Das Jahr der Deutsch-Russischen Sprachen

Auf politische Statements verschiedener Politiker nicht eingehend hat der russische Botschafter eine Rede zur Bedeutung der Kultur und darin der Sprache für die Beziehungen der Länder untereinander gehalten.

„Zwar bin ich Diplomat von Beruf und versuche mit aller Kraft, mich für die Diplomatie einzusetzen und deren Rolle und Bedeutung bei der Annäherung zwischen Nationen zu beweisen. Ich komme dennoch nicht umhin, ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass es jedoch die Kultur ist, die für die Begleitung dieses Prozesses eine extrem große, ja wahrscheinlich primäre Relevanz hat. Gerade durch die gegenseitige kulturelle Erkundung vollzieht sich auch die gegenseitige Verständigung, findet eine Art internationale Verflechtung statt. Die Menschen der einen Kultur lernen langsam die Mentalität und Denkweise von Vertretern der anderen Kultur kennen. Es werden Klischees, Vorbehalte und Stereotypen aufgebrochen. Natürlich ist das nur möglich, wenn das Interesse für diese Erkundung auch von der Toleranz begleitet wird. Noch besser wäre es, wenn die Toleranz erzogen bzw. anerzogen würde.

Es wird von niemandem in Frage gestellt, dass der Ausgestaltung der Kultur und der kulturellen Identität die Sprache zu Grunde liegt. Dabei handelt es sich um ein recht effektives Mittel und verständlicherweise einen Kommunikationskanal zwischen den Menschen.

Alle diese Binsenwahrheiten spreche ich nur deshalb an, weil ich die Möglichkeiten herausstreichen möchte, die unseren bilateralen Beziehungen zusätzliche Impulse vermitteln können. Diese Möglichkeiten sind in Wirklichkeit sehr umfassend. Es handelt sich dabei um ein aus meiner Sicht immenses Potential, das bislang äußerst schwach genutzt wird. Gleichzeitig ist heute der Bedarf, unsere Beziehungen weiter nach vorne zu bringen, größer denn je. Ich bin der Meinung, wenn wir ernsthaft beginnen, wie es sich gehört, uns mit dem Werben für das Erlernen der russischen Sprache in Deutschland und der deutschen Sprache in Russland zu beschäftigen, so könnte das eine weitgehende Wirkung entfalten.

Ferner kommen inzwischen auch die Bedingungen dafür recht günstig zusammen. Hiermit meine ich die vom Sommer 2014 bis Sommer 2015 geplanten weiteren Austauschjahre: Das Jahr der russischen Sprache und Literatur in Deutschland und das Jahr der deutschen Sprache und Literatur in Russland.

Ihr Programm beinhaltet auf der russischen Seite zahlreiche Veranstaltungen in den Bereichen Sprachunterricht, Übersetzung und Literatur: Russisch-Olympiaden, Wettbewerbe für deutsche Schüler und Studenten; Konferenzen, Seminare, Workshops für Lehrer und Hochschulprofessoren für Russisch; Übersetzer-Symposien; Begegnungen unterschiedlicher Art zwischen russischen und deutschen Schülern und Studenten, die jeweils Deutsch und Russisch studieren und vieles andere mehr.

Einige Veranstaltungen werden natürlich der russischen Literatur und ihren großen auch in Deutschland gut bekannten Namen gewidmet sein – darunter auch Ausstellungen, Lesungen, Literaten- und Publizistentreffen.

Um das Potential und die Möglichkeiten, die ich eben angesprochen habe, richtig einschätzen und Weichen für unsere Arbeit stellen zu können, möchte ich auf Folgendes hinweisen. Nach offiziellen Angaben wird Russisch von 160.000 Menschen hierzulande gelernt bzw. studiert. Tendenz, wie wir alle wissen, sinkend. Dass Angebot der Deutsch-Unterrichts ist in Russland zwar auch zurückgegangen. Dennoch rangiert Deutsch nach Englisch auf Platz Zwei gemessen am Angebot des Fremdsprachenunterrichts an russischen Bildungseinrichtungen und wird von zwei Millionen Menschen gelernt.

