Russland wird voraussichtlich keinen neuen Vertrag mit der Ukraine über Stromlieferungen auf die Krim schließen. Das sagte der Kreml-Sprecher, Dmitrij Peskow, kurz nach Bekanntwerden der Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage des russischen Meinungsforschungszentrums FZOM unter 400 Einwohnern der selbständigen Verwaltungseinheit Sewastopol und 600 Bürgern der Republik Krim. Überraschend hatte Präsident Putin am 31. Dezember 2015 die Befragung in Auftrag gegeben, nachdem er das neue Vertragsangebot aus Kiew erhalten hatte. Die ukrainische Seite sagt die Weiterführung der Stromleitungen nur unter der Voraussetzung zu, dass in der Vereinbarung die Krim als Teil der Ukraine anerkannt wird.
In den vergangenen Wochen war die Stromversorgung aus der Ukraine auf die Krim nach einem Anschlag am 22. November auf die grenzüberschreitenden Überlandleitungen erheblich gestört. Fast zwei Millionen Menschen auf der Halbinsel waren nahezu komplett ohne Elektroenergie. Von den vier durch die Sprengungen zerstörten Trassen sind drei bis heute nach wie vor außer Betrieb und auch die dritte fiel Ende letzter Woche wieder aus – wegen einer Havarie, so die offizielle Kiewer Version. Presseberichten zufolge war wohl wiederum eine gezielte Zerstörung die Ursache. So musste die Bevölkerung der Halbinsel auch über das Neujahrsfest zeitweise Stromabschaltungen in Kauf nehmen.
Leitungen über das Meer
Inzwischen arbeitet Russland fieberhaft an einer Stromversorgung der Krim vom russischen Festland aus. Der russische Staatschef selbst nahm am 2. Dezember die erste Überlandleitung mit einer Kapazität von 200 MW vom Kuban über die Kertscher Meerenge auf die Halbinsel in Betrieb. Zwei Wochen später floss Strom durch die zweite Trasse. Derzeit fehlen zur kompletten Abdeckung des Bedarfs an Elektroenergie auf der Krim etwa noch 600 MW. Die volle Versorgung der Krim mit Elektroenergie wird aber erst im Mai gewährleistet sein, wenn die dritte Trasse ans Netz geht. Deshalb war eine der beiden Fragen der Erhebung, ob die Krimbewohner bereit sind, „zeitweilige Schwierigkeiten durch geringfügige Unterbrechungen der Stromversorgung während der nächsten drei bis vier Monate“ zu akzeptieren, falls kein neuer Vertrag mit der Ukraine Vertrag zustande kommt. Dafür sprachen sich 94,5 Prozent der Befragten aus. Ums Grundsätzliche ging es allerdings in der ersten Frage, die lautete: „Sind Sie für den Abschluss eines Vertrages mit der Ukraine über die Lieferung eines Teiles Elektroenergie, wenn dort festgeschrieben wird, dass die Krim und Sewastopol ein Teil der Ukraine sind?“ Hier antworteten 93,2 Prozent der Respondenten mit Nein. Straßeninterviews des russischen Fernsehens machten deutlich, dass die Bevölkerungsmehrheit auf der Krim gegen einen solchen Vertrag mit der Ukraine ist, weil diese in den vergangenen beiden Jahren alles getan hat, um die Situation auf der Halbinsel zu Lasten der Einwohner zu destabilisieren. Neben dem Anschlag auf die Stromtrassen waren das unter anderem die Unterbrechung der Wasserversorgung und die monatelange Blockade der Grenzübergange für Lebensmittellieferungen aus der Ukraine durch tatarisch-nationalistische Aktivisten.
Millionen-Verlust für die Ukraine
Mit dem klaren Votum hat Putin nicht nur ein Argument für die Ablehnung des Vertrages mit der genannten Bedingung, sondern er gibt zugleich der internationalen Öffentlichkeit ein Zeichen, dass die allermeisten Krimbewohner keine Rückkehr in den Bestand der Ukraine wollen. Das deckt sich auch mit den Erfahrungen von Russland.RU-Redakteuren während eines Aufenthaltes auf der Halbinsel. Nicht nur alle Russen, sondern auch die allermeisten Vertreter der tatarischen Nationalität sprachen sich unseren Reportern gegenüber für einen Verbleib in der Russischen Föderation aus, wenngleich durchaus zum Teil mit unterschiedlichen Erwartungen.
Auf kritische Einwände, die Befragung am Tag des Neujahrsfestes könne schwerlich ein repräsentatives Stimmungsbild ergeben, entgegnete der Direktor des FZOM, Walerij Fedotow, dass für die Telefonanrufe Zeiten gewählt wurden, an denen die Feierlichkeiten noch nicht oder nicht mehr im Gange waren. Außerdem bot er an, dass auch internationale Meinungsforschungsinstitute zu jeder Zeit eine ähnliche Erhebung auf der Krim durchführen könnten, die höchstwahrscheinlich zu einem ähnlichen Ergebnis führen würden.
Sollte also die ukrainische Führung in dem Stromliefervertrag für die Krim nicht auf die Alleinvertretungsklausel verzichten, entgehen dem Staat erhebliche Einnahmen. Erst Anfang Juli hatten sich Russland und die Ukraine über die Preissteigerung von rund 15 Prozent auf 3,42 Rbl/kWh für ukrainischen Strom auf der Krim verständigt. Die täglichen Stromlieferungen aus der Ukraine auf die Krim beliefen sich zuletzt auf knapp 1000 MW, das waren rund 90 Prozent des Bedarfs der Halbinsel. (hh)
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