„Deutsche sind kaum bekannt“: internationale Buchmesse für intellektuelle Literatur non/fiction 23 in Moskau© russland.news

„Deutsche sind kaum bekannt“: internationale Buchmesse für intellektuelle Literatur non/fiction 23 in Moskau

Trotz der Pandemie nehmen 18 Länder an der Buchmesse non/fiction 23 teil, und Deutschland ist in diesem Jahr der besondere Gast, da im Dezember das Deutschlandjahr in Russland zu Ende geht.

Das Deutsche Buchinformationszentrum Moskau, die Vertretung der Frankfurter Buchmesse in Russland, hat ein reichhaltiges Veranstaltungsprogramm mit Autoren, Verlegern, Übersetzern und Musikern aus Russland und Deutschland zusammengestellt. Von 12 Uhr mittags bis 21 Uhr am Samstag gab es einen regelrechten Marathon von Begegnungen und Diskussionen über deutsche Literatur.

Es ist kein Geheimnis, dass zeitgenössische deutsche Autoren in Russland nicht sehr bekannt sind. „Französische, englische und skandinavische Schriftsteller kennt man in Russland recht gut. Aber wenn man russische Leser fragt, ob sie wenigstens einen modernen deutschsprachigen Schriftsteller nennen können, werden sie sich wahrscheinlich nur an Patrick Süskind erinnern“, sagt Anastasia Milekhina, Leiterin des Deutschen Buchinformationszentrums. Paradoxerweise liegt die deutsche Literatur, wenn man die Zahl der Übersetzungen vergleicht, an dritter Stelle, aber gleichzeitig sind die deutschen Schriftsteller den Autoren aus anderen Ländern unterlegen.

Ein Grund dafür ist die Rückständigkeit des russischen Buchmarkts, meinen einige Experten. „Außerdem gibt es in Deutschland fast keine Weltbestseller“, so Alexander Filippow-Tschechow, Germanist, Übersetzer und Gründer des kleinen Verlags libra. „Das Parfüm“ war ein solcher Bestseller, und er kam auf Russisch heraus und wurde auch in Russland ein Bestseller. Aber das war vor zwanzig Jahren. In Russland liest man deutschsprachige Literatur, aber vor allem die sogenannten Klassiker“, bestätigt er. „An erster Stelle steht Franz Kafka, davor haben viele Leute Heinrich Böll gelesen, in den 1990er Jahren Thomas Mann, zu Sowjetzeiten mehr Heinrich Mann. Die Kenntnisse der Russen über die deutsche Literatur enden wahrscheinlich hier. Dies gilt für den sozusagen „normalen“ Leser. Aber es gibt auch Kenner. Unser Verlag ist stolz auf ein Novum – in diesem Jahr haben wir einen Gedichtband von Thomas Bernhard veröffentlicht. Er hat quasi einen Fanclub in Russland, was erstaunlich ist, er ist ein echter Kultautor hier. Aber es ist weit hergeholt, auch ihn als modernen Schriftsteller zu bezeichnen, denn er starb 1989. Mit dem Verlag Gorodets wollen wir eine Reihe mit deutscher Belletristik starten. Mal sehen, wie das ankommt“.

Wie wählt man also einen interessanten deutschen Gegenwartsautor aus? Es stellt sich heraus, dass es in Russland mehrere Quellen gibt, die dabei helfen, sich mit den neuen Namen auf dem deutschen Buchmarkt zurechtzufinden. Dazu gehören natürlich das Goethe-Institut in Moskau, das Deutsche Buchinformationszentrum Moskau und das Online-Magazin Read. Es gibt sogar einen Telegram-Kanal Guten Tag, der über Neuigkeiten auf dem deutschen Büchermarkt informiert.

Dank des Deutschlandjahres in Russland sei jedoch ein verstärktes Interesse am Stand der deutschen Literatur zu spüren, sagt Anastasia Milekhina. „Unser Stand ist eine Ausstellung aktueller Auswahl aus Deutschland, wir haben sie buchstäblich drei Tage vor der Eröffnung erhalten. Zum Beispiel sind bei uns Bücher aus der Longlist des Deutschen Buchpreises und Kinderliteratur vertreten. In diesem Jahr haben wir ein großes Interesse der russischen Medien gespürt, fast alle großen Fernsehsender haben über uns berichtet. Diese Art von Aufmerksamkeit bekommt man bei einer normalen Teilnahme natürlich nicht. Am Samstag gab es eine Menge interessanter Offline-Veranstaltungen, die man auch online verfolgen konnte. Besonders erwähnen möchte ich dabei die Diskussion darüber, wie man heute über die 90er Jahre literarisch sprechen kann. Wir hatten den Buchgestalter Jan Wenzel vom Verlag Spector Books in Leipzig als Gast, der ein Buch veröffentlicht hat, über das er 20 Jahre lang nachdachte. Sein Buch „Das Jahr 1990 freilegen“, das Einblick in ein entscheidendes Jahr deutscher Geschichte gibt, war als das schönste deutsche Buch mit dem Preis der Stiftung Buchkunst ausgezeichnet und belegte im Wettbewerb „Die schönsten Bücher der Welt“ in diesem Jahr den ersten Platz.

Außerdem wurde die russische Übersetzung des Buches „Vielleicht Esther“ von Katja Petrowskaja vorgestellt, einer in Kiew aufgewachsenen Autorin, die den Roman auf Deutsch geschrieben hat. Das Buch ist 2014 auf Deutsch bei Suhrkamp erschienen. Wir arbeiten mit den Verlagen zusammen, das heißt wir versuchen, auf der B2B Ebene ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen, aber die Verlage veröffentlichen nur wenige deutsche Autoren, weil sie in Russland kaum bekannt sind, weswegen es keine große Nachfrage gibt. Und die Verleger denken mehrmals nach, bevor sie die Rechte kaufen. Aber wir tun unser Bestes, um moderne deutsche Bücher zu fördern. Natürlich gibt es auch Erfolgsgeschichten. Kinder- und Jugendliteratur aus Deutschland ist bei russischen Lesern sehr beliebt. Gestern zum Beispiel kam der Leiter des Verlags Logos zu mir und zeigte das Buch „Erdöl. Ein Atlas der Petromoderne“, das erst voriges Jahr erschienen ist, also eine aktuelle Übersetzung aus dem Deutschen“.

[Daria Boll-Palievskaya/russland.NEWS]

COMMENTS