint das ausgesprochen unglaubwürdig, dass dahinter eine Geheimdienststrategie stecken sollte“, sagte Iwersen. Aber natürlich war es für die Russen eine Genugtuung, dem „größten Verräter von Amerika zu sagen, er kann bei uns bleiben und an den kommt ihr auch nicht ran. Außerdem konnte die russische Administration sich so „als Menschenrechtskämpfer positionieren“.

Fast vier Jahre ist es mit den Enthüllungen von Snowden her. Sein Name steht nicht mehr in den Schlagzeilen. Hat er tatsächlich etwas bewirkt oder war sein Handeln umsonst, wollte ich von Sönke Iwersen wissen. „Auf gar keinen Fall! Natürlich geht es Snowden persönlich schlechter als vorher. Und wir wissen nicht, ob die NSA jetzt neue Programme zur Bespitzelung schreibt. Es ist auch nicht so, dass wenn man etwas aufdeckt, dass es sich sofort bessert. Auch als das Massaker von Son My im Vietnamkrieg aufgedeckt wurde, haben Morde und Folter an Zivillisten nicht aufgehört. Auch die Berichte über Guantanamo haben nicht dazu geführt, dass dieses Gefängnis geschlossen wurde. Also wenn man einen Artikel über Massentierhaltung oder Steuerhinterziehung schreibt, hört das Böse nicht in einem halben Jahr auf. Ein wenig Frust gehört halt zum Beruf. Man kann nur hoffen, dass sich was ändert“.

Daria Boll-Palievskaya – russland.NEWS

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