Der Spiegel: Was runter fällt, ist erstmal russisch

[von Roland Bathon] Vorbemerkung: Dieser Text soll nicht darüber hinweg täuschen, dass heute im Südsudan ein tragisches Unglück mit 40 Todesopfern geschehen ist. Jedes Menschenleben, das so verloren geht, ist ein Menschenleben zuviel und das natürlich unabhängig von der Nationalität, Rasse oder Religion. Der Text soll aber ein Schlaglicht darauf werfen, mit welchen Klischees beladen deutsche Journalisten über Geschehnisse auf dem Globus berichten.

Aber jetzt zur Sache …

„Der Spiegel“ schockte mich  heute in der Mittagspause mit der Schlagzeile: „Viele Tote – Russisches Flugzeug stürzt über dem Südsudan ab„. „Schon wieder?“ dachte ich nach der Katastrophe vom Wochenende – und klickte den Artikel an. Das ist in letzter Zeit bei diesem Blatt (oder seinem Online-Ableger) fast immer ein Fehler. Denn aus dem Artikel erschloss sich mir der russische Charakter des Flugzeugs zunächst nicht. Handelte es sich doch um eine Antonow-Frachtmaschine. Antonow, sei dem Laien erläutert, ist ein ukrainischer Flugzeugbauer aus Kiew.

„Vielleicht eine russische Gesellschaft?“ fragte ich mich und schaute einmal dort nach, wo man so richtig Journalismus betreibt, also im Ausland. Al Jazeera sprach von einem „russian built plane„. So weiß man wenigstens schon einmal, wo die Spiegelianer ihren Fehler vielleicht abgeschrieben haben. Vielleicht war ja der Eigentümer russisch? Aber was für eine russische Fluggesellschaft fliegt denn in dieser Gegend? Immerhin ist man Journalist für ein russische Onlinezeitung, da sollte man den Russlandbezug möglichst zeitnah ermitteln – wäre dann ja eine Nachricht für uns selbst.

Schaun wir mal bei CNN rein, dachte ich mir angesichts des Mangels an mir bekannten Südsudanesischen Onlinezeitungen. Dort ist man wirklich weiter und kannte sogar den genauen Flugzeugtyp, den Ihr oben in der Abbildung findet: „The Antonov-12 was registered in Tajikistan but it was not immediately clear who owned the aircraft“ Also eine tadschikische Maschine unbekannter Eigentümerschaft. Inwiefern ist die dann russisch? Eine Weile weiterer Recherche in der Welt des echten Journalismus brachte am Ende die Erkenntnis, dass offenbar zumindest irgendwie Russen an Bord waren. Der Focus sprach etwa von einer „russischen Besatzung“, was jetzt aber nicht die Behauptung einschließt, beim Focus würde ernsthafter Journalismus betrieben. Was sich im Folgenden auch in diesem Fall zeigen wird.

In der Verzweiflung findet man bei Russischem irgendwann den Weg auch zu den „Kreml-Medien“. Als Onlinezeitung mit Russland-Bezug immer erst ganz zum Schluss, denn eine Quelle aus diesem Bereich braucht man in Deutschland gar nicht anzubringen und bekommt sie sofort um die Ohren gehauen. Interessanterweise stand bei Sputniknews im einschlägigen Artikel aber überhaupt nichts von einem russischen Flugzeug. Fünf Besatzungsmitglieder seien bei dem tragischen Unglück verstorben. Einer davon war in der Tat – Russe und vier Armenier. Da ist er, der Russe, den der Spiegel Online wohl gemeint haben muss. Der hatte bei einem Blick zu diesem Zeitpunkt zurück auf seine Seite Überschrift und Text mehrfach undokumentiert ausgetauscht und die Russen waren aus dem Text nach und nach verschwunden, bis auf den einen.

Hat man bei seinen journalistischen Schnellschüssen in der Spiegelschen Onlineredaktion denn keine Zeit mehr, richtig zu recherchieren, was wo passiert ist? Eventuell um den Preis, dass man nicht „erster“ schreien kann? Oder berichtet man schon nach der Devise, wenn das Ereignis negativ ist, muss es mit Russland zu tun haben? Hätten sich die wahren Umstände langsamer ergeben, hätte man einen Praktikanten gleich einen Bericht über die Verantwortung Putins für die Sache aufsetzen lassen? Manchmal könnte man es glauben, wenn man die jüngeren Ergüsse des einstigen Qualitätsmagazins für Nachrichten sieht, wenn es wirklich um Russland geht.

Foto: Eine Antonow A-12, Dtom, Creative Commons, darüber: Bildzitat aus dem Spiegel-Twitterfeed

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