Der neue alte heißkalte Krieg um Eurasien

Im Vorwort zu seinem Essay „Goldgrund Eurasien: Der neue Kalte Krieg und das dritte Rom“ sagt der Publizist Dimitrios Kisoudis ohne Umschweife worum es ihm geht. Er will „die ideologische Front“ des neuen „heißkalten Krieges“ skizzieren, in dem es „um die Währungen und Energieträger“ geht. Seine Schlussfolgerungen dabei sind erfrischend und überraschend zugleich.

Der neue kalte Krieg ist ideologisch gesehen keine bloße Fortsetzung des alten, ist Kisoudis überzeugt. Denn es gibt keine Blockbildung der kommunistischen Staaten, Russland ist nicht mehr sozialistisch und „der Westen ist nicht mehr frei“. In einer bravourösen Zusammenschau von Geopolitik, Wirtschaftstheorie, Geschichte und Theologie geht der Autor dieser These nach.

Der alte Ost-West-Konflikt war früher von der Gegenüberstellung von NATO und Warschauer Pakt geprägt. Doch wo liegen ihre Wurzeln? Präsident James Monroe hat mit seiner Doktrin die „westliche Hemisphäre“ bestimmt – die Hälfte der Erde, auf der die USA ihre Interessen verteidigen müssen. Die Truman-Doktrin setzte diese Idee fort: „Truman nahm Westeuropa in die westliche Hemisphäre hinein und sicherte den USA ein Recht auf Einmischung“. Im kalten Krieg von heute geht es um Eurasien.

Der russische Präsident Putin, der von den westlichen Medien zum Feindbild der NATO aufgebaut wurde, zu einem Schurken aus James Bond Film, ist „ein Eurasier“. Das bedeutet, dass er an die Idee des Philosophen Konstatin Leontjew glaubt, Russland ist in der Tradition des byzantinisch-orthodoxen Vielvölkerstaates zu sehen und mit dem Westen gar nicht verbunden. Eurasien ist das Dritte Rom. Für die Vereinigten Staaten jedoch ist Eurasien der „Kontinent in der nördlichen Hälfte des östlichen Heimsphäre“.

Alexander Dugin, der Kopf der Eurasischen Bewegung, glaubt fest daran, dass alle Kriege um und in Russland im 20. Jahrhundert zwischen Eurasiern und Transatlantikern geführt wurden. Sein Eurasianismus richtet sich gegen die Ideologie der „westlichen Werte“. Laut Dugin, dem man eine besondere Nähe zum russischen Präsidenten nachsagt, verläuft die Frontlinie im neuen Kalten Krieg zwischen der Tradition und der Postmoderne. Dabei setzt er die Postmoderne mit dem Liberalismus fast gleich. Doch, wie Kisoudis feststellt, ist der Westen gar nicht mehr liberal. Die Idee, die Geschlechterpolarität aufzulösen, ist zwar zum wichtigen Bestandteil der Politik in Westeuropa geworden, sei aber gar nicht liberal, wie die Eurasier vermuten. „Sie zersetzt nämlich die Vertragsfreiheit, die sich als eines der obersten Prinzipien des Liberalismus direkt aus dem Privateigentum ergibt“. Kisoudis geht ein Stück weiter und behauptet, dass der Westen nicht den Liberalismus, sondern den „Geldsozialismus“ pflegt. Diesen vom Roland Baader entwickelten Begriff erklärt der Autor so: „Geldsozialistisch ist ein Staat, der Geld als gesetzliches Zahlungsmittel vom freien Markt ausnimmt, unter seinem Gewaltmonopol verwaltet und eine gleichmachende Politik damit finanziert“. Und wenn die EU reguliert, vereinheitlicht und der Wirtschaft Vorschriften macht, zeigt die Wirtschaftspolitik in Russland liberale Züge: die meisten Reformen in Russland brachten mehr Öffnung für die Wirtschaft. „Autoritärer Liberalismus“ – so nennt Dimitrios Kisoudis die heute im Osten herrschende Ideologie. Im neuen kalten Krieg um Währungen und Energiequellen steht sie dem „postmodernen Geldsozialismus“ im Westen gegenüber.

Welche Rolle in diesem Kampf um die globale Hegemonie und die weltweiten Rohstoffvorkommen spielt eigentlich Deutschland? Sollten sich die Deutschen nicht neu orientieren? Sind sie wirklich mit dem Freihandelsabkommen mit den USA gut beraten? (Der Dollar ist ein seit langem nicht mehr durch Gold gedecktes Zahlungsmittel, gibt der Autor zu bedenken). „Der wirkliche Freihandel verbindet Europa mit Eurasien, die Sanktionen spalten Europa von Eurasien ab und verschiffen es wieder in die westliche Hemisphäre“. Fazit des Autors: „In Ordnung ist Deutschland nicht“. Seine Diagnose: „Schuld ist die postmoderne Ideologie, ein Zerfallsprodukt der abendländischen Philosophie, die, von Interessengruppen in den USA wiederaufbereitet, auf Europa abstrahlt“.

Die Bedeutung der Orthodoxie in Russland und das Prinzip der Symphonie in der russischen Kirche, die Ukraine Konflikt und die Entwicklung von Dollar, der integrale Traditionalismus und der Libertarismus – kann man solch komplexe Themen nur auf 114 Seiten erläutern? Dimitrios Kisoudis kann das. Mit einem sehr lakonischen Stil, (oft) ironischen Ton und in einem atemberaubenden Tempo legt er eine brillante Analyse der Weltgeschichte vor, in der es immer wieder um den Kampf der Großmächte ging und geht.

Daria Boll-Palievskaya/russland.RU

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