Die Möglichkeiten, diese Zahl in Russland steigen zu lassen, sind vorhanden. Die Nachfrage danach ist nach unseren Angaben recht groß. Also gibt es genügend Diskussionsstoff und Handlungsspielraum.

Dennoch möchte ich aus nahe liegenden Gründen vor allem auf die Realitäten hierzulande, insbesondere auf die Belange der russischsprachigen Diaspora in Deutschland, eingehen, also auf die Übersiedler, die zu verschiedenen Zeiten aus der ehemaligen UdSSR und Russland hierhergekommen sind und die wir Landsleute nennen. Ich will ganz offen sagen, dass ich gerade unter dem Blickwinkel unseres heutigen Gesprächs auf diese Diaspora mit großer Sorge, aber auch mit großen Hoffnungen schaue.

Besorgt bin ich deshalb, weil es sich dabei um eine Gruppe von drei bis fünf Millionen hier lebender Menschen handelt (niemand weiß es ganz genau, die Wahrheit wird irgendwo in der Mitte liegen), die heute noch Russisch sprechen, diese Fähigkeit aber alsbald verlieren könnten. Sollte für die Bewahrung ihrer Sprache nichts unternommen werden, könnte es dabei um einige wenige Jahre gehen.

Mit Hoffnungen schaue ich auf diese Diaspora deshalb, weil sie in meinem Verständnis ein robustes Bindeglied, eine Art Brücke zwischen zwei Kulturen und zwei Staaten darstellt. Dieses positive Potential wird in meinen Augen von uns unterschätzt.

Natürlich kann hier eine vernünftige Frage folgen, ob diese Übersiedler an sich an der Bewahrung der Sprache und Kultur interessiert sind und ob ein Interesse als solches und ein Bedarf überhaupt objektiv gegeben sind.

Diese Fragen möchte ich mit einem festen Ja beantworten. Zur Funktion des Bindeglieds und der Brücke habe ich mich bereits geäußert, obwohl ich weiß, dass manche diese Fragestellung kritisch beurteilen könnten. Doch was sich schwer abstreiten lässt, ist die Bedeutung der russischen Sprache für die Integration der russischsprachigen Diaspora in die deutsche Gesellschaft. Gerade die Integration und nicht die Assimilation.

Am vernünftigsten kann sich das unter den gegebenen Umständen durch die Sozialisierung der Russischsprachigen vollziehen, indem sich diese selbst organisieren können. Die Selbstorganisation kann ihrerseits durch die Unterstützung der kulturellen und sprachlichen Identität erreicht werden.

Ein weiteres wichtiges Argument dafür ist der russisch-deutsche Wirtschaftsaustausch. Dieser drückt sich nicht nur in 80 Milliarden Euro Handel, sondern auch in über sechs Tausend deutscher Firmen in Russland und über einem Tausend russischer Firmen in Deutschland. Der Bedarf an bilingualem Personal zur Deckung dieses gegenseitigen Investitionsprozesses ist bekanntermaßen gewaltig. Auch die Einbindung dieser Fachleute, deren Interessiertheit an diesem Austausch könnte eine stimulierende Wirkung auf den ganzen wirtschaftlichen Prozess selbst ausüben.

Was das Interesse der Diaspora an der Kultivierung der sprachlichen und kulturellen Identität anbelangt, so kann ich Ihnen versichern, dass dieses gegeben ist und das in einem recht großen Ausmaß. Nach wie vor gibt es zahlreiche russischsprachige Vereinigungen, die entweder als Treffpunkte gedacht sind, wo Menschen das Wohlbefinden der Diaspora und deren einzelner Mitglieder besprechen können, oder als Interessengemeinschaften vor allem im kreativen Bereich fungieren – als Literaten-, Künstler- bzw. Theatervereine. Sehr gut kennen wir zum Beispiel die Vereine der russischsprachigen Kriegsveteranen.

Es gibt auch nicht wenige Initiativen speziell für die Aufbewahrung der russischen Sprache und Kultur. Es werden private bilinguale Kindergärten gegründet. Es gibt sogar private bilinguale Schulen. Besonders verbreitet sind in diesem Bereich die Initiativen für die Gründung der Wochenendschulen, an denen neben der Sprache in einzelnen Fällen auch die Geschichte, Literatur und Kultur unterrichtet werden. Das alles ist aber recht eingeschränkt wegen Mangel an Finanzen, Räumlichkeiten und sonstiger Möglichkeiten, aber auch Initiativgeist als solchem, der – wie Sie alle gut verstehen – von Rahmenbedingungen abhängig ist.

