26.4.1986 Tschernobyl – Interview mit Prof. Nesterenko

Warum geht von Tschernobyl auch 20 Jahre nach dem SuperGau Gefahr aus?

Weil sich Radioaktivität nur langsam verringert. Die Strahlenbelastung von Plutonium halbiert sich innerhalb von 24.400 Jahren, die Halbwertzeit von Strontium beträgt 28 Jahre, die von Cäsium 30 Jahre. Cäsium und Strontium haben sich bei dem Reaktorunglück besonders weit verbreitet.

Gerade das Cäsium befindet sich in der oberen Bodenschicht. Da es wasserlöslich ist, gelangt es in die Nahrungskette und so in den Menschen. In Weißrussland leben die meisten Menschen auch heute von dem, was sie im Garten ernten und in der Natur sammeln, jagen und fischen. Zwei Millionen Weißrussen leben auf radioaktiv belastetem Boden. Besonders junge Menschen sind gefährdet. Rund 400.000 Kinder sind akut gesundheitsgefährdet.

Wie helfen Sie den Menschen, besonders den Kindern?

Es gibt verschiedene Hilfskonzepte und zum Glück gibt es weltweit viele engagierte Menschen, die den betroffenen Kindern helfen. Tausende von Kindern werden jedes Jahr zur Erholung ins Ausland eingeladen. Hilfstransporte bringen Medikamenten und medizinischen Geräte, für die Kinder aber auch Schokolade und kleinen Geschenken, was auch wichtig ist.

BELRAD hat sich darauf spezialisiert, die Menschen in den verseuchten Gebieten zu beraten, damit sie trotzdem möglichst gesund leben können.

Was heißt das konkret?

Wir zeigen den Menschen, wie sie radioaktiv belastete Nahrungsmittel vermeiden. In Dorfschulen in der verstrahlten Zone betreiben wir Strahlenmessstellen. Die Einwohner können dort kostenlos ihre Lebensmittel messen und sich beraten lassen. Dazu bilden wir Dorflehrer zu Strahlenexperten aus. Durch die Lebensmittelmessungen sensibilisieren wir die Menschen für das Strahlenproblem. Leider wissen auch 20 Jahre danach erschreckend wenige über das Ausmaß der Katastrophe Bescheid. Mit den Messergebnissen können wir außerdem die weniger belasteten Böden in den Dörfern ermitteln, auf denen dann bevorzugt angebaut werden kann. [*]

Wie können sich die Betroffenen denn schützen?

Ein Beispiel: Kinder nehmen 60 Prozent der Strahlenbelastung durch Milch zu sich. Wenn Milch aber zu Sahne weiter verarbeitet wird, bleiben 90 bis 95 Prozent des Strahlenmaterials im Molkewasser zurück. Wird die Sahne danach mit unbelastetem Wasser verdünnt, ergibt sie fast strahlungsfreie Milch. Für Pilze, Kohl, Fleisch oder Kartoffeln gibt es vergleichbare Methoden, die Strahlung in den Lebensmitteln zu reduzieren. Außerdem verteilen wir Vitapekt an die Kinder. Das ist ein mit Vitaminen angereichertes Pulver aus Apfelschrot. In Wasser aufgelöst, beschleunigt es die Ausscheidung des radiokativen Materials, bevor es sich über das Blut in Organen und Muskeln anreichern kann. Die eingenommenen Pektine des Apfelschrots quellen im Magen-Darmtrakt auf. Dabei entzieht die Pektinmasse dem Verdauungstrakt Cäsium, Schwermetalle und Nitrate, die dann ausgeschieden werden. Innerhalb einer dreiwöchigen Pektin-Kur können somit Cäsium bis zu 40 Prozent und Blei zu fast Zweidritteln aus dem Körper entfernt werden. Bei einer regelmäßigen Einnahme verringert sich das Cäsium um das drei- bis vierfache einer Jahresdosis.

Ein weiterer Vorteil von Vitapekt ist, dass weder Vitamine noch wichtige Mineralien wie Eisen, Zink, Kupfer und Kalium ausgeschieden werden. Das Präparat enthält zusätzlich Vitamine, so dass sich der Vitaminhaushalt im Körper sogar verbessert. Es gibt keine Nebenwirkungen, das haben diverse Studien gezeigt, beispielsweise auch eine vom deutschen Bundesumweltministerium durchgeführte Untersuchung.

Wie können Interessierte denn helfen?

Eine große Hilfe wäre, eine Vitapekt-Patenschaft für ein Kind zu übernehmen. Wir suchen ein Kind aus, für das die Paten die Vitapekt-Kuren zahlt. Die Paten erhalten ein Zertifikat mit Namen, Adresse und Strahlenbelastung des Kindes. Einmal im Jahr erhalten sie zudem einen Bericht aus dem sie ablesen können, wie sich die Strahlenbelastung verändert hat. Je nach Strahlenbelastung der Kinder empfiehlt sich eine mehr oder weniger intensive Pektin-Kur inklusive der Messungen. Entsprechend sind die Kosten gestaffelt. Patenschaften kann man übernehmen für 37, 56 oder 70 Euro. Eine andere Möglichkeit wäre, die Jahresbetriebskosten einer Strahlenmeßstelle in Höhe von 1238 Euro zu übernehmen. Eingerichtet werden können neue Messstellen nur, wenn wir dafür Sponsoren im Ausland finden. Es gibt bereits eine ganze Reihe von deutschen Schulen, die eine Patenschaft übernommen haben. Zwei – drei mal im Jahr komme ich nach Deutschland. Ich versuche jede Schule, die eine Messstelle unterstützt mindestens einmal im Jahr zu besuchen, um zu berichten.

[*]Was heißt bq? Bq ist die Abkürzung für Becquerel. Die Strahlung, die von etwas, z.B. einem Kind ausgeht, wird in Bq gemessen. 1Bq bedeutet eine Gamma-Strahlung pro Sekunde

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