Die Krim und der Champagner Teil 2 – Die Natur hat ihre Lieblinge

[Von Hans-Ulrich Berger] Von der Champagne wechselt die kleine Löwengeschichte auf den südlichen Teil der Halbinsel Krim. Östlich der Hafenfestung Sewastopol an den zum Schwarzen Meer gelegenen Hänge des Krimgebirges faltet und klüftet sich eine der eindruckvollsten Küsten Europas – ein Cocktail aus den Stränden der westlichen Algarve mit den Meeralpen im Rücken.

Nachdem es den Machthabern im italienischen Genua gelungen war, die letzten Muselmanen von Sardinien zu vertreiben, konnten sich die Genueser Kaufleute endlich ungestört dem Osthandel zuwenden.

Quasi im Windschatten der Kreuzzügler landeten sie an den einladenden Stränden jenseits von Jalta. Als viel früher ‚die alten Griechen‘ am Ende ihrer Segelabenteuer auf dem ‚Unfreundlichen Meer‘ die Buchten mit den markanten Felsen sahen, gaben sie der Gegend den Namen ‚Paradeisio‘. Den segelkundigen Händlern aus Genua muss es dort gefallen haben, wie man noch jetzt an den Befestigungsruinen aus dieser Zeit sehen kann. Die Nebenbuhler Venedigs konnten sich politisch geschickt zwischen den mongolisch-tatarischen Interessen und denen von Litauen-Polen einbalancieren.

sudak220Moskau spielte noch keine Rolle auf der Krim. Sewastopol war zwar schon eine maritime Naturfestung, aber dass es einst zu Russlands Kaliningrad im Süden werden sollte, stand noch in der Zukunft der Geschichte. Die Italiener erkannten sofort, dass der teure Transport von Wein aus der Heimat bald überflüssig wäre – den konnte man dort anbauen.

Und, in den Grotten und Höhlen fand man konstante Temperaturen von zehn bis zwölf Grad Celsius vor. Traumhafte Zustände für Weinerzeugung und Weinlagerung. Das alles spielte im beginnenden fünfzehnten Jahrhundert.

Viel später im Jahre 1783, die russischen Zaren waren inzwischen an der Krim angekommen, übernahm ein gewisser Graf Potemkin die Intensivierung der Weinkultur bei Jalta und Massandra. Dazu kaufte er in ganz Europa die besten Weinreben. Im Jahre 1804 gründeten Rebensaftliebhaber im nahe gelegenen Sudak Russlands erste Schule für den Anbau und die Herstellung von Wein. Seit 1823 trieb ein Fürst Woronzow die Traubenwirtschaft an. Er ließ über vier Millionen Reben pflanzen und gab vermehrt Genehmigungen für Weingärten heraus. Wie bei Fürsten üblich, wohnte man im schönsten Weingut der Gegend – im ‚Paradies‘. Zusammen mit der Schule in Sudak begannen Experimente mit sprudelnden beziehungsweise schäumenden Weinen, die unter dem französischen Handelsnamen Champagne verkauft wurden, wogegen die französische Botschaft mehrfach protestierte.

burgsudak220Die Geschichte des roten russischen Saftes ist nun reif genug, ihre Hauptperson beziehungsweise ihren Geist aus der Flasche zu lassen. Wein und Champagner dienen nur als Gitterstäbe eines Käfigs, dem ein Löwe entweichen wird. In die Bühne der Welt sprang der Welpe am 12. August 1845 – in einer, wen wundert’s, Adelsfamilie, die seit Jahrhunderten mit der Zarentruppe Romanow auf Augenhöhe in die Geschicke Russlands eingriff. Seine russisch-polnischen Eltern lebten auf einem Gut bei Lubin, der Hauptstadt des gleichnamigen Gouvernats, das 1815 vom polnischen Königreich unter russischen Einfluss geraten war.

Lews Schulbildung war mehr als standesgemäß. Die Ausbildung auf einem ‚Realgymnasium May‘ beruhte auf gegenseitiger Achtung und Vertrauen zwischen Lehrern und Schülern und auf ständiger Zusammenarbeit mit der Familie. „Durch einen endlosen Ozean von den staatlichen Schulen getrennt“, schrieb ein ehemaliger ‚Maikäfer‘ über die pädagogisch moderne Schule. Ein Anderer erinnert sich: „Bei May gab es keine Finsterlinge, keine Anhänger der Schwarzen Hundertschaften, keine Menschen im Futteral.“ In dem Lernort mit der „besonderen Atmosphäre“ lautete die knappe Devise: Erst lieben, dann lehren!

Zuerst studierte der glückliche Pascha die Juristerei an der Sorbonne in Paris, später an der Moskauer Universität. Er schrieb mehrere ausgezeichnete Bücher über das Römische Recht. Seinem Talent und seiner Herkunft entsprechend schien ein Rechtsexperte heranzureifen. Doch, wie so oft im Leben, es kam anders. In Frankreich hatte der fürstliche Nachwuchs im Kreis von Junglöwen den Wein kennengelernt. Seine Zunge war nicht vom Wodka verbrannt und schien mit allen zur Degustation von Wein notwendigen Eigenschaften ausgerüstet gewesen zu sein. Er avancierte schnell zum Weinkenner und dachte folglich wie die Genueser vor Jahrhunderten: Weinanbau und die Krim sind ein Paar Schuhe.

Ob es die Hilflosigkeit des Rechts in den kaukasischen Kriegen war, an denen er kurz teilnahm, die ihn zur Winzerei trieben, oder die Einsicht, Russland brauche eher Wein denn Wodka, ist unbekannt. Unter Mangel an Geld scheint er nicht gelitten zu haben – er kaufte im Alter von dreiunddreißig Jahren (1878) das Weingut ‚Paradies‘ von den Erben der Woronzows.

Lew war wild entschlossen, den stolzen Franzosen die Ebenbürtigkeit Russlands zu beweisen – am Beispiel professioneller Weinarbeit. Der Ort war vorhanden – mit geändertem Namen: Neues Licht – Nowij Swet. Kein Wunder, denn zwischen der Weinschule in Sudak und dem östlich gelegenen Nowij Swet hat die Natur ihre hübschesten Kinder versammelt: Täler, Felsen, Gipfel, Buchten, Strände, Grotten, Wasserfälle, Wege, Pfade, Keller, Treppen, Brunnen und Kaps – eingebettet in ein der Champagne ähnelndes Mikroklima.

Der untadelig adlige Enologe war übrigens von beeindruckender Statur und in Moskau durch fast aufrührerische Reden aufgefallen.Verwöhnt und geschult liebte er die Monologe vor Ort und attackierte Weinlobend den zu starken und bitteren Wodka. Mit dem Kauf des siebenundachtzig Hektar großen Weingutes in tatarischer Umgebung tauchte ‚Leo‘ Lew wieder in tägliche Arbeit ein. Er gründete eine Sektkellerei und veredelte die Raubkopie ‚Champagne-like‘ zum originären Krimsekt: dem Krimskoje Schampanskoje. Dazu hatte der jetzt quirrlige Jungunternehmer in vielen Ländern Europas den Weinanbau studiert und nach Erwerb der Weinhänge die zur Praxis notwendigen Maschinen, Ausrüstungen und Spezialflaschen zusammengekauft. Ebenso holte der kein finanzielles Risiko Scheuende ausländische Experten auf die Krim, die leider trotz guter Bezahlung mit der Weitergabe ihres Wissens sparsam umgingen.

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