Auftragsmorde: Senator Rauf Araschukow spektakulär verhaftet

Auftragsmorde: Senator Rauf Araschukow spektakulär verhaftet

Rauf Araschukow vertritt ab September 2016 die Teilrepublik Karatschai-Tscherkessien im Föderationsrat. Mit 32 Jahren ist er das jüngste Mitglied des russischen Oberhauses. Am 30. Januar erschienen Ermittler und Strafverfolger im Sitzungssaal und nahmen den Senator fest. Erstmalig in dem seit einem Vierteljahrhundert bestehenden Oberhaus wurde eines seiner Mitglieder von Strafverfolgungsbehörden direkt in einer Plenarsitzung festgenommen.

Generalstaatsanwalt Juri Chaika und Alexander Bastrykin, der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses im russischen Innenministerium, der die Ermittlungen im Strafverfahren beaufsichtigt, und dessen Stellvertreter waren im Saal. Die Vorsitzende des Föderationsrates, Valentina Matwienko, führte Regie. Zuvor war die Versammlung unerwartet für die Presse geschlossen worden, und Mitarbeiter des FSB blockierten den Eingang zur Halle.

Seine Zustimmung zur Festnahme von Araschukow durch das Moskauer Basmanny-Gericht gab der Föderationsrat nach der Übergabe eines 500 Seiten umfassenden Dossiers. Jury Chaika selbst kündigte die Aufhebung der Immunität des Senators an. Die Entscheidung, die Immunität aufzuheben, wurde einstimmig getroffen, und der Festgenommene sofort aus dem Saal gebracht.

Binnen einer Stunde setzte die Partei Einiges Russland die Mitgliedschaft des inhaftierten Araschukow aus. Senator ist er noch. Laut Matwienko hat die Kammer kein Recht, ein Mitglied des Föderationsrates ordnungsgemäß von seinen Befugnissen zu befreien.

Hinter diesem Paukenschlag stecken schwere Vorwürfe: Doppelmord, Gründung einer kriminellen Gemeinschaft und Druck auf Zeugen.

Raul Araschukow, sein Vater und Berater des Generaldirektors von Gazprom Mezhregiongaz, wurde Stunden später in St. Petersburg ebenfalls festgenommen. Organisierte Kriminalität   mit Hilfe und Betrug in Höhe von 30 Milliarden Rubel lauten die Vorwürfe.

Als Informationen durchsickerten, dass das Haus von Araschukow Senior in Karatschai-Tscherkessien Durchsuchungen gab, nahmen sich Polizeibeamte gleichzeitig an mehreren Adressen weitere Objekte vor. In Moskau, St. Petersburg, Stawropol und Tscherkessk kam es zu dutzenden Einsätzen von FSB und Polizei.

Dies Vorgehen der Behörden weist auf einen ziemlich brisanten Fall hin. Was wird Rauf Araschukow vorgeworfen?

Laut einer Erklärung der Ermittlungsbehörden soll Rauf Araschukow in zwei Morde aus dem Jahr 2010 in der Kaukasus-Republik Karatschai-Tscherkessien verwickelt sein. Die Opfer waren Aslan Schukow, ein lokal engagierter Jugendpolitiker und Vertreter einer tscherkessischen Autonomiebewegung (Adyghe-Khase), im Auto vor seinem Wohnhaus erschossen, und Fral Schebsuchow, damals Berater des Gouverneurs der Teilrepublik, mit Baseballschlägern angegriffen und erschossen als er zu fliehen versuchte.

