Covid-19: Gefahr für psychische GesundheitFoto © russland.NEWS

Covid-19: Gefahr für psychische Gesundheit

Das Leben in der Selbstisolation hat sich sehr negativ auf die Familienbeziehungen ausgewirkt. Nach Angaben vom staatlichen Statistikamt Rosstat ist die Zahl der Scheidungen in Russland von Januar bis August 2021 um 27,1 Prozent gestiegen. In den acht Monaten des Jahres 2021 gab es 428.000 Scheidungen, gegenüber 336.800 im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Im Vorkrisenjahr 2019 ging die Zahl der Scheidungen um 56.000 zurück.

Die meisten Russen leben in kleinen Wohnungen. Viele mussten während des Lockdowns auf wenigen Quadratmetern leben und arbeiten. Familien mit schulpflichtigen Kindern hatten es besonders schwer, als ihre Kinder online lernen mussten.

Eine andere Studie hat gezeigt, wie sich die Pandemie auf den psychischen Zustand der Russen ausgewirkt hat. In der Zeitschrift Ökonomische und soziale Veränderungen: Fakten, Tendenzen und Prognosen“ schreibt Julia Schamatowa vom Wissenschaftlichen Zentrum Wologda der Russischen Akademie der Wissenschaften: „Im Jahr 2020 wurden in Russland mehrere Querschnittsstudien durchgeführt, um den psychisch-emotionalen Zustand der Bevölkerung zu ermitteln. Den Ergebnissen einer dieser Studien zufolge wurden klinische Werte von Angst und Depression bei 9,3 bzw. 6,1 Prozent der Befragten festgestellt, subklinische Werte bei 12,6 bzw. 15,1 Prozent. Den Ergebnissen einer Studie der Mitarbeiter des Wissenschaftlichen Zentrums für psychische Gesundheit zufolge hat jeder dritte Bewohner der Hauptstadt das Bedürfnis nach psychologischer Hilfe. Gleichzeitig wird eine negative Dynamik der Fähigkeit, das Geschehen objektiv zu bewerten und sich selbst zu trösten, festgestellt, die eine Stressbewältigung verhindert“.

Das Zentrum für psychische Gesundheit stellte außerdem fest, dass mit dem Fortschreiten der Pandemie die Zahl der Selbstmordgedanken unter den Russen zunahm. Während Ende März 2021 noch 4,5 Prozent ernsthafte Absichten hatten, war es Ende Juni bereits jeder Zehnte.

Und Wissenschaftler des Moskauer Forschungsinstituts für Psychiatrie erwarten generell „eine Zunahme der Selbstmorde in Regionen Russlands mit relativ niedrigen Selbstmordraten“. In rezessiven Regionen mit chronischer wirtschaftlicher Stagnation und Entvölkerung hingegen ist der „Beitrag des Coronavirus“ aufgrund der Anpassung an belastende Ereignisse („wenn man nicht in Reichtum leben würde, müsste man sich nicht daran gewöhnen“), der schlechten Zugänglichkeit der medizinischen Versorgung und der epidemiologischen Aufzeichnungen möglicherweise nicht so deutlich spürbar“.

In den Medien wird Covid-19 als Bedrohung dargestellt, was Panik und Stress verstärkt und das Auftreten oder den Rückfall von Angstzuständen, Zwangsneurosen und posttraumatischen Belastungsstörungen provoziert. Die sozialen Medien spielen dabei eine wichtige Rolle. Ihr Konsum erhöht das Risiko von Angstzuständen um den Faktor 1, 7 und von Depressionen um den Faktor 1,9.

„Es muss weiter erforscht werden, wie die psychisch-emotionale Belastung durch die Pandemie jetzt und in Zukunft gemildert werden kann, da die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit länger dauern und ihren Höhepunkt nach der eigentlichen Pandemie erreichen werden. In dem Maße, in dem sich die wirtschaftlichen Folgen der Isolation entwickeln, in dem aus nach Urlauben Entlassungen kommen, Steuer- und Hypothekenferien auslaufen und die Rezession wirksam wird, ist nicht nur mit anhaltendem Stress und einer klinisch signifikanten Verschlechterung der psychischen Gesundheit bei einigen Menschen zu rechnen, sondern auch mit dem Auftreten der langfristigen psychischen Folgen des wirtschaftlichen Niedergangs, einschließlich erhöhter Selbstmordraten.

Man ist zu dem Schluss gekommen, dass bis zu 70 Prozent der Weltbevölkerung während der Covid-19 potenziell psychologische Hilfe benötigen könnten. Einige Forscher stellen jedoch auch eine neue positive Erfahrung für die Menschen während der Pandemie fest. Dazu gehören der Stolz auf die bewiesene Widerstandsfähigkeit und die Bewältigung von Widrigkeiten, das Gefühl der Gemeinschaft im Angesicht des Unglücks und die tiefe Befriedigung, einander zu helfen. Auch die Stigmatisierung der psychischen Probleme hat sich verringert. Viele haben in dieser Zeit psychische Probleme, über die zu sprechen sie sich nicht mehr schämen, was nach Ansicht von Experten dazu beitragen sollte, dass sie früher erkannt und behandelt werden und so die Krankheitslast verringert wird“, schreibt Julia Schamatowa.

[hrsg/russland.NEWS]

COMMENTS