[ Von Gunnar Jütte ]Im Prozess gegen den früheren Ölunternehmer Michail Chodorkowski hat der russische Regierungschef Wladimir Putin vor der Urteilsverkündung von dessen Schuld gesprochen und ihn damit vorverurteilt.
Es sei davon auszugehen, dass „die Verbrechen von Herrn Chodorkowski vor dem Gericht bewiesen wurden“, sagte Putin am Donnerstag in einer Fragestunde im Fernsehen. Chodorkowskis Verteidiger verurteilte die Äußerungen Putins scharf.
Die Anklage wirft Chodorkowski vor, mehrere Milliarden Rubel durch illegale Ölverkäufe unterschlagen zu haben. „Jeder Dieb muss ins Gefängnis“, sagte Putin. Er verwies darauf, dass der US-Milliardenbetrüger Bernard Madoff für „ähnliche Verbrechen zu 150 Jahren Gefängnis verurteilt“ worden sei. Da sei die russische Justiz, die gegen Chodorkowski 14 Jahre fordert, „sehr viel liberaler“.
Chodorkowskis Anwalt Juri Schmidt kritisierte die „direkte Einmischung“ Putins in den Prozess, durch die Druck auf den Richter ausgeübt werde. „Das ist nach Artikel 17 der europäischen Menschenrechtskonvention verboten“, sagte Schmidt. Er kündigte an, dies in einer Klage vor dem europäischen Menschenrechtsgerichtshof vorzubringen, sollte Chodorkowski verurteilt werden.
Damit hat Putin einem rechtlich einwandfreien Ablauf des Prozesses sicher keinen Gefallen getan.
Beeinflussung auch von anderer Seite
Aber nicht nur Putin versucht mit vorgefertigten Einschätzungen den Prozess schon vor Urteilsverkündung zu kommentieren.
Der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Andreas Schockenhoff (CDU), rechnet zwar auch mit einem Schuldspruch. Aber aus einer anderen Motivlage als Putin.
Er habe während des Verfahrens mehrfach die Sorge geäußert, dass der Prozess in rechtsstaatlicher Hinsicht Fragezeichen aufwerfe, sagte Schockenhoff. „Ich befürchte, dass ich darin bestätigt werde.“
Das Verfahren gegen den Ex-Chef des inzwischen zerschlagenen Ölkonzerns Yukos und seinen früheren Geschäftspartner Platon Lebedew sei ein „politischer Prozess“, kritisierte der Koordinator für die deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit.
„Der Richter wird in seiner Begründung nach einem Weg suchen, um Chodorkowski über die Präsidentschaftswahlen 2012 hinaus in Haft zu behalten“, sagte Schockenhoff, der das Verfahren in Moskau mehrmals als Zuschauer verfolgt hat.
Ein Freispruch wäre ein „Risiko für das System Putin“, da Chodorkowski dann bereits 2011 und somit vor dem Urnengang freikäme. Der Kreml-Kritiker hatte vor seiner Inhaftierung im Jahr 2003 zum Ärger des damaligen Präsidenten und heutigen Regierungschefs Wladimir Putin die Opposition unterstützt.
Ein erneuter Schuldspruch wäre zugleich ein „Rückschlag“ für die Bemühungen von Präsident Dmitri Medwedew, das russische Justizwesen zu modernisieren, sagte Schockenhoff. Medwedew habe die Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit für die Modernisierung des Landes zu einem Grundanliegen seiner Präsidentschaft gemacht. Der Prozess gegen Chodorkowski sei dafür ein „Testfall“, ergänzte er. „Bei einer erneuten Verurteilung wäre dieser Test nicht bestanden.“ Der Eindruck mangelnder Rechtssicherheit werde die Bevölkerung nicht ermutigen, sich für eine Modernisierung stark zu machen.
Chodorkowski als Menschenrechtler
In Berlin wurde Chodorkowski rechtzeitig vor der Urteilsverkündung mit der Rainer-Hildebrandt-Medaille ausgezeichnet, einem vom Berliner Mauermuseum am Checkpoint Charlie verliehenen Menschenrechtspreis. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning (FDP), übergab den Preis bei der Zeremonie am Montagabend an Chodorkowskis Mutter Marina.
Löning bezeichnete den neuen Prozess gegen den 47-jährigen Kreml-Kritiker als politisch motiviert. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) kritisierte, der Prozess sei ein Zeichen für ein mangelndes Interesse Russlands an einer Annäherung an Europa. Die Rainer-Hildebrandt-Medaille wird an Menschen verliehen, die sich gewaltfrei für Menschenrechte einsetzen.
Da sich Chodorkowski nun in seinem bisherigen, auch geschäftlichen, Leben nicht sonderlich durch den gewaltfreien Einsatz für Menschenrechte auszeichnete, kann dieser Preis, ausgerüstet mit den Kommentaren von Lammert und Löning, nur als Versuch gesehen werden Chodorkowski vor Urteilsverkündung freizusprechen und ihm den Heiligenschein aufzusetzen.
Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) hatte bei seinem Besuch im November in Moskau an die russische Regierung appelliert, Sorgen angesichts des Prozesses gegen den früheren russischen Ölmagnaten Michail Chodorkowski ernst zu nehmen. Bei seinem Antrittsbesuch 2009 hatte sich Westerwelle noch, wie es sich als hoher Diplomat gehört, öffentlich zurückgehalten.
Somit haben sich im Laufe des Prozesses viele ungefragt zu Wort gemeldet und Kommentare zum Urteil lange vor Urteilsverkündung abgegeben. Damit kann das Gericht nur verlieren.
Eine Verurteilung, wie auch immer wird zwangsläufig dazu führen, dass man dem Gericht unterstellt, es würde auf Druck Putins handeln.
Ein Freispruch könnte kommentiert werden, dass Gericht habe dem Druck westlichen Politiker stattgegeben.
Mit den wechselseitigen Erklärungen, dass Chodorkowski schuldig ist, oder dass er unschuldig ist, gerade von höchsten Politikern, hat man dem Prozess keinen Gefallen getan. Egal wie er ausgehen wird, ein übler Beigeschmack wird im Falle einer Verurteilung wie eines Freispruches sein.
Im Falle eines Freispruches würde dann auch der „Opposition“ und vielen westlichen Politikern ein Feindbild abhanden kommen und man müsste sich überlegen, wie man mit dem hoch gelobten „Menschenrechtler“ Chodorkowski umzugehen hat.
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