Das Elend der Dialoge: Fake Dialog mit Russland. Ohne realistische Angebote – ein Hochrisikofaktor in stürmischen Zeiten

[von Prof. hc. Dr. Peter W. Schulze] – Warum leuchtete das Berliner Wahrzeichen  nach dem Anschlag in St. Petersburg nicht in den Farben Russlands? Die offizielle Antwort des Senats auf diese Frage ist bekannt und wurde in den Medien heiß diskutiert. Doch die wahren Gründe, warum die neuerdings in die Mode gekommene öffentliche Geste der Mitgefühlsbekundung ausgerechnet der Stadt an der Newa verwehrt blieb, liegen viel tiefer. Dabei ist die Notwendigkeit des Dialogs mit Russland größer denn je. „Ein erster und essentieller Schritt dazu wäre die beidseitige Abrüstung der antagonistisch-aggressiven Narrative in den Medien und der Politik“, –  meint Prof. Dr. Peter Schulze und warnt vor den Gefahren eines „Fake Dialogs“ mit Russland.

Im achten Jahr der Finanz-und Wirtschaftskrise, die um Sanktionen im Gefolge der Ukrainekrise seit 2014 noch verschärft wurde, grassiert in Russland eine angespannte soziale Lage. Nicht, dass ein Regime Change herbeigewünscht wird, aber Hoffnungen auf eine nötige Erholung von Energie-und Rohstoffpreisen, also die Hauptdevisenbringer, auf dem Weltmarkt haben sich nur schleppend erfüllt. Zwar sind die Zustimmungsraten für den russischen Präsidenten noch hoch, aber das ist eher fehlenden politischen Optionen und gesellschaftlich akzeptierten Oppositionskräften geschuldet. Des Weiteren trägt die als feindlich und diskriminierend interpretierte Medienpropaganda des westlichen Auslandes ihren Teil zur Systemstabilität bei.

Dennoch, in diesem Kontext sich nur langsam abschwächender sozialer Probleme und steigender Kosten für die Lebenshaltung wird die russische Führung früher oder später daran gehen müssen, einen außenpolitischen Kurswechsel einzuleiten. Ein vorsichtiger Richtungswechsel, fußend auf zwei Faktoren, deutete sich erstens bereits bei den anti-Korruptionsmaßnahmen an, vor denen auch hohe Repräsentanten nicht mehr gefeit sind. Zugleich erfolgt zweitens und schrittweise ein politischer „Generationswechsel“ auf allen Ebenen der Föderation. Natürlich reflektieren beide Vorgänge primär Überlegungen zur Bewahrung und Stabilisierung des Systems. Aber sie zielen auf mehr. Ihnen liegt die Einsicht zugrunde, dass die konfrontative Außenpolitik zu Auseinandersetzungen und Sanktionen geführt hat, die sich nicht förderlich auswirkten. Ferner ist beim Krieg in der Ukraine sichtbar geworden, dass ein militärischer Sieg nicht eingefahren werden kann. Letzterer Faktor impliziert, dass die Siegeseuphorie, es dem „Westen“ nach Jahren der Demütigung, endlich gezeigt zu haben, verflogen ist. Diese Quelle der Legitimationsbeschaffung sprudelt angesichts der sozialen Probleme und der Unlösbarkeit des Konfliktes kaum noch.

Akzeptieren wir diese Einschätzung, so kann daraus gefolgert werden, dass der Kreml daran interessiert ist, sich zu einer mehr auf Kooperation und Kompromisse beruhenden Außenorientierung durchzuringen.

Zum Tango werden aber zwei Partner benötigt. So müssten jene politischen Entscheidungsträger in den transatlantischen Machtstrukturen, die einen solchen Paradigmenwechsel in der russischen Außenpolitik für wünschenswert halten, ebenfalls ein Interesse daran bekunden, dass über Begegnungen, Diskurse und Verhandlungen erneut Fühler zur Vertrauensbildung zielführend ausgestreckt werden. Ein erster und essentieller Schritt dazu wäre die beidseitige Abrüstung der antagonistisch-aggressiven Narrative in den Medien und der Politik.

