„28 Gardisten“ – Die Kritik an der Kritik

[Von Michael Barth] – „28 Panfilovec – 28 Gardisten“ – der Film über die Ruhmestaten der Roten Armee vor Moskau, wurde schon von den Kritikern verrissen, bevor er überhaupt in den Kinos anlief. Selten erregte ein Kinofilm so sehr die Gemüter. Erzählt wird die heroische Geschichte einer Division im II. Weltkrieg, aber es steht die Frage im Raum: Hat die erzählte Schlacht tatsächlich stattgefunden?

Bei Historienfilmen, und besonders bei jenen, in denen es nationale Helden zu bejubeln gilt, wird nicht selten am Wahrheitsgehalt zu Gunsten der Handlung gespart. Das hat als Stilmittel auch durchaus seine Berechtigung, schließlich geht es um Spannung, um Action und Popcorn knabbern. Inwiefern ein Action-Film zum Wahrheitsgehalt verpflichtet ist, daran scheiden sich jetzt die Geister. Inzwischen hat der Zwiespalt sogar die obere Ebene der Kultur erreicht. Felsenfest behauptete Sergei Mironenko, der ehemalige Direktor des russischen Staatsarchivs, in einem Interview, anhand von „28 Panfilovec“ werde deutlich, dass die gelehrte Geschichte um diese bedeutende Schlacht schlichtweg unwahr sei.

Gestrickte Helden des Kinos

28 Soldaten einer Division, geführt von Generalmajor Ivan Panfilow, verhinderten 1941 bis zum eigenen Leben einen Panzer-Angriff der deutschen Wehrmacht auf Moskau. Kommandant Panfilow war in seiner Division so hoch angesehen, dass sich seine Männer sogar als „Panfilow-Gardisten“ (Panfilowtsy) bezeichneten. Nur unzureichend ausgerüstet, kämpften die 28 Panfilow-Gardisten bei bitterster Kälte, um das verehrte Mütterchen Russland von den deutschen Nazis zu befreien. So erzählt es der Film und so erreicht es das Gemüt der Kinobesucher wohl auch am ehesten. Und wenn man ehrlich ist, bei all der Vaterlandsliebe und dem verständlichen Stolz, den die Russen über das epochale Ereignis der Bekämpfung des Faschismus‘ Osteuropas hegen und pflegen, ein durchaus nachvollziehbarer Akt des Genres.

Falsch, beziehungsweise getürkt, nennt Mironenko die geschichtliche Darstellung. Vielmehr sei ein interner Militärreport aus dem Jahr 1948 schon zu dem Schluss gekommen, dass es ein Journalist der Rotarmisten-Zeitung offenbar mit den Fakten nicht allzu genau nahm und Details und Zitate nach gut dünken unterschlagen bis erfunden hätte. Die Legende vom Kampf bis in den Tod sei demnach nur deshalb aufrecht erhalten worden, um sowjetischen Forderung gerecht zu werden. In Wirklichkeit sei es jedoch weit weniger heroisch zugegangen, damals vor Moskau. Viele der Rotarmisten hätten sich der deutschen Wehrmacht ergeben, einige durchaus auch überlebt. Verfälschen durch Weglassen, eine seit langem angewandte Praxis der Journaille.

Die nüchterne Realität

Der Geschichtslehrer und Herausgeber von Lehrmaterialien zu Geschichte Alexander Morosow sieht den Film sogar als „großen Fehler“. Seiner Auffassung nach würde es Kinder nur verwirren, wenn man den Krieg mythologisiere. Deutliche, wenngleich für Cineasten unbequeme Worte fand Morosow einem Radiosender gegenüber: „Wir sollten verständlicherweise versuchen bei der Wahrheit zu bleiben. Ja, es gab eine Schlacht, ja es gab Heldentum. Darüber hätten sie einen Film drehen sollen. Aber so wie der Film ist, schauen sie ihn, gehen online und finden eine riesige Menge anderer Informationen darüber, das wird ihr Vertrauen in diese Dinger aushöhlen.“

Es hat sehr viel mit Siegern und Verlierern zu tun, dass Legenden um Helden gestrickt, Form annehmen können. Die Schattenseiten des Krieges hört man ohnehin nicht gern, schon gleich gar nicht im Kino, wo man sich gewöhnlich unterhalten lässt. Und wenn man sich gleich mit angesprochen fühlen kann, umso besser. Am deutlichsten ausgeprägt findet man das Phänomen tatsächlich im angelsächsischen Muster der Kriegsfilme. Allen voran wirkt die Filmschmiede Hollywood als eine einzige Propagandamaschinerie. England steht lediglich bei der Menge der Produktionen einen Schritt dahinter. Andere europäische Länder wie Frankreich oder Italien hingegen verarbeiten das Thema weitaus nachdenklicher. Einzig für Deutschland durfte der frühe Nachkriegsfilm einen Ausweg aus der Schuld signifizieren.

Gewiss ist Russlands Sieg im Zweiten Weltkrieg ein wichtiger Baustein der heutigen Identität des Landes geworden. Kritik an der Roten Armee ist kaum vernehmbar, wenn nicht gar verpönt, denkt man an die Parademärsche zu Ehren der Veteranen. Der russische Kulturminister Vladimir Medinsky, als höchste Instanz der Posse, steht da dann doch mehr auf der Seite der Sieger und der Helden. „Es ist meine tiefe Überzeugung, dass selbst wenn die Geschichte von Anfang bis Ende erfunden wäre, Panifilow nie existiert hätte und nichts von dem stimmen würde, es eine heilige Legende ist, die einfach nicht in Verruf gebracht werden darf. Und Menschen, die versuchen, das zu tun, sind Mistkerle!“, wetterte er öffentlich aus allen Rohren.

Selbst wenn sich Medinsky etwas in seiner Wortwahl vergriffen haben mag, er spricht aus, was viele denken. Noch lange an des Ministers Worte denken wird sicherlich auch Sergei Mironenko. Medinskys Meinung nach sei es nämlich nicht angemessen, wenn Archivare es als ihre Aufgabe sähen, die vergangene und archivierte Geschichte zu interpretieren. Der damalige Archiv-Direktor Mironenko wurde daraufhin auf Anordnung der Regierung in der Konsequenz der Kontroverse entlassen.

[Michael Barth/russland.RU]

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