Bürgerinitiative gewinnt Straßenkampf in TarussaDemonstration im Dezember 2020

Bürgerinitiative gewinnt Straßenkampf in Tarussa

[von Gunnar Jütte] Nach fast anderthalbjährigem Kampf gegen die Straßenumbenennung hat die Duma der Stadt Tarussa die Resolution vom 20. Oktober 2020 zur Umbenennung von Straßen mit sowjetischen Namen endgültig zurückgenommen.

Diese Entscheidung trafen die Abgeordneten der Stadtduma auf einer Sondersitzung, die am Freitag, den 25. März in Anwesenheit von Dutzenden Stadtbewohnern in der Aula des Bezirksverwaltungsgebäudes in Tarussa stattfand.

Von den neun bei der Sitzung anwesenden Abgeordneten stimmten sieben für die Aufhebung der „früheren“ Resolution, und zwei Abgeordnete haben sich der Stimme enthalten.

Ebenso hat der Hauptinitiator, Leiter der Tarussa-Region Ruslan Smolensky, seinen Posten verlassen und lebt nicht mehr in Tarussa.

Die Umbenennungsgeschichte startete kurz nach den Regionalwahlen am 13. September 2020. Daraufhin entschied der neue Rat der Stadt Tarussa mit Smolensky, Arm in Arm mit den Monarchisten um Zargrad, an der Spitze handstreichartig, die Straßen in Tarussa umzubenennen.

Dokumenten zufolge sollten die Straßen in Tarussa wieder ihre alten historischen Namen bekommen. Nach der Veröffentlichung der Umbenennungsliste am 22.Oktober brach ein Empörungssturm unter den Tarussianern aus. Viele Moskauer, die Datschen in Tarussa besitzen, beteiligten sich umgehend an der Debatte. Schnell trennte sich die Spreu vom Weizen. Die Mehrheit der Anwohner schien gegen eine Umbenennung zu sein, alle sekundär Beteiligten waren begeistert, dass die Namen der „Henker“ und „Mörder“ endlich getilgt werden. Im Rausch der Entkommunisierung sollte alles von Karl Marx über Rosa Luxemburg, Lenin und unbekannteren Revolutionären wie Wolodarski ausgelöscht werden.

Unter dem Mantel der historischen Rückführung der Straßennamen musste mehrfach von der Stadtregierung betont werden, dass dies nichts mit „Antikommunismus“ zu tun habe.
Dabei übersah man, dass auch Straßennamen auf der Liste stehen, die es historisch noch gar nicht gab, also eine „Rückführung“ nicht möglich war. Da der damalige Stadtobere Smolensky begeisterter Arktis-Fan ist, wurde beispielsweise die Wolodarskogo – benannt nach einem Revolutionär, der bereits im Juni 1918 ermordet wurde – kurzerhand in Pronchischtchev umbenannt, einem Arktisforscher aus dem 18ten Jahrhundert ohne irgendeinen historischen Bezug.

Smolensky schaltete auf direkte Konfrontation gegen den Mehrheitswillen der Bevölkerung von Tarussa. Besonders heroisch äußerte sich Smolensky der Zeitung Podyom gegenüber, dass es keine Pläne gibt, die Umbenennung abzubrechen. Nach seinem Statement konnte man meinen, in Tarussa sei bereits der bewaffnete Straßenkampf ausgebrochen.

„Wir werden es bis zum Ende durchziehen, während wir unter enormem Druck von außen stehen. Sie fordern den Rücktritt aller Selbstverwaltungsorgane der Stadt und Region, sie drohen mit körperlicher Gewalt und Verfolgung aus ganz Russland, sammeln die noch existierenden Terroristen und setzen sie auf uns an. Heute versammelten sich die sechs Abgeordneten, die dafür gestimmt hatten, und sagten, sie würden den ganzen Weg wie 300 Spartaner gehen. Wir erkennen, dass wir uns in einem der Zentren der Bedeutungsbildung der russischen Welt befinden.
Wir waren die ersten, die einen Anruf von der Union of Donbass Volunteers erhielten. Wenn wir dem Druck erliegen, wird dies ihrer Meinung nach ein Schlag für alle sein, die in Syrien und im Donbass kämpfen – für alle, die die nationalen Interessen Russlands verteidigen. Dies kann nicht erlaubt werden. Die Entscheidung wird umgesetzt. Dann können Sie uns abwählen. Wir sind hier so stur.“  

Erschreckend war zusätzlich das Verhalten der selbsternannten Demokraten. Dass man bei einer Straßenumbenennung Bürger beteiligen könnte, dass man eine öffentliche Diskussion führen könnte, lehnten gerade diese „Demokraten“ ab. Es könnte ja sein, dass die Anwohner gegen die Interessen der „Demokraten“ abstimmen. Die „Demokraten“ wollten auch deshalb keine Diskussion, weil die zu lange dauern würde. Man beabsichtigte, auch wenn es undemokratisch ist, Nägel mit Köpfen machen. Wie schrieb einer der Demokraten auf Facebook: „Das Ziel hier ist keine Demokratie, sondern eine Distanzierung von Mördern.“
Im Kampf ums Löschen der sowjetischen Vergangenheit ist jedes Mittel recht, sei es noch so undemokratisch.

Smolensky begann damals sofort mit dem Austausch von Straßenschildern, und auch der Navigator von Yandex hatte blitzartig die neuen Straßennamen gespeichert.

Das war wohl etwas voreilig. Dutzende Appelle und Briefe an das russische Staatsoberhaupt, seine Assistenten und Beamte an die Präsidialverwaltung in Moskau, an den Gouverneur und die Minister der Region Kaluga, die Strafverfolgungsbehörden sowie Unterschriftensammlungen für die Aufhebung der unsachgemäßen Entscheidung und der Forderung nach Rücktritt der Bezirksregierung, sowie zahlreiche Klagen vor Gerichten, Demonstrationen und die selbstlose Arbeit der Anwälte, all das endete jetzt in dem Ratsbeschluss.

In sozialen Medien war folgendes zu lesen: „Ruslan Smolensky ist nicht mehr hier, und es gibt auch keinen Beschluss der Stadtduma zur Umbenennung von Straßen. Das Volk hat gewonnen. Das normale Volk hat gewonnen! Dieser Sieg wurde heute um 15:27 Uhr errungen.“

Man hätte Smolensky darauf hinweisen sollen, dass die 300 Spartaner das gegnerische Heer nur kurze Zeit aufhalten konnten und keiner von ihnen die Schlacht überlebte.

 

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