Im Video sieht man Vulkane und noble Hochhäuser in Moskau, den gefrorenen Baikalsee und die Ermitage in St. Petersburg, wilde Natur und Balletttänzer, Kirchen und Wohnsiedlungen, Polizisten und Dorfbewohner, Models und Autorennen auf einem Fußballplatz im Wald, Badehausbesucher mit Bier in der Hand und indigene Völker des Nordens. russland.NEWS sprach mit dem Regisseur über die Dreharbeiten.
Herr Urban, ihr Kurzfilm „In Russia“ hat auf YouTube Furore gemacht. Wie kommt ein in New York lebender Deutscher auf die Idee einen Film über Russland zu drehen?
Vincent Urban: Ich drehe Reisefilme schon seit 2010, hatte in der Türkei, Marokko, in der Lateinamerika gearbeitet. So gesehen ist „In Russia“ ein Teil einer Serie. 2018 ist mir ein Bild vom Baikalsee im Winter in die Hände gekommen und ich dachte: „Komisch, eigentlich reise ich sehr viel und bin sehr an Natur interessiert, aber das Bild kenne ich überhaupt nicht. Es hat mich sehr überrascht, weil mir klar wurde, dass ich keine Ahnung hatte, wie dieser See aussieht. Und dann war ich drei Tage privat in Moskau, und auch diesmal war ich sehr überrascht, denn das Bild von Moskau, das ich im Kopf hatte, war ganz anders als das, was ich sah. Und dann nahm langsam die Idee eines Films Gestalt an, denn ich konnte mir vorstellen, dass es viele Menschen gibt, die genau so wie ich nicht wissen, wie Russland „aussieht“.
Sie schreiben auf Ihrem YouTube Kanal, dass Sie einen „Reisefilm über ein mysteriöses, mit Stereotypen durchsetztes Land“ drehen und dieses Land eben aus verschiedenen Blickwinkeln zeigen wollten.
Vincent Urban: Nicht aus anderen Blickwinkeln, sondern ich zeige Russland quasi aus verschiedenen Stereotypenbrillen: alle Russinnen sind Balletttänzerinnen, alle Russen sind maskuline Machotypen und so weiter. Wir zeigen in dem Film also Russland aus diesen verschiedenen Perspektiven, aber am Ende sieht man einfach nur unser Erlebnis. Man arbeitet immer mit unterschiedlichen Linsen. Um eine absolute Objektivität in einem 6minütigen Film mit Musik geht es nicht.
Aber dadurch entsteht eben ein sehr facettenreiches Bild, das Russland dem Zuschauer näher bringt.
Vincent Urban: Wir wollten das Land näher bringen, aber auch dem Zuschauer sozusagen den Zahn ziehen. Denn viele Menschen haben eine klare Vorstellung über Russland: Russland ist nur so oder so, und genau das hinterfragen wir. Dabei will ich gar nicht sagen, dass alle Stereotypen falsch sind.
„Ich musste weinen!, „Danke“, „Mir fehlen die Worte“, „Großartig, unglaublich“, „Ich will jetzt mein Land auch bereisen“, „Das sind keine Tränen, der Patriotismus ist mir ins Auge gekommen“. Das sind nur einige Kostproben der Kommentare zum Video. Und ein Zuschauer schrieb: „Genau ein Fall, ein Deutscher, der den Russen die Liebe zu Mütterchen Russland erklärt, und er macht das perfekt“. Wie haben Sie es geschafft, das russische Herz zu berühren?
Vincent Urban: Danke, das ist glaube ich eine Form von Heimatliebe, und das ist ein sehr starkes Gefühle bei allen Menschen. Das war aber nicht unser Ziel. Mich würde auch sehr freuen, wenn Zuschauer aus anderen Ländern meinen Film sehen würden und diese dann vielleicht ein bisschen neues Bild bekommen.
Erzählen Sie über die Dreharbeiten. Ich habe gelesen, Sie waren mit Ihrem Kamerateam vier Mal in Russland. Was war das spannendste Erlebnis.
Vincent Urban: Es gab sehr viel Abenteuer dabei. Der schwierigste Trip waren drei Tage Murmansk. Es war eiskalt, es klappte nicht so, wie wir es uns vorgestellt haben, die Stimmung war schlecht. Am letzten Abend wussten wir nicht, was wir machen sollten. Und da ist uns wieder eingefallen, dass Autos in der Stadt an der Ampel gedriftet sind, weil so viel Schnee lag. Auf Instagram haben wir tatsächlich eine Gruppe von Jugendlichen gefunden, die Autos tunen und damit rumdriften. Innerhalb einer Stunde standen wir auf einem McDonald Parkplatz mit 15 verrückten Russen, die heiß darauf waren, uns ihre krassesten Tricks zu zeigen. Das war ein richtiges Wild-West-Erlebnis.
Haben Sie inzwischen einen Lieblingsort in Russland?
Vincent Urban: Ja, Tolbatschik
Tolbatschik? Was ist Tolbatschik?
Vincent Urban: Ja, Tolbatschik (lacht). Das kennt kein Mensch, aber das ist eine wunderschöne Vulkanregion auf Kamtschatka, fast zehn Stunden Autofahrt von Pertopawlowsk-Kamtschatski entfernt. Unglaubliche Landschaften, unglaubliche Menschen, unglaublich weit weg. Ich würde sehr gern privat wieder hinfahren.
[Daria Boll-Palievskaya/russland.NEWS]
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