„Die NATO muss sich wenigstens auf klare Verhaltensregeln mit uns einigen“Konstantin Kossatschow © Maxim Blinov/Büro Kossatschow

„Die NATO muss sich wenigstens auf klare Verhaltensregeln mit uns einigen“

Der Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des Föderationsrates Konstantin Kossatschow im Interview mit russland.NEWS

Als Reaktion auf Russlands angebliche „nukleare Bedrohung“ für westliche Länder hat die NATO vorige Woche eine neue Militärstrategie angekündigt. Der Vorsitzende des Ausschusses für internationale Angelegenheiten des Föderationsrates Konstantin Kossatschow sprach über die Beziehungen zur NATO und über das Bild Russlands im Westen.

Konstantin Iossifowitsch, das Bild von Russland im Westen ist, gelinde gesagt, negativ. Wie Sie einmal sagten, „es ist ein Jammer.“ In diesem Zusammenhang habe ich zwei typisch russische Fragen an Sie: Was tun und wer ist schuld?

Konstantin Kossatschow: Beginnen wir mit der Schuldfrage. Ein gewisser Teil der Verantwortung liegt auch bei Russland, weil wir die Bedeutung des Ansehens der Staaten in der modernen Welt lange unterschätzt haben. Ein bisschen naiv dachten wir, wenn wir eine reine Weste haben, würde das für alle anderen ausreichen, um so zu denken. Es stellte sich jedoch heraus, dass ein Teil des Wettbewerbs um Märkte und Einflussbereiche darin besteht, das Image geopolitischer Wettbewerber irreparabel zu schädigen. Als wir auf dieses Phänomen stießen, waren wir darauf nicht vorbereitet. Warum finden Manipulationen des Images der Russischen Föderation im Westen Abnehmer? Dafür gibt es drei Gründe.

Zum einen galt Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion als Nachfolgestaat der UdSSR. Die Angst vor der Sowjetunion, die die Menschen während des Kalten Krieges hatten, blieb im Hinterkopf und wurde von den Medien geschürt. Aus der sowjetischen Bedrohung wurde eine russische.

Der zweite Grund ist, dass wir oft nicht so handeln, wie es der „kollektive Westen“ von uns erwartet. Unser Andersdenken wird als Versuch dargestellt, den Westen zu spalten. Die Russen haben einen sehr starken Gerechtigkeitssinn, und danach handeln wir. Ein einfaches Beispiel sind die Sanktionen gegen den Iran. Wenn wir nur unsere Interessen verfolgen würden, würden wir die Verlängerung der Sanktionen unterstützen, da der Iran ein wichtiger Ölexporteur ist und seine Abschwächung zu einem Anstieg der Ölpreise führen würde. Es wäre also für Russland von Vorteil. Wir halten die Sanktionen jedoch für unfair und lehnen wirtschaftliche Sanktionen aus politischen Gründen ab. Das ist unsere Motivation. Im Westen wird es jedoch als Abkommen zwischen dem Iran und Russland dargestellt.

Und der dritte Grund ist die vorsätzliche und unfaire Diskreditierung der Russischen Föderation als Konkurrenten. Es genügt, das Bild der bösen Russen zu zeichnen, die aus politischen Gründen das Gasventil zudrehen, um den Zugang von amerikanischem Flüssiggas nach Europa zu gewährleisten.

Nun zu Ihrer zweiten Frage: Was tun? Zunächst müssen wir die Situation nüchtern einschätzen und entsprechend handeln. Ich sage nicht, dass wir immer gespiegelt antworten sollen. Viel wichtiger ist die Verbreitung objektiver Informationen über Russland. Seit Jahrzehnten haben wir auf diesem Gebiet nichts unternommen. Schauen Sie sich die Geschichte unserer Nachrichtenagenturen an. RT, Sputnik, RBTH – all diese Medien sind erst vor wenigen Jahren entstanden …

Und haben bereits im Westen den Ruf der „fünften Kolonne Putins“ …

Konstantin Kossatschow: Mit einem Mausklick kann man ganz einfach behaupten, dass dies alles Fake News und russische Propaganda seien. Aber unser Ruf hängt nicht nur davon ab, wie wir eine Informationskampagne organisieren, sondern von unseren innen- und außenpolitischen Erfolgen.