Bei diesen Rahmenbedingungen handelt es sich vor allem um ein entsprechendes Verständnis und Wohlwollen lokaler Behörden. Was könnte das konkret heißen?

Es geht darum, dass die russische Sprache als Wahlfach an den Schulen einiger Bundesländer eingeführt wird, wo sie noch nicht angeboten wird oder als solche gestrichen worden ist. Wir verstehen, dass das die Zuständigkeit der Länder ist. In diesem Sinne werden wir auch in Zukunft mit Landesbehörden sprechen. Dennoch wären wir dafür verbunden, wenn auch die hier anwesenden Damen und Herren Abgeordneten dieses Problem erkennen und dessen Lösung nach Kräften unterstützen würden.

Für eine aktive Einbindung der Behörden vor Ort, letztendlich der Landesbehörden, in die Schaffung bilingualer russisch-deutscher Schulen wären wir Ihnen sehr dankbar. Wahrscheinlich ist es noch zu früh, von einer direkten Einbindung zu sprechen. Dennoch wäre es für die ganze Sache förderlich, dieses Thema auf die Tagesordnung in den Ländern zu setzen, wo die Zahl der russischsprachigen Einwohner besonders hoch ist.

Verlangt ist eine aktive Unterstützung der lokalen Behörden für die besagten Initiativen der lokalen russischsprachigen Anwohner, bilinguale Kindergärten zu gründen sowie weitere Rahmenbedingungen für den Russisch-Unterricht zu schaffen. In ganz Deutschland gibt es ca. 400 derartige Einrichtungen. Doch kann das tatsächlich die Bedürfnisse von über drei Millionen Einwohnern dieses Landes decken?

Es ist uns bewusst, dass die Lösung dieses Problems, insbesondere im Sinne der Erweiterung des offiziellen Russisch-Angebots, natürlich Lösungen für viele weitere Fragen nach sich zieht. Es geht um den erweiterten zwischenstaatlichen Lehrkräfteaustausch, die Anerkennung (Zertifizierung) der Sprachenkenntnisse etc. Und generell sollte man den Studierenden- und Akademikeraustausch ausbauen, irgendwelche besonderen Formen einer gegenseitigen Erweiterung der dualen Berufsausbildung in Erwägung ziehen.

Insgesamt verfügen wir über eine gute Ausgangsgrundlage für die Lösung einer großen Anzahl aller dieser Fragen. Das ist das russisch-deutsche Abkommen über das Erlernen der russischen Sprache in Deutschland und der deutschen Sprache in Russland vom 9. Oktober 2003, das eigentlich revitalisiert und mit neuem Leben gefüllt werden muss. Dieses Abkommen legt Ziele der Sprachpolitik fest, schafft notwendige Voraussetzungen für die Bildung einer günstigen Rechtslage für den russischen Sprachunterricht in Deutschland. Auf der Grundlage dieses Abkommens können unter anderem verschiedene regionale und behördliche Vereinbarungen zu diesem Thema abgeschlossen werden. Als Fazit kann man festhalten, dass energische Schritte von beiden Seiten unternommen werden müssen, damit dieses Abkommen tatkräftig und vollwertig umgesetzt wird.

Sehr gute fördernde Einwirkung auf diesen Prozess hätten die russisch-deutschen Literatur- und Sprachenjahre, die ich am Anfang angesprochen habe.

Ich persönlich aber bin der Meinung, dass man sich mit diesem Problem ernsthaft und vertieft befassen sollte. Das kann nicht mit einer spektakulären Geste gelöst werden. Das bedarf einer systemischen, konsequenten Anstrengung. In diesem Sinne möchte ich, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, mit Ihrem Verständnis und Ihrer Unterstützung rechnen dürfen. Deshalb bin ich heute zu Ihnen gekommen. Für die Einladung danke ich Ihnen allen, insbesondere Herrn Gauweiler, recht herzlich.

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