Die Morde blieben lange Zeit unaufgeklärt, aber im Jahr 2012 verhafteten Ermittler einen Verdächtigen – den Anwohner Rasul Ajiew. Er wurde wegen des Mordes an Schukov angeklagt, aber am Ende sprach das Gericht ihn wegen fehlender Beweise für seine Beteiligung an der Straftat frei. Daraufhin protestierten die Angehörigen von Schukow. Auf Anordnung von Bastrykin wurde den örtlichen Untersuchern der Fall entzogen. Ajiew, bereits freigesprochen, suchte die neuen Ermittler auf, um seine Schuld zuzugeben und die Hintermänner des Verbrechens zu benennen. In Ajiews Zeugenaussage hieß der Auftraggeber dieses und einer ganzen Reihe anderer Morde Senator Araschukow. Im August 2018 sagte Ajiew den Behörden, dass er im Jahr 2010 Aslan Schukow mit einer Pistole erschossen habe. Ihm zufolge hat der Politiker auch den Mord an Schebsuchow bezahlt. Die Gebühr für beide Verbrechen betrug 1,5 Millionen Rubel.

Den direkten Auftrag zum Mord habe er von Ruslan Agojew bekommen, dem Ehemann der Schwester von Rauf Araschukow, der er als Wachmann diente. Agojew sei nach einer Lungenbehandlung nie aus den Vereinigten Arabischen Emiraten nach Russland zurückgekehrt und wurde im November 2018 in Abwesenheit wegen Mordes und illegalen Waffenhandels angeklagt.

Trotz zahlreicher Kundgebungen der Angehörigen der Opfer, kam die Untersuchung nicht voran. Um eine direkte Beteiligung des Senators an den Verbrechen beweisen zu können brauchten die Ermittler mehr Zeit. Dank seiner guten Verbindungen konnte der in der Republik einflussreiche Araschukow-Clan den Verdacht von sich abweisen.

Kommersant zufolge gibt ist einen weiteren Zeugen, der Senator Araschukow belastet – Ex-Senator Wjatscheslaw Derew, der gerade wegen Steuerbetrug in Moskau einsitzt. Im Jahr 2012 gab Derew ein Interview, in dem er über die Beteiligung von Araschukow an hochrangigen Verbrechen sprach. Daraufhin kam es zu weiteren Durchsuchungen und gegen den Senator wurde ein Strafverfahren wegen Betrugs in großem Maßstab eröffnet. Das endete mit der Festnahme von Derew selbst. Aus seinem Umfeld heißt es jetzt, Derew rechne nach der Verhaftung von Senator Araschukow mit einer erneuten Prüfung seines Falles und dem Ende der strafrechtlichen Verfolgung.

Seinem Anwalt zufolge plädiert Araschukow auf nicht schuldig. Eine Freilassung auf Kaution von 10 Millionen Rubel lehnte das Gericht ab. Es gäbe Informationen vom FSB, er wolle sich ins Ausland absetzen.

Was wird dem fast gleichzeitig im Gazprom-Gebäude in St. Petersburg inhaftierten Vater Raul vorgeworfen? Seit Ende der 1990er Jahre leitete er verschiedene Abteilungen von Gazprom Mezhregiongaz.  Seit 2011 war er Berater des Generaldirektors von Mezhregiongaz und koordinierte die Arbeit der Niederlassungen des Unternehmens im Nordkaukasus.

Er wird verdächtigt, aus seiner offiziellen Position heraus eine kriminelle Gemeinschaft organisiert zu haben. Ermittlern zufolge war er am Diebstahl von Erdgas in Höhe von mehr als 30 Milliarden Rubel zu Lasten von Gazprom beteiligt.  

Ermittler gehen davon aus, dass er zusammen mit Komplizen nicht existierenden Verbrauchern Gas lieferte. Wie der Zeitung RG mitgeteilt wurde, untersuchen mehr als 200 Ermittler und Mitarbeiter den riesigen Gas-Diebstahl. Im ganzen Nordkaukasus-Distrikt laufen Ermittlungen gegen eine Reihe von Managern der Gasindustrie – darunter ein Verwandter von Senator Rauf Araschukow.

Auch Raul Araschukow plädiert auf unschuldig. Stimmen die Vorwürfe, droht Araschukow Junior eine lebenslängliche Haftstrafe – seinem Vater Raul bis zu 25 Jahre Gefängnis.

