„Christos woskresse!“ Am Sonntag feiert die Russisch-Orthodoxe Kirche Ostern

„Christos woskresse!“ Am Sonntag feiert die Russisch-Orthodoxe Kirche Ostern

In der russischen orthodoxen Kultur hat Ostern eine zentrale Stellung. Dieses Fest gibt dem kirchlichen Jahr sozusagen „seine Färbung“. “Nirgendwo auf der Welt wird Ostern so hell gefeiert wie in der Orthodoxen Kirche und nirgendwo wird diese Freude des Festes so poetisch und rührend zum Ausdruck gebracht, wie in Russland“, schrieb im Jahre 1911 Erzbischof Nikon.

Doch 1917 war Schluss damit. „Religion ist das Opium des Volkes“. Diese These von Marx hat  Lenin weiterentwickelt: „Die Religion ist eine Form des geistigen Jochs“. Für seine Bolschewiken war das ein Aufruf zum Handeln. Und sie hatten es eilig. Schon 1918 unterzeichnete Lenin das „Dekret über die Trennung von Kirche und Staat“. „Keine kirchliche oder religiöse Gemeinschaft hat das Recht auf Besitz oder Eigentum“, hieß es darin. Doch die neuen Machtinhaber begnügten sich nicht mit der Enteignung des gesamten Besitztums der Kirche, sondern begannen unmittelbar nach der Oktoberrevolution Kirchen und Klöster zu zerstören und die Gläubigen massiv zu verfolgen. In blinder Wut warf man die Glocken von den Türmen, verbrannte und besudelte Ikonen.

Der Nachfolger von Stalin – Nikita Chruschtschow – betrieb die schärfsten Repressionen gegen den Glauben. Sein angekündigtes Ziel war „die Überwindung der Religion als Überbleibsel des Kapitalismus im Bewusstsein der Menschen“. In der gesamten Sowjetunion gab es in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts lediglich zwanzig Klöster, davon nur eins im eigentlichen Russland (das Sergej-Dreifaltigkeitskloster in Sagorsk, heute wieder Sergiew Possad). Weniger als acht Tausend orthodoxe Gemeinden konnten überleben. Die sowjetischen Machtinhaber unternahmen alles Denkbare, um alle religiösen Feste aus dem Volksgedächtnis zu tilgen. Und natürlich gab es offiziell weder Weihnachten noch Ostern.

Vor allem ging es darum, junge Menschen daran zu hindern, Ostern zu feiern. Denn wenn die Religion das Opium war, war Ostern als wichtigstes Fest – sozusagen eine „gefährliche Dosis“ davon. In den 30ern hat man sogar den Versuch unternommen, zu Ostern den freien Tag von Sonntag auf Donnerstag zu verlegen, damit dieses Fest zum Arbeitstag wurde. Oder man veranstaltete am Ostersonntag einen Subbotnik. In der Osternacht postierte man Miliz oder besonders parteitreue Komsomolzen vor den Kirchen mit der Aufgabe, keine jungen Leute reinzulassen. Denn darum ging es – die Jugend sollte nichts von Ostern mitbekommen, denn viele Großeltern haben weiterhin Osterbräuche gepflegt, und Menschen waren einfach neugierig darauf, was Ostern überhaupt ist. Man ließ Provokateure in die Kirchen, die betrunken waren oder Betrunkene spielten, um die Gottesdienste zu stören.  Im Fernsehen liefen im Spätabendprogramm immer sonst verbotene amerikanische Blockbuster oder Konzerte der Popmusik aus dem Westen – das sollte Jugendliche davon abhalten, in die Kirche zu gehen. In einigen Schulen fanden sogar am Ostersonntag Pflichtveranstaltungen statt.

Alexander Solschenizyn zeichnete in seinem dokumentarischen Essay „Ostern in meinem Leben“ ein trauriges und für die damalige Zeit typisches Bild einer Osternacht in den 60er Jahren in Moskau: „Die Glocke tönt und kündet die Prozession an. Nun ein Gedränge! Doch nicht die Gläubigen sind´s, nein, wieder ist´s die grölende Schar. Doppelt und dreifach stürmen sie in den Hof, laufen, drängen, wissen selbst nicht, was sie suchen, welchen Platz sie erkämpfen sollen, um die Prozession besser zu sehen. Sie zünden die roten Osterkerzen an und daran ihre Zigaretten, so sieht das aus! Sie stoßen einander, wie in Erwartung eines Foxtrotts. Fehlt nur der Bierstand!“.

Im heutigen Russland feiern immer mehr Menschen Ostern. Laut der aktuellen Umfrage des Allrussischen Meinungsforschungs-zentrums WZIOM, haben mehr als drei Viertel (81 Prozent) der Russen vor, Ostern zu feiern. 48 Prozent werden traditionelle Osterspeisen zubereiten und 21 Prozent diese Speisen in der Kirche weihen lassen. 11Prozent der Befragten gaben an, am nächtlichen Ostergottesdienst teilzunehmen.

Also ist Ostern für die meisten Russen mehr mit schönen alten Bräuchen verbunden als mit der Kirche. Auch in der Zeit, als Atheismus die Staatsreligion war, ging die Tradition des Kulitsch-Backens nicht verloren. Und obwohl nur die wenigsten überhaupt noch wussten, was Ostern bedeutet, geschweige denn in die Kirche gingen, backte man Kulitschi und bemalte fleißig die Eier.

Nikita Chruschtschow glaubte fest daran, den Tag der völligen Ausrottung des christlichen Glaubens persönlich zu erleben. Doch trotzt des staatlich verordneten Atheismus überlebten viele Osterbräuche die 70 Jahre Kommunismus. Sie passten sich einfach den neuen Zeiten an. So konnte man zum Beispiel in sowjetischen Bäckereine kurz vor Ostern „Frühlingskekse“ kaufen, die in Wirklichkeit nach dem klassischen Rezept eines Osterkuchens gebacken wurden.

Und der vom russischen Künstler Dmitri Vrubel auf der Berliner Mauer als ein Liebeskuss zwischen Breschnew und Honecker verewigte „sozialistische Bruderkuss“ ist nichts anderes als ein Osterkuss. In der Osternacht gibt man seinem Nächsten drei Küsse auf die Wange und ruft aus: „Christos woskresse! – Christus ist auferstanden!“ Im Russischen hat diese Geste eine sehr interessante Bezeichnung: похристосоваться“, was man als „sich im Christus vereinigen“ übersetzen kann. Doch die kommunistischen Staatsmänner hatten von all den christlichen Traditionen keine Ahnung.

[Daria Boll-Palievskaya/russland.NEWS]

Fotos © Daria Boll-Palievskaya

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