Die Vorsitzende der Liga für sicheres Internet, Jekaterina Misulina, berichtete, dass nach den Entscheidungen über die Sperrung von Roblox und einer Reihe von Online-Plattformen jedes zweite Kind, das sich an sie wendet, den Wunsch äußert, Russland zu verlassen.
„Ich kann nicht einfach wegsehen, wenn Kinder weinen. Jedes zweite Kind schreibt nach den Entscheidungen zur Sperrung der Plattformen, dass es aus Russland wegziehen möchte. Das sind Kinder im Alter von 8 bis 16 Jahren. Das sind Kinder, die immer und überall mit russischen Flaggen herumlaufen“, schrieb Misulina in ihrem Telegram-Kanal mit über 600.000 Followern.
Am 3. Dezember hatte die russische Medienaufsicht Roskomnadzor den Zugang zur Spieleplattform Roblox in Russland gesperrt. Die Behörde stellte auf der Spieleplattform unangemessene Inhalte fest, darunter Propaganda für Extremismus und Terrorismus, Aufrufe zur Gewalt sowie Propaganda für LGBT-Themen.
Am nächsten Tag folgten der Videodienst FaceTime und der Foto-Messenger Snapchat. Laut Angaben der Strafverfolgungsbehörden werde die Dienste zur Organisation terroristischer Aktivitäten, zur Anwerbung von Tätern und zur Begehung von Betrugsdelikten und anderen Straftaten gegen Bürger genutzt.
Misulina schrieb, dass sie „Zehntausende” Kommentare und Briefe zu den Sperrungen der Plattformen erhalten habe: „Leute, ich erhalte derzeit Zehntausende Kommentare zu verschiedenen Entscheidungen der Roskomnadzor bezüglich der Sperrung von Plattformen. Dies betrifft in erster Linie Roblox. Wahrscheinlich liegt das daran, dass ich immer erreichbar bin und schnell auf eure Anfragen reagiere. Derzeit liegen 30.000 Beitrittsanträge im Chat vor und innerhalb eines Tages sind mehr als 25.000 E-Mails eingegangen.“
Danach forderte die Vorsitzende der Liga für sicheres Internet dazu auf, ihr Briefe mit Argumenten und Fakten zur Verteidigung der Sperrung des Spiels zu schicken. Misulina versprach, alle Briefe zu sammeln und an Roskomnadzor weiterzuleiten. Sie teilte auch mit, dass nicht nur Teenager, sondern auch ihre Mütter und Väter ihr schreiben.
Roskomnadzor wies darauf hin, dass die Überwachung des Spiels wiederholt bestätigt habe, dass Roblox die Sicherheit der veröffentlichten Inhalte nicht zu 100 Prozent gewährleisten könne. Im Spiel gibt es eine große Menge an Inhalten, die sich negativ auf die geistige und moralische Entwicklung von Kindern auswirken können. So können Nutzer beispielsweise terroristische Aktionen durchführen, eine Schule angreifen oder an Glücksspielen teilnehmen. „In diesem Spiel werden Kinder sexuell belästigt, man lockt sie mit intimen Fotos, verleitet sie zu unzüchtigen Handlungen und Gewalt, denn Roblox ist bei Pädophilen beliebt“, erklärte Roskomnadzor.
Die Fernsehmoderatorin und Journalistin Ksenia Sobtschak bezeichnete Misulina als „die überraschendste Oppositionelle des Tages”. „Nun gut, mutig. Aber logisch. All diese Sperren sind völliger Wahnsinn und haben selten etwas mit dem Kampf um die Sicherheit der Russen zu tun. Da stimme ich zu. Hoffentlich bekommt Ekaterina für diesen Mut keine Strafe“, hieß es in Sobtschaks Kanal „Krowaja Barrynja“ (Die blutige Herrin).
Sobtschak vermutet außerdem, dass Misulina nicht schweigen könne, da ihr Hauptpublikum Kinder sind. Ihrer Meinung nach könnten diese enttäuscht sein, wenn die Vorsitzende der Liga für ein sicheres Internet untätig bleibt und schweigt.
