„Der gewöhnliche Lauf des Lebens“: Ausstellung des Künstlers Juri Pimenow in der Moskauer Tretjakow-Galerie

„Der gewöhnliche Lauf des Lebens“: Ausstellung des Künstlers Juri Pimenow in der Moskauer Tretjakow-Galerie

Chagall, Malewitsch, Kandinsky – das sind die russischen Künstler der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die im Westen bekannt sind. Die anderen russischen Maler dieser Zeit gelten als „Vertreter des sozialistischen Realismus“ und sind in der europäischen Öffentlichkeit leider kaum bekannt.

Die staatliche Tretjakow-Galerie präsentiert gerade eine groß angelegte Ausstellung des herausragenden Künstlers Juri Pimenow, eines sowjetischen Malers, Grafikers, Theaterdesigners und Bühnenbildners, den man eher als „typischen Vertreter des sozialistischen Realismus“ kennt.  Als Akademiemitglied und Staatspreisträger entlarvt er allerdings die klischeehafte Sichtweise auf die sowjetische Kunst als eine Reihe von Porträts der kommunistischen Führer.

Pimenov war der Gründer der so genannten Gesellschaft der Staffeleikünstler, deren charakteristisches Merkmal darin bestand, die neue sowjetische Realität – Industrialisierung, Sport und Arbeit – zu verherrlichen. Dabei bedienten sich die Künstler der Techniken des modernen europäischen Expressionismus. „Pimenow verlangt nicht das Verständnis komplexer Konzepte, er spricht mit dem Betrachter in einer sehr einfachen emotionalen Sprache“, sagt die Ausstellungskuratorin Jelena Woronowitsch.

Im Jahr 1931 erlebte der Künstler eine schwere Depression. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Stalins Kurs im Land durchgesetzt, aber die Grundsätze des sozialistischen Realismus waren noch nicht formuliert worden. Es begannen heftige Debatten über die sowjetische Kunst: Wie soll sie sich entwickeln? Pimenow beteiligt sich eifrig an dem Diskurs und spricht von einem „Neuen Realismus“. In den 20ern, nach dem „Schwarzen Quadrat“, so schien es vielen, war die Kunst am Ende.  Nun wollten die Künstler eine neue Realität, einen neuen Menschen darstellen.

Pimenows Kunst der späten dreißiger Jahre folgt dem kreativen Prinzip des „schönen Augenblicks“. Der Künstler bevorzugt nun den Impressionismus. Gleichzeitig „passt er zum sozialistischen Realismus“. „Aber was ist eigentlich sozialistischer Realismus? Ist es ein Stil oder eine Methode? Das „Wie“ oder das „Was“? Die Theoretiker selbst haben nicht genau formuliert, was es ist“, sagt Jelena Woronowitsch. „Dieser Trend ist aus dem akademischen Realismus, dem Neorealismus und dem Expressionismus entstanden. Erst 1934 wurde das Grundprinzip formuliert: „Die Wirklichkeit in ihrer revolutionären Entwicklung zeigen“.

Gleichzeitig sah Pimenow seine Aufgabe darin, die Moderne einzufangen, „eine Kunst der Freude und Schönheit des Lebens zu schaffen“. Seit den 1930er-Jahren steht die Frau im Zentrum seiner Malerei, die er in aller Intimität zeigt. Eines der berühmtesten Werke des Künstlers heißt „Neues Moskau“ (1937). Darauf ist eine junge Frau zu sehen, die in einem Cabrio durch das frühlingshafte Moskau fährt, das vom Regen gewaschen und von der Sonne beschienen wird. Wir sehen nur den Rücken der Protagonistin, sie schaut nach vorne, in die Zukunft weisend. „Dieses Gemälde bietet viel Stoff für Interpretationen“, meint die Kuratorin. „Wir können uns zum Beispiel fragen, was mit dieser jungen Frau im Jahr 1938 passiert ist. Andererseits ist es das beste Werk des sozialistischen Realismus und gleichzeitig ein Gemälde über das 20. Jahrhundert, darüber, wie die Menschen trotz allem leben und glauben wollten.“

Die Ausstellung des Künstlers stieß bei den Moskauern auf großes Interesse und erschüttert das Klischee über Pimjenow als Sänger der sowjetischen Baustellen oder Helden der Arbeit. So ist Pimenows Hauptthema in den 60er-Jahren der Regen, der mit der Ära des Tauwetters zusammenfällt – ein Regenguss wäscht und erfrischt gleichsam die sowjetische Gesellschaft. Obwohl der Künstler positive Bilder des sowjetischen „neuen Lebens“ schuf, war er wirklich in alles Neue im Leben des Landes verliebt und reagierte eifrig auf die fröhlichen und dramatischen Ereignisse. Denn für ihn war die Quelle der Kunst als „der gewöhnliche Lauf des Lebens“.

[Daria Boll-Palievskaya/russland.NEWS]

Fotos: Julia Sacharowa

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