Das Oberkommando der Tagesschau gibt bekannt

Da wacht man am frühen Morgen auf und die Tagesschau meldet die Eroberung von Lugansk. So schaute es am gerade zu Ende gegangenen Donnerstag morgen bei einem Studium der Überschriften aus.

Der Artikel ist dann bei genauerem Studium natürlich wieder einmal ein „Fest der Konjunktive“ und man achtet nach einigen Enten nun immer schön darauf „nach Angaben der ukrainischen Armee“ dazu zu schreiben. Und man habe die Stadt auch nur „großteils“ zurück erobert, steht irgendwo versteckt weiter unten im Text – ein schön dehnbarer Begriff. Hauptsache die Grundmeldung klingt positiv, Euromaidanisch gewissermaßen. An der Praxis, die eigene Berichterstattung vor allem aus Regierungsmeldungen via „Ukrainian Crisis Media Center“ zu stricken, hat sich aber leider nichts geändert. Warum schickt man eigentlich überhaupt hochdotierte Korrespondenten wie Golineh Atai in die Ukraine? Mitschreiben könnte doch in Kiew auch ein Praktikant. Oder geht es um die coolen Greenscreen-Kameramoderationen, die dort nur die Profis dürfen?

Nun beginn für den fleißigen russland.RU-Redakteur die Nachrecherche. Eroberung von Lugansk, das wäre ein Ding, eine kleine Sensation, selbst „großteils“. Denn Lugansk ist immerhin nach Donezk die zweitgrößte Rebellenhochburg überhaupt. Schrieb da nicht gestern der Tajmer in Odessa, in der Gegend von Lugansk kommen die Regierungstruppen nicht so recht vorwärts? Na, was wissen denn schon die Ukrainer über die Dinge in ihrem Land. Nach langer, ermüdender Recherche auf unabhängigen Seiten in der russischsprachigen Ukraine, die nicht mit den oligarchischen Medienkonzernen gleichgeschalten sind aber auch nicht proseparatistisch und danach, als dort zum Thema absolut nichts zu finden ist, auf offenen Separatistenseiten wird fleißig gesucht. Nichts. Nicht einmal das übliche Dementi der Rebellen oder Russen nach solchen Erfolgsmeldungen, nichts. Zum Schluss vor Verzweiflung die Morgennachrichten von Rossija 24 geschaut. Auch nichts.

Eroberung gefunden?

Ein paar Stunden später taucht doch plötzlich etwas auf. Wie so oft beim Kiewer Politnavigator, dem Sprachrohr der ängstlichen russischsprachigen Minderheit in der Zentralukraine. Bewohner von Lugansk hätten nichts mitbekommen von ukrainischen Truppen in der Stadt, steht in einer Randnotiz der Zeitung, die stets telefonisch nachfragt, wenn sie wieder einmal etwas serviert bekommt (sollten andere vielleicht auch machen).

Dann um 16:48 Uhr Ortszeit endlich die lang ersehnte Aufklärung. Der ukrainische Regierungssprecher Andriy Lysenko erklärt wieder laut Politnavigator, warum die Bewohner nichts merken von ihrer Eroberung.  Da sind natürlich keine Panzer auf der Straße. Da operieren nur ganz kleine mobile Gruppen, die Widerstandsherde der Rebellen neutralisieren. Die machen das quasi wie die Chirurgen, so dass auch kein Zivilist dabei zu schaden kommt. Wenn die Zivilisten gar nichts von ihrer Eroberung merken, so sei das ein Verdienst der ruhmreichen ukrainischen Armee (das ist die mit den coolen, ebenso chirurgischen Raketenwerfern).

Mensch, die Tagesschau völlig unterschätzt! Die bemerken sogar Eroberungen, die die Einwohner selbst nicht mitbekommen, weil sie so sanft, chirurgisch vorgenommen werden. Hätte ich mir auch denken können, das mit der Chirurgie nach dem letzten Werbevideo der Ukrainer in Poroschenkos TV-Kanal.

Wahnsinn! Endlich kann ich meine Redakteurstätigkeit beenden und muss nur noch jeden Morgen in die Tagesschau schauen, was so passiert. Morgen lese ich dort bestimmt, wie die letzten fünf Separatisten heimlich über die russische Grenze entfleucht sind, um Putin ihre Niederlage zu melden. „Nach Meldungen der ukrainischen Armee“, habe ich fast vergessen und „großteils“ (zwei sind da geblieben und haben sich in die Büsche geschlagen). Hoffentlich ziehen die Flüchtenden ihre Schuhe aus, damit sie nicht mit dem Lärm von Militärstiefel friedlich vor sich hin lebende Zivilisten im Schlaf stören, bevor ihnen die unsicht- und -hörbaren Eroberer von Lugansk nach jagen.

Roland Bathon, russland.RU

 

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