Der Priester Pawel Ostrowski kommentierte der Beitrag von Misulina „Ich habe keinen Zweifel daran, dass unsere Informationsbeamten daraus den Schluss ziehen werden, dass diese Jungs Verräter ihres Vaterlandes sind, da sie Russland gegen Roblox eintauschen wollen …“, schrieb er in seinem Telegram-Kanal. Ostrowski äußerte auch die Hoffnung, dass sich jemand trauen werde, die Vorgänge „an die oberste Stelle“ zu melden.
Der Militärkorrespondent der Zeitung Komsomolskaja Prawda, Dmitri Steschin, schrieb in seinem Telegram-Kanal, dass sich die Kinder nicht ohne Grund an Misulina gewandt hätten. Seinen Worten zufolge wissen die Jugendlichen, dass „Misulina eine strenge Erzieherin ist und ihren persönlichen Raum moderiert“.
Die heutige Generation der 10- bis 13-Jährigen bezeichnete Steschin als ultrapatriotisch. „Diese Kinder wegen imaginärer Bedrohungen zu einer protestierenden Wählerschaft zu machen, ist Sabotage“, schloss er.
Ein Spezialist aus der Spielebranche erklärt Roblox als riesiges, allumfassendes Ökosystem. In ihm kann man eigene Spiele entwickeln und Communities rund um diese Spiele gründen. Man kann virtuelle Shops eröffnen, handeln und Artefakte tauschen. Man kann kreative Projekte umsetzen und Communities rund um diese Projekte bilden. Es gibt sogar eine eigene Währung, „Robux“.
Es handelt sich um eine Umgebung zur Erstellung von Inhalten, die jeder – vor allem junge Menschen – völlig kostenlos nutzen kann. Mit etwas Glück kann man damit sogar Geld verdienen. Ein anderer beliebter Name für solche Dinge ist „Sandkasten”.
Roblox verdient vor allem mit seiner virtuellen Währung, den Robux. Als „Emittent” dieser Währung erhält das Unternehmen für jede Transaktion explizite oder implizite Provisionen. Heute ist Roblox eine der profitabelsten Gaming-Plattformen der Welt: Im vergangenen Jahr belief sich der Umsatz auf rund 4 Milliarden US-Dollar.
Weltweit hat Roblox derzeit etwa 300 Millionen regelmäßige Nutzer. Davon sind 10 Millionen Russen, was weniger als 2–3 Prozent der Gesamtnutzerzahl entspricht. Fast alle von ihnen sind Kinder und Jugendliche. Unter den erwachsenen Nutzern in Russland ist Roblox hingegen nicht besonders beliebt.
„Kinder finden immer etwas zum Spielen. Ein Teil von ihnen – meiner Einschätzung nach nicht mehr als 30 bis 40 Prozent – wird nach Möglichkeiten suchen, die Sperre zu umgehen. Die meisten Nutzer werden jedoch zu alternativen Plattformen wechseln“, so der Spiel-Experte aus Moskau.
Misulina und die von ihr geleitete Liga stehen auf den Sanktionslisten der EU, der Ukraine und Kanadas wegen Aktivitäten mit dem Ziel, die Meinungsfreiheit in Russland zu beschränken und Desinformation und Propaganda zu verbreiten.
Misulina ist die Tochter der früheren Duma- und Föderationsrats-Abgeordneten Jelena Misulina, die schon für „traditionelle Werte“ in Russland stritt, als das noch nicht Staatsdoktrin war. Seit 2017 leitet Jekaterina Misulina die „Liga für Internetsicherheit“, eines Projekts, das der Unternehmer Konstantin Malofejew 2011 angestoßen hatte. Er steht der Orthodoxen Kirche nahe und ist auch Gründer des kremlnahen TV-Senders Zargrad.
Seit dem 5. November ist Misulina mit dem russischen Sänger Shaman verheiratet.

COMMENTS