Kai

Wir haben uns nie gestritten. In über dreißig Jahren nicht ein einziges Mal. Mit meinem explosiven Temperament gelang mir das auch nicht. Selbst als wir gemeinsam ein Buch geschrieben haben.

In zwei verschiedenen Sprachen – Deutsch und Russisch. Wir stellten ein Aufnahmegerät auf und diskutierten fast jede Seite. Kai diskutierte nicht gerne. Er äußerte einfach seine Meinung und hörte seinem Gesprächspartner aufmerksam zu. Deshalb war es sehr angenehm, mit ihm zu arbeiten. Obwohl die Arbeit nicht einfach war. Es war ein Buch von zwei Autoren, einem russischen und einem deutschen, über Geschichte und Philosophie, mit dem Versuch, in den Geschehnissen Elemente einer neuen Ethik aufzuzeigen.

Er reiste gerne nach Russland. Er schätzte Russland und seine Menschen, wie mir scheint, viel mehr als ich. Während ich häufig über unsere Verhältnisse und unsere Regierung schimpfte, tat Kai dies nie. Er versuchte einfach, ein anderes Land zu verstehen. Deshalb unterhielt er sich in seinem gebrochenen Russisch bei jeder Gelegenheit mit Taxifahrern, Hausmeistern oder Verkäufern auf dem Markt.

Wahrscheinlich haben wir selbst nicht bemerkt, wie wir uns allmählich näher kamen, nicht nur als enge Freunde, sondern fast wie Brüder. Wir, deren Väter an der Front gegeneinander gekämpft hatten, wurden Brüder. Und ich, der ich in Moskau lebte, wusste immer, dass es im fernen Hamburg meinen deutschen Bruder gab, einen Mitstreiter, einen Co-Autor, einen Menschen, der genauso dachte wie ich. Eine verwandte Seele. Und oft habe ich meine Gedanken und Einschätzungen mit denen von Kai Ehlers verglichen. Und er mit meinen. Er war fast mein zweites Ich, weil es keine Meinungsverschiedenheiten gab.

Ich kann mir kaum vorstellen, dass er nicht mehr auf dieser Welt ist. Es ist eine Lücke in unserem Universum entstanden. Übrigens haben wir bei meinem letzten Besuch in Hamburg lange über das Schaffen gesprochen. Während der Arbeit verlässt der Künstler oder Dichter zwangsläufig die Grenzen der Realität, als würde er in eine andere Welt eintreten. Und das Hauptproblem ist die Rückkehr aus dieser Welt zurück in die normale Realität. Kai Ehlers hat diese Welt verlassen. Ich hoffe, dass er zurückkehren wird.

Efim Bershin