Der Kalte Krieg ist vorbei, aber das Blockdenken bleibt …

Konstantin Kossatschow: Die grenzenlose Solidarität des Westens mit der NATO ist eindeutig überholt. Während des Kalten Krieges und der Konfrontation der beiden Militärblöcke stellten wir tatsächlich eine Bedrohung für einander dar. Lassen Sie uns einen genaueren Blick auf die realen Bedrohungen für die moderne Welt werfen: Terrorismus, Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, Drogenhandel, unkontrollierte Migration, organisiertes Verbrechen, Menschenhandel und Cybersicherheit. Die NATO kann auf keines dieser Probleme eine angemessene Antwort geben. Denn diese Probleme werden nicht in militärischen Bündnissen, sondern durch gemeinsame Anstrengungen gelöst.

In den Köpfen vieler europäischer Politiker herrscht jedoch die tiefe Überzeugung, dass nur die NATO einen Schutz gegen jegliche Gefahren darstellt. Ich nehme jedes Jahr an der Münchner Sicherheitskonferenz teil und wundere mich, dass die Diskussionen über alle Probleme mit einer Zauberformel enden: Die NATO ist ein Allheilmittel gegen alle Übel. Dabei hätten wir perfekt zusammenarbeiten können. Nehmen Sie Afghanistan als Beispiel. Die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS), zu der die an Afghanistan angrenzenden Staaten und Russland gehören, verfügt über enorme Kompetenz bei der Lösung des Konflikts und ist bereit, ihre Erfahrungen mit den NATO-Ländern zu teilen. Die OVKS bot mehr als zehnmal ihre Zusammenarbeit in diesem Bereich an. Als Antwort darauf gibt es nur Stille. Für die NATO bedeutet dies, dass sie gleichberechtigt mit uns sprechen müssen, aber sie können nicht akzeptieren, dass wir politisches Gewicht haben.

Die Europäer argumentieren, Russland habe nichts zu befürchten, die NATO sei ein Verteidigungsbündnis.

Konstantin Kossatschow: Die Militärs denken nicht in politischen Begriffen, sondern gehen von den Möglichkeiten des Waffeneinsatzes aus. Je näher diese Waffen an unsere Grenzen rücken, desto eher müssen wir Gegenmaßnahmen ergreifen. Die Allianz muss sich wenigstens auf klare Verhaltensregeln mit uns einigen.

Und höchstens …?

Konstantin Kossatschow: Vor zwei Jahren sagte der NATO-Generalsekretär auf der Münchner Sicherheitskonferenz: Die territoriale Verteidigung der NATO beginnt hinter den Grenzen des Bündnisses. Ich fragte ihn: „Herr Stoltenberg, stellen Sie sich für eine Sekunde vor, dass die Russische Föderation den gleichen Wortlaut verwenden würde!“ Das hätte zu einem internationalen Skandal geführt. Uns hätte man der Aggression und der Verletzung des Völkerrechts beschuldigt.

Die NATO überschreitet ständig ihre Grenzen und ihren Einfluss, schließt aber dabei aus, dass sich jemand anders so verhalten darf. Das Nordatlantische Bündnis ist die Hauptquelle für die Aufrechterhaltung der Trennlinien in Europa. Der Pariser Charta von 1989 zufolge ist die Sicherheit in Europa unteilbar. Die NATO hingegen teilt die Sicherheit in eine Sicherheit, die für sich selbst privilegiert ist, und eine Sicherheit, die für andere übrigbleibt. Dem werden wir nie zustimmen.

Die baltischen Länder fühlen sich jedoch von Russland bedroht, weshalb die NATO dort Truppen stationiert hat.

Konstantin Kossatschow: Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wollten die baltischen Länder so schnell wie möglich der westlichen Gemeinschaft beitreten. Zu diesem Zweck provozierten sie Probleme mit Russland durch die Politik der Diskriminierung der russischsprachigen Bevölkerung. Dies verursachte eine Gegenreaktion unsererseits. Wir begannen von diesen Ländern die Beseitigung der Institution der Staatenlosigkeit zu fordern und ergriffen wirtschaftliche Maßnahmen. Diese Vergeltungsmaßnahmen wurden als russische Aggression dargestellt. Die Logik ist wie folgt: Erst die Bedrohung verkünden und dann um Schutz bitten. Russland stellt weder für die baltischen Staaten noch für ein anderes Land der Welt eine militärische Bedrohung dar. Jetzt versucht die Ukraine, das gleiche Schema zu verwenden: Richtung Westen zu gehen, indem sie Probleme in Richtung Russland provozieren. Dies ist ein transparentes Spiel, das völlig im Widerspruch zum tatsächlichen Stand der Dinge steht.

