russland.COMMUNITY: Die Aufkündigung des Atomdeals mit Iran ist ein Zeichen des amerikanischen Niedergangs

Es liegt durchaus im Bereich des Möglichen, dass Barack Obama in 50 Jahren als einer der großen amerikanischen Präsidenten gilt und in einem Atemzug mit Abraham Lincoln, Franklin D. Roosevelt und Ronald Reagan genannt wird. Groß waren die Schuttberge seines  unpopulären Vorgängers George W. Bush, doch noch bedeutend stärker wird Obama durch seinen Nachfolger zur Geltung kommen: Donald Trump dürfte als das letzte Aufbäumen der alten, weißen Männer in die Geschichte eingehen, welche den Glauben an ihre eigene Überlegenheit wie einen Schild vor sich hertragen.

Unter Obama wurde 2015 das im Rahmen jahrelanger Bemühungen erarbeitete Atomabkommen zwischen dem Iran auf der einen Seite sowie den fünf Vetomächten der UN und Deutschland auf der anderen Seite der Öffentlichkeit präsentiert. Die massiven Wirtschaftssanktionen wurden gelockert, im Gegenzug verpflichtete sich der Iran, sein Atomprogramm aufzugeben und internationalen Inspektoren den Zugang ins Land zu gestatten. Dem auf dem Gebiet der Staatskunst weitgehend talentfreien Donald Trump war dieses Abkommen bereits während des Wahlkampfes ein Dorn im Auge – insofern ist die jetzige Aufkündigung wenigstens konsequent.

Sein Verhalten ist ein massiver Affront gegen die europäischen Verbündeten, welche sich nach der Verkündung des Ausstiegs umgehend zu dem Abkommen bekannten. Nicht einmal der als Unilateralist geltende George W. Bush hätte ein solches Verhalten an den Tag gelegt. Die seit Jahrzehnten zur Beschreibung der amerikanischen Außenpolitik verwendete Dichotomie von Unilateralismus und Multilateralismus scheint unter Trump eh keinerlei Geltung mehr zu besitzen, sein Credo lautet Isolation – koste es, was es wollte. So kündigte Trump auch gleich an, die Wirtschaftssanktionen gegen Iran wieder in Kraft zu setzen. Sogleich erlaubte sich der US-Botschafter in Deutschland die Frechheit, via Twitter zu verkünden, dass nun alle deutschen Unternehmen ihre Geschäfte mit dem Iran einstellen müssten. Die Frage der Sanktionen wird noch für massive Spannungen zwischen Europa und den USA sorgen.

Interessant ist vor allem, dass es im Iran Anfang des Jahres zu Unruhen und mitunter großflächigen Protesten gegen die Regierung in Teheran gekommen ist. Die Überzeugungskraft des für massive Menschenrechtsverletzungen bekannten Regimes scheint in den letzten Jahren deutlich gelitten zu haben – nichts könnte den Machthabern gelegener kommen als die Reaktivierung des alten Feindbildes Amerika. Der Iran tanzt seit der Islamischen Revolution im Jahr 1979 nicht mehr nach der Pfeife des Westens und wird dies auch jetzt nicht tun. Vielmehr könnte es zu einer Trotzreaktion kommen, bei welcher das Atomprogramm wieder aufgenommen wird. Warum soll man sich auch an Abkommen halten, welche von der Gegenseite aufgekündigt werden?

Grundsätzlich scheinen Trump und solche Fossile wie sein nationaler Sicherheitsberater John Bolton (to stop Iran, bomb Iran) nicht zu verstehen, dass zwischen Führen und Dominieren ein feiner, aber entscheidender Unterschied liegt: Führung entsteht stets dadurch, dass jemand Anführer einer Gruppe ist und andere ihm aus Überzeugung folgen. Dies manifestiert sich unter anderem an der hohen Anziehungskraft des American Way of Life: Menschen jeder Herkunft können es in den USA zu Ansehen und Wohlstand bringen – jedenfalls war dies in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten so. So war auch das unter Obama verabschiedete Atomabkommen von 2015 ein Ausdruck amerikanischer Führung: Es geht darum, pragmatisch ein Problem anzugehen im Rahmen einer für alle Seiten akzeptablen Lösung. Dabei wurde nie behauptet, dass diese Lösung perfekt ist – jedoch ist sie die bestmögliche. Die Internationale Atomenergieagentur sieht keinerlei Hinweise, dass der Iran gegen das Abkommen verstößt.

Trump setzt nun all dem ein Ende, indem er in einer Mischung aus vermeintlicher Kraftmeierei und der infantilen Beseitigung von Obamas Erbe das Atomabkommen aufkündigt. Er braucht sich nicht der Illusion hinzugeben, damit bei der iranischen Seite etwas zu erreichen: Druck erzeugt stets Gegendruck. Trump und seine Schergen mit ihren 60er-Jahre-Ansichten wollen dominieren und nicht führen, die europäischen Verbündeten sind dabei nur lästiges Beiwerk – die Ausstiege aus dem Pariser Klimaabkommen und der drohende Handelskrieg waren die Vorläufer der jetzigen Ereignisse.

Doch die internationale Position der USA beruht gerade darauf, die Führungsmacht des Westens zu sein. Wenn etwa europäische Unternehmen dazu gedrängt werden sollen, in Zukunft keine Geschäfte mehr mit dem Iran zu machen, so ist die logische Konsequenz, sich von den USA abzuwenden. Geschäfte kann man nämlich auch in anderen Währungen als dem Dollar abwickeln. Und auch politisch stünde den Europäern ein größeres Maß an Eigenständigkeit sicher gut zu Gesicht. Entscheidend dabei ist: Sind solche tiefgreifenden Veränderungen erst vollzogen, so wird sich dies von dem nächsten US-Präsidenten kaum rückgängig machen lassen.

In diesem Sinne: Trump ist dabei, Bleibendes zu schaffen. Er wird weiterhin jede Menge Porzellan zerschlagen, die Überzeugungskraft der USA und damit ihr Status als Supermacht werden weiter leiden. Sein Verhalten bezüglich des iranischen Atomabkommens kommt einer Offenbarung auf dem Gebiet der Verantwortungslosigkeit gleich.

[Julian Müller/russland.COMMUNITY]

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