Dem Umstand, dass Russland in den Kreis der mitgestaltenden Kräfte des Internationalen Staatensystems zurückgekehrt ist, muss endlich in westlichen Kreisen Rechnung getragen werden. Dazu zählt auch, dass alle subversiven Maßnahmen, einen Regime Change zu inszenieren, in die Wolkenwelt der Phantasterei verbannt werden müssen. Denn von den russlandphoben Kräften immer wieder inszeniert geraten sie zu einem hochgradigen Risikofaktor. Gleichwie, ob es den transatlantischen Mächten gefällt oder nicht, niemand wird sich an der alten, für Europa immer noch gültigen Formel, das Frieden und Sicherheit in Europa nicht gegen oder ohne Russland verwirklicht werden könne, vorbeimogeln können.

Wie steht es aber mit der Dialogbereitschaft des „Westens“?

Zentral für die Wiederherstellung normaler, belastbarer, pragmatischer und auf Interessen basierender Kooperation ist es angesichts der schwelenden und ungelösten Krise in der Ukraine nicht nur wieder Vertrauen zu schaffen, sondern auch zu gemeinsamen und umsetzbaren Übereinkünften zu gelangen.

Denn nach den Ereignissen in der Ukraine ist die Kommunikation der EU mit Moskau fast völlig eingestellt worden. Ähnliches traf auch den NATO-Russland Rat. Einzig, geführt von Berlin und Paris, aber unterwiesen von der Obama-Administration, kamen dauerhafte Verhandlungen über die Beendigung der militärischen Gewalteskalation in der Ukraine zustande. Und durch den lobenswerten Einsatz der OSZE und der zunehmend realistischen Lagebeurteilung durch Paris und Berlin lebt das Minsk II Abkommen.

Zudem sind Gesprächskanäle im Russland-NATO-Rat wieder geöffnet worden. Trotz vereinzelter Treffen zwischen deutschen und russischen Politikern aus Bundestag und Staatsduma, ist die eisige Atmosphäre jedoch nicht aufgetaut worden. Der Stillstand in den Beziehungen dauert an. Die prinzipielle Besuchs-und Delegationspolitik deutscher Politiker hat zwar deren Miles & More- Konten aufgepäppelt, aber in der Sache wenig gebracht. Es gab keine Angebote von europäischer Seite und die ewige und sterile Mantra über völkerrechtswidriges Verhalten Moskaus im Falle der Krim ist zu einem Ritual verkommen. Denn die Krim ist und wird ein Subjekt der Russischen Föderation bleiben- es sei denn, man riskiert eine militärische Option und damit die nukleare Auslöschung Europas.

Zwar werden im trauten Kreis von Gleichgesinnten manchmal auch Äußerungen vernommen, dass nicht nur Moskau allein an der Misere die Schuld trage, dass auch die EU Fehler gemacht habe. Oder dass der Westen die Vorschläge des damaligen Präsidenten Medwedew gemeinsam an einer neuen Sicherheitsstruktur in Gesamteuropa zu arbeiten, hätte testen sollen. Aber daraus wird nicht die für die Zukunft so essentielle Schlussfolgerung gezogen, warum dies nicht geschah und ob wir uns dieser Aufgabe nicht erneut gemeinsam zuwenden sollten. So bleiben solche Eingeständnisse folgenlos. Sie haben primär eine rhetorisch-rechtfertigende Funktion. Sie sollen die Gesprächsbereitschaft des Westens belegen, ohne dass wirkliche Angebote, den Gesprächsfaden wieder aufzunehmen, gemacht werden. So wird kein zielführender Dialog, der auch auf die Beschwerden und Ängste der anderen Seite eingeht, eingeleitet.

Damit wird vielleicht eine Chance vertan, wenn die eingangs angestellte Annahme zutrifft, dass es Anzeichen für einen vorsichtigen Paradigmenwechsel in der russischen Außenorientierung gibt, die vielleicht für die Wiederbelebung gemeinsamer Verantwortung genutzt werden könnte, für Sicherheit, Frieden und Wohlfahrt in Gesamteuropa einzutreten.

Erstveröffentlichung: russlandkontrovers.de

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