[Kommentar von Hartmut Hübner] Dem Brand in einem Einkaufszentrum in der südostsibirischen Stadt Kemerowo gestern Nachmittag fielen nach bisherigen Angaben 64 Menschen zum Opfer, davon der größte Teil Kinder, die sich den Trickfilm Peter Hase ansehen wollten. Handyaufnahmen von den verzweifelten Versuchen, den Flammen und dem tödlichen Gas zu entkommen, vermittelten nur den Bruchteil eines Eindruckes vom Ausmaß der Katastrophe.
Die genauen Brandursachen sind noch ungeklärt, aber deutlich wurde inzwischen, dass die Maßnahmen und Mittel, die in solchen Fällen Menschenleben retten und den Schaden geringhalten sollen, versagten. So funktionierten das Alarmsystem und die Sprinkleranlage nicht, ein Notausgang war von außen so zugestellt, dass er sich nicht mehr öffnen ließ und es für die Eingeschlossenen kein Entrinnen vor dem erstickenden Qualm gab.
Erste Untersuchungen zeigten, dass der gesetzlich vorgeschriebene Brandschutz und die entsprechenden Kontrollmaßnahmen nicht eingehalten wurden. Da war von „Express-Überprüfungen“ die Rede, was wohl nichts anderes heißt als – Geld von der einen, Stempel und Unterschrift unter das Protokoll von der anderen Seite. Zudem wurde von der zuständigen örtlichen Verwaltung argumentiert, es sei mit den Betreibern des Einkaufszentrums eine „Aufsichts-Pause“ vereinbart worden, weil die Mehrheit der Geschäftsinhaber Kleinunternehmer seien, wie etwa Burger King, o´Hara, Family, Austin oder die Sberbank.
Die Verantwortlichen auf allen Ebenen werden sich fragen lassen müssen, warum der Brandschutz auch unter diese „Kontroll-Pause“ fiel. Sollte diese Praxis auch in anderen Einkaufszentren der Stadt und des Gebietes üblich sein, trägt letztendlich die Regionalverwaltung die Verantwortung, geleitet von Aman Tulejew, von dem eine nahe Verwandte, ein 11-jähriges Mädchen, bei dem Brand ebenfalls ihr Leben verlor.
Präsident Putin muss wohl außer sich gewesen sein, als ihm von der Katastrophe berichtet wurde. Er verschob sofort die Feierlichkeiten zu seiner Amtseinführung und ließ durch seinen Pressesprecher Dmitrij Peskow mitteilen, dass er eine schnelle und umfassende Aufklärung der Umstände veranlasst habe. Was wohl nichts anderes heißt, als das Köpfe rollen werden. Zugleich sei eine genaue Überprüfung aller russischen Einkaufszentren auf die Einhaltung des Brandschutzes und die beim Bau verwendeten Materialien angeordnet worden. Bei anderen Bränden in öffentlichen Gebäuden war festgestellt worden, dass anstelle feuerhemmender Baustoffe zum Beispiel billiges Styropor eingesetzt worden war. Das ist auch in Kemerowo nicht auszuschließen.
Inzwischen sind vier Manager des Einkaufszentrums festgenommen worden. Die, wie in Russland üblich, verschachtelten Eigentumsverhältnisse führten Journalisten zu dem in Australien lebenden, Multimilliardär Denis Stengelow, der inzwischen alle Verantwortung für das Geschehene von sich weist.
Die Katastrophe von Kemerowo zeigt, dass das russische Sprichwort „Russland ist groß und der Zar ist weit weg“ nach wie vor seine Berechtigung hat und über das Leben der Einwohner vor allem die regionalen Fürsten, will sagen die Gouverneure, entscheiden. Deshalb verpuffen Putins gute Absichten, wenn die Führungen vor Ort nicht mitziehen. Der Brand, hinter dem wohl letztendlich die Geldgier von Bauherren, wie von Behördenmitarbeitern steht, erinnert an schlimmsten Manchester-Kapitalismus.
Die nächsten Tage und Wochen werden zeigen, inwieweit der Tod von so vielen Kindern letztendlich zu einem Umdenken führt. Ich fürchte, freiwillig nicht.
[Hartmut Hübner/russland.NEWS]
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