Russland wird beschuldigt, gegen den INF-Vertrag verstoßen zu haben.

Konstantin Kossatschow: Die NATO ist keine Partei dieses Vertrags und hätte eigentlich daran interessiert sein müssen, ihn aufrechtzuerhalten. Ich habe Herrn Stoltenberg die Frage gestellt: „Sie akzeptieren den amerikanischen Standpunkt, wie dieser Vertrag eingehalten wird. Aber wo, wann und auf welcher Ebene haben Sie sich mit der zweiten Vertragspartei, das heißt mit Russland, beraten, um eine objektive Meinung darüber bilden zu können, was in Wirklichkeit vor sich geht?“ Er wich meiner Frage aus. Wir hätten uns eigentlich mit den Amerikanern immer noch streiten können, aber sobald sich die Nordatlantische Allianz bedingungslos hinter sie stellte und aus Gründen der Bündnisstreu eine voreingenommene und einseitige Haltung einnahm, brach der Vertrag zusammen. Und ich möchte, dass Europa versteht, dass die amerikanischen Interessen nicht immer mit den Interessen des Bündnisses übereinstimmen.

Sie haben einmal gesagt, das Maximalziel der NATO sei ein „Maidan in Moskau“.

Konstantin Kossatschow: Russland ist eines der wenigen Länder der Welt, das sich eine souveräne Politik erlaubt. Und das irritiert sicherlich den Westen, der die Welt weiterhin beherrschen möchte. Wirtschaftssanktionen zielen auch darauf ab, die Entwicklung Russlands zu bremsen.

Russland spricht von der Multipolarität der Welt, aber ich denke, die Amerikaner sind anderer Meinung.

Konstantin Kossatschow: Die Russen sagen, den König spielt das Gefolge. Solange die Verbündeten der Vereinigten Staaten sie in dieser Meinung unterstützen und die alleinige Führung der Vereinigten Staaten begrüßen, wird sich nichts ändern. Für so mächtige Volkswirtschaften wie Deutschland ist das meiner Meinung nach einfach demütigend. Wir bieten alternative Entwicklungsmöglichkeiten.

Herr Kossatschow, Sie stehen auf der Sanktionsliste der USA. Schränkt das Sie irgendwie ein?

Konstantin Kossatschow: Dies schafft bestimmte Probleme bei der Arbeit. Ich nehme jährlich an der Sitzung der UN-Generalversammlung in New York teil. Wenn ich jedoch ein Treffen außerhalb des UN-Hauptquartiers abhalte, wird dies als Verstoß gegen das Visaregime angesehen. Ich bin der erste Vizepräsident der Interparlamentarischen Union. Diese internationale Organisation befindet sich 200 Meter vom UN-Hauptquartier entfernt, und ich sollte mich mit dem Generalsekretär der IPU treffen. Aber ich hatte kein Recht dorthin zu gehen. Infolgedessen war Frau Gabriela Barron gezwungen, zu unserem bilateralen Treffen zur UNO zu kommen.

Übrigens, diese Sanktionsliste gibt nicht die Gründe an, warum eine bestimmte Person in sie aufgenommen wurde. Ich stehe dort neben Al-Qaida und wahren Terroristen und werde als „Mitglied der russischen Regierung“ bezeichnet, was nicht stimmt. Ich appellierte an die Kommission zum Schutz der Rechte der Parlamentarier im Rahmen der IPU mit der Bitte, diese amerikanische Praxis der Erstellung von Sanktionslisten zu bewerten. Auf der letzten Sitzung im April gab die IPU eine Erklärung ab, dass die Union die Praxis der Verhängung von Sanktionen gegen Parlamentarier radikal ablehnt und ihre Aktivitäten nicht in den Ländern durchführen wird, die diese Praxis anwenden.

Die fünfte Konferenz der IPU-Sprecher, die im Jahr 2020 stattfinden wird, findet in Wien statt und nicht in New York, wo sie dreimal stattfand. Ich freue mich sehr, dass eine solche grundsätzliche Position vertreten wurde.

Herr Kossatschow, vielen Dank für das Gespräch.

[Daria Boll-Palievskaya/russland.NEWS]

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