[Von Lothar Deeg] – Alexej Nawalny, bekannt als Korruptionsjäger und Ein-Mann-Opposition gegen Putin, hat seine Kandidatur bei den nächsten russischen Präsidentenwahlen im März 2018 angekündigt. Allerdings muss er dafür erst einmal unbeschadet aus der Neuauflage des abstrusen „Kirowles“-Prozesses herauskommen.
Noch hat sich Wladimir Putin nicht eindeutig zur P-Frage geäußert – ob er bei den 2018 anstehenden Wahlen erneut für das Amt des Kremlchefs kandidieren wird oder nicht. Es wäre seine vierte Amtszeit (unterbrochen durch vier Jahre als Premierminister). Angesichts seiner aktuellen Machtfülle, hohen Beliebtheit und eines Alters von dann 65 Jahren gibt es momentan nur wenige Gründe daran zu zweifeln, dass Putin nochmal antreten wird.
Der Wahlausgang wäre angesichts der herrschenden politischen Verhältnisse in Russland dann relativ vorhersagbar – aber immerhin gibt es nun die Möglichkeit, dass sich Putin ein energischer Herausforderer entgegenstellt: Alexej Nawalny hat am Dienstag angekündigt, bei den Präsidentenwahlen zu kandidieren. Er wolle mit seinen Mitstreitern 2018 für „echte Wahlen“ sorgen: „Denn seit 1996 hat es in Russland keine echten Wahlen mehr gegeben. Eine Prozedur, die seit 20 Jahren keinerlei Bedeutung mehr hatte, in eine reale Konkurrenz der Ideen, Programme, Ansätze und in einen Wahlkampf zu verwandeln“, sei aber keine leichte Aufgabe, so Nawalny in seinem Blog.
Bereit zum Kampf gegen Oligarchen, Korruption und Bürokratie
Die Hauptproblem Russlands sei, dass die Macht von einer engen Gruppe Personen in Beschlag genommen sei, so Nawalny. Daraus folge eine schreiende Ungleichheit bei der Verteilung der Reichtümer und der Chancen. In Russland gebe es keine freien Massenmedien mehr und inzwischen hunderte politischer Gefangener, schreibt er. Und während die Wirtschaft und die Einkommen seit vier Jahren schrumpften, würden bei hochrangigen Polizisten Rubel-Milliarden in bar sichergestellt.
Als Kernpunkte seiner Ziele nannte Nawalny eine Sondersteuer für Superreiche und eine Steuersenkung für die Mittelklasse, die Garantie eines Mindestlohns von 25.000 Rubel (ca. 385 Euro) und Hypotheken mit 3 Prozent Zinsen. Ein neues Wirtschaftswachstum will Nawalny mit einer Justizreform, dem Kampf gegen die Korruption und einer radikalen Entbürokratisierung erreichen.
Es braucht 300.000 Unterschriften von Sympathisanten
Um zu den Präsidentenwahlen zugelassen zu werden, muss Nawalny aber zuvor 300.000 Unterstützerunterschriften sammeln. Nach den bisherigen Erfahrungen mit dem russischen Wahlsystem auf den verschiedensten Ebenen ist dies eine Hürde, die oft zum Aussieben unerwünschter Kandidaten genutzt wurde: Wird bei der Prüfung der Unterschriften ein gewisser Prozentsatz an falschen Angaben oder Formfehlern festgestellt, wird einem Bewerber die Zulassung verweigert. Nawalny möchte deshalb auf Nummer sicher gehen und sich nicht auf Haustürsammlungen und – wie in der Vergangenheit bei manchen Kandidaten offenbar der Fall – den Ankauf von Unterschriftenlisten zweifelhafter Qualität verlassen: Seinen Wahlkampfstart verband er mit einem Appell an seine Sympathisanten, bei seinem Stab ihre Email-Adresse zu hinterlegen. Auf diese Weise solle ein „Supersystem“ geschaffen werden, dass es am „Tag X“ erlaube, die notwendige Zahl der Unterschriften schnell und verlässlich zu organisieren.
Nawalnys bisher einziger politischer Erfolg war eine Kandidatur als unabhängiger Bewerber bei den Moskauer Bürgermeisterwahlen 2013: Er errang dabei 27 Prozent der Stimmen und kam auf den zweiten Platz, noch vor den Bewerbern der systemkonformen Oppositionsparteien.