Was ist über den jungen Senator bekannt? Man muss sich einen sportlichen Menschen vorstellen. Er leitete einen Sportverein und betreibt Freestyle-Wrestling. Rauf wurde am 23. Juni 1986 in der Familie eines einfachen Dorfbewohners geboren. Vater Raul, der zukünftige Gas-Tycoon, hatte sich im Sommer 1985 bei dem Diebstahl von vier Tonnen Getreide im Wert von 800 Rubel erwischen lassen und dafür eine Bewährungsstrafe erhalten. Nach der Geburt seines Sohnes Rauf soll er einen Lastwagen mit Sonnenblumenkernen gestohlen haben. Dennoch begann in den 1990er Jahren der Aufstieg des Clans der Araschukows zum wirtschaftlichen und politischen Olymp des Nordkaukasus.

Im Jahr 1998 wurde Raul Direktor der in Stawropol ansässigen Firma Gazprom Mezhregiongaz. Die Familie wohnte bald in der geschützten historischen Zone von Stawropol – auf dem Krepostnaja-Hügel, wo jegliche Bautätigkeit verboten war – in einem luxuriösen, zweistöckigen Herrenhaus. Damit die Wagenkolonne der Araschukows problemlos ins Büro fahren konnte, wurde eine mehrspurige Straße von einer Schranke und einer Ampel durchschnitten.

Die Geschäfte der Gasgesellschaft prosperierten, ständig öffneten neue Niederlassungen, auch in den benachbarten Republiken. Es folgten Investment-Geschäfte, in Stawropol wurden mehrere Fabriken erworben. Im kleinen Heimatdorf Khabez wurde ein luxuriöser Hotelkomplex errichtet. Um Touristen anzulocken, prangten in den Regionen Kuban und Stawropol Werbetafeln „Khabez-Wonderland“. Mit Preisen zwischen 6 bis 20tausend Rubel standen die meisten Zimmer leer. Der Werbeslogan avancierte zu einem lokalen Aphorismus für Korruption.

Sohn Rauf wollte seinem Vater nicht nachstehen und startete eine steile Karriere. Mit 18 Jahren war er Manager eines Gasunternehmens und unmittelbar nach Abschluss seines Studiums wurde er Abgeordneter in der Duma von Stawropol. Dann folgte ein ständiger Karrieresprung, bis Rauf im September 2016 Senator wurde.

Die schillernde Familie der Araschukows war jedoch nicht nur für ihre politischen und wirtschaftlichen Ambitionen bekannt, sondern auch für ihre Wohltätigkeit. Ob Wrestling-Turniere, Pferderennen oder Auto- und Motocross, ihr Geld floss in verschiedenste Sportveranstaltungen. Mit guten Preisgeldern wurden die besten und berühmtesten Athleten des Landes angelockt.

Die Araschukow Charity Foundation half Bedürftigen. 2017 wurde in Chabezsk ein unvollendetes dreistöckiges Haus gekauft und dann fertiggestellt. Die Schlüssel zu den neuen Wohnungen erhielten vier syrische Flüchtlingsfamilien.

Der Bericht über die Festnahme von Rauf und Raul Araschukow schlug in Karatschai-Tscherkessien wie eine Bombe ein. Gleichwohl äußerten sich offizielle Vertreter sowie normale Einwohner der Republik nicht zu den Berichten aus Moskau und St. Petersburg.  Aus Regierungskreisen vor Ort heißt es inoffiziell, „jeder in der Republik sei der Araschukows überdrüssig“. Beamte aus verschiedenen Behörden sollen mit unverhüllter Erleichterung erklärt haben, dass Moskau endlich aufgewacht sei. Da die Republik klein ist, wusste bereits 2010 nach wenigen Tagen jeder, wer genau hinter dem Doppelmord steckte.

Die landesweite Orchestrierung und mediale Inszenierung der Verhaftung lassen vermuten, dass Gazprom einen Warnschuss an die ganze Gasindustrie im Kaukasus, inklusive Tschetschenien, abgegeben hat, die Geduld des Konzerns nicht über Gebühr zu belasten.

[hub/russland.NEWS]

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