Vorbestraft und kaltgestellt in Kirow – bis Straßburg entschied
Parallel lief damals allerdings in Kirow der sog. Kirowles-Prozesss, bei dem Nawalny (nicht zum ersten Mal) unlautere Geschäfte und Betrug vorgeworfen wurde. Das Urteil lautete letztlich fünf Jahre auf Bewährung – wobei eine solche Strafe das Recht ausschließt, für einen politischen Posten wie das Präsidentenamt kandidieren zu dürfen.
Im Februar 2016 entschied jedoch der Europäische Menschenrechtsgerichtshof, dass bei dem Verfahren die Rechte Nawalnys und seines Mitangeklagten auf ein gerechtes Verfahren und auf ein auf geltendes Recht begründetes Urteil verletzt worden seien. Faktisch seien die beiden Angeklagten für Aktivitäten verurteilt worden, die nicht von üblichem unternehmerischem Handeln zu unterscheiden seien, hieß es in der Begründung. Der Gerichtshof sprach Nawalny eine Entschädigung von 8000 Euro und eine Erstattung von Gerichtskosten in Höhe von 71.000 Euro zu.
In der Folge annullierte Russlands Oberstes Gericht das Urteil – womit Nawalny wieder als Kandidat bei Wahlen antreten kann. Auch die Entschädigung wurde vom russischen Staat ausgezahlt. Allerdings wurde auch verfügt, das Verfahren in Kirow erneut anzusetzen – und es nicht etwa als peinliche Justizfarce zu den Akten zu legen: Die Neuauflage des Kirowles-Prozesses begann Mitte November. Mit seiner jetzt angekündigten Kandidatur hat Nawalny diesem Prozess erneut hohe politische Bedeutung gegeben: Sollte es trotz der Straßburger Entscheidung erneut zu einem Schuldspruch kommen, würde dies noch offensichtlicher als Justiz-Trick zum Kaltstellen eines politischen Konkurrenten erscheinen.
Beliebt bei den Großstädtern – in der Provinz ein Nobody
Für den Kreml wäre es wohl klüger, Nawalny antreten zu lassen und so den Charakter freier Wahlen zu wahren: Denn sollte er tatsächlich 2018 (vermutlich gegen Putin) kandidieren können, sind seine Sieges-Chancen so oder so gering – ungeachtet seines damaligen Erfolgs in Moskau: Der Politologe Dmitri Oreschkin sagte gegenüber der „Nowaja Gazeta“, es werde für Nawalny schwierig, auch nur 10 Prozent zu erreichen, „selbst wenn man ihn nicht arg stört“. Nawalnys Hauptproblem sei, dass er im staatlich kontrollierten Fernsehen nicht präsent sei – und damit in der Provinz faktisch unbekannt. Gleb Pawlowski bezeichnet ihn im gleichen Artikel allerdings als „den jetzt wichtigsten Politiker Russlands und vorübergehend Putin gleichgewichtig“. Denn Nawalny habe ein Programm und eine Strategie für die Zukunft „nach Putin“ vorgelegt.
Von den voraussichtlichen weiteren Kandidaten bei der Präsidentenwahl 2018 ist dies indes kaum zu erwarten: Wie die Zeitung „Kommersant“ am Mittwoch schreibt, dürfte wohl wieder faktisch das gleiche Kandidatenspektrum antreten wie bei den Wahlen zuvor: Grigorj Jawlinski von der traditionell liberalen, landesweit aber kaum bedeutsamen Partei „Jabloko“ hat bereits angekündigt, zu kandidieren (wie schon 1996 und 2000).
Wenigstens eine Alternative zu Putin
Und die in der Duma neben der Kreml-Hauspartei „Einiges Russland“ vertretenen Parteien werden wohl wieder ihre langjährigen Parteichefs aufstellen – die ihre Lust- und Chancenlosigkeit schon mehrfach unter Beweis gestellt haben: Bei Wladimir Schirinowski von der LDPR wäre es die sechste Kandidatur seit 1991, für Gennadi Sjuganow von der KPRF die fünfte und für Sergej Mironow vom „Gerechten Russland“ die dritte.
Doch seit Donald Trumps Triumph ist der Begriff des chancenlosen Bewerbers vor oder zu Beginn eines Wahlkampfs ja nicht mehr sehr aussagekräftig. Und wer weiß, vielleicht wird Nawalnys Kandidatur ja auch noch von amerikanischen Hackern zur Revanche für Russlands angebliche Einmischung in den US-Wahlkampf genutzt? Klar ist: Langweilig wird die Wahlkampagne 2018 mit Nawalny nicht werden.
[Von Lothar Deeg/russland.NEWS]
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