Signifikante Erwärmung: ZEIT-Journalist Michael Thumann sieht deutsch-russische Beziehung optimistischMichael Thumann

Signifikante Erwärmung: ZEIT-Journalist Michael Thumann sieht deutsch-russische Beziehung optimistisch

Der Sommer 2018 war einer der heißesten seit der Wetteraufzeichnung. In diesem Jahr fand auch die „signifikante Erwärmung der deutsch-russischen Beziehungen“ statt. Diese Meinung ist der bekannte Russlandexperte und ehemalige Moskauer Korrespondent   Michael Thumann, der im Deutsch-Russischen Wirtschaftsclub in Düsseldorf einen Vortrag zum Thema “Deutsch-Russische Beziehungen, zwischen Konfrontation und Kooperation” hielt.

Leider sei das in Deutschland in der Berichterstattung etwas untergegangen, doch durch mehrere wichtigen Treffen in diesem Sommer konnte man die Verbesserung der bilateralen Beziehungen ganz deutlich beobachten. Das Treffen von Angela Merkel und Wladimir Putin in Sotschi, als Putin der deutschen Kanzlerin einen Blumenstrauß überreichte; dann die Reise von Heiko Maas als neuer Außenminister nach Moskau und sein Treffen mit Sergei Lawrow, nach dem der russische Außenminister sagte, er konnte keinerlei Feindseligkeiten entdecken; und dann der Besuch von Putin auf Schloss Meseberg im Sommer und kurz darauf die Reise von Lawrow nach Berlin – all das zeuge von der Intensivierung der deutsch-russischen Beziehungen auf der Regierungsebene.

Auch die neueste Umfrage, die Michael Thumann zitierte, spricht dafür, dass Deutsche und Russen ein viel positiveres Bild von einander haben, als noch vor einem Jahr. So sagten 94 Prozent der Deutschen aus, dass sie gute Beziehungen zu Russland für wichtig halten und 83 Prozent haben keine Angst vor Russland. Nur 13 Prozent der Befragten finden, dass Putin den Weltfrieden gefährdet (im Gegensatz zu Trump, der bei der gleichen Umfrage auf 79 Prozent kam). Umgekehrt zeigen Umfragen in Russland, dass Deutschland dort wieder beliebter geworden ist.

„Stehen wir vor einer Wende im Verhältnis zu Russland? Ist das Jahr 2014 schon vergessen?“, fragte der Journalist. Um das zu beleuchten, ging er etwas in die Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen zurück. „In Deutschland wird so gerne wiederholt, dass Russland unser Nachbar ist. Dabei vergisst man Polen, die Ukraine, das Weißrussland und die Baltischen Länder“, bemerkte Thumann. „Meine These ist: wann immer von Deutschland oder von Russland territoriale oder politische Ansprüche auf diese Nachbarn kamen, hatte das sofort negative Auswirkung auf das deutsch-russische Verhältnis“. Die erschreckenden Ereignisse des 20. Jahrhunderts beweisen das ganz deutlich.

Der Russlandkenner skizierte die weitere Geschichte der Beziehungen zwischen Deutschland und Russland von den Friedensverträgen der 70er Jahre bis zum Zerfall der Sowjetunion. In den 90ern haben beide Seiten das Recht der Nachbarn auf Selbstbestimmung akzeptiert und sie „in Ruhe gelassen“. Auch die EU-Erweiterung war Ende der 90er Anfange 2000 „ein akzeptiertes Faktum“ gewesen. Sogar die Nato-Erweiterung wurde „geschluckt“: „Es lag daran, dass es damals ein ganz enges Geflecht an Konsultationen gab, und Helmut Kohl war ein wichtiger Anwalt für Russland“. Die Aufnahme von Russland in die G7 ging auf deutsche Initiative zurück.

Diese Zeiten des gegenseitigen Vertrauens liegen weit zurück und wir haben die Epoche der Sanktionen. Wie kommen wir wieder zu mehr Vertrauen in Europa? Wie kann man die Erwärmung des Jahres 2018 nutzen? „Ich glaube, das geht vor allem durch etwas, was wir leider verlernt haben, und zwar durch Transparenz und Offenheit“.

Die Nichteimischung in innere Angelegenheiten – dieses so wichtige Prinzip ist leider „unter die Räder gekommen“, weil nicht nur Russland, sondern auch der Westen sich die in innere Belange anderer Staaten eingemischt haben. Dadurch sei ein Automatismus entstanden, der zu Interventionen geführt hat. „Ich glaube, es wäre sehr wichtig, zu diesem Prinzip zurück zu kehren. Vor allem in Europa. Zwischen der EU und Russland wäre das durchaus möglich, denn genau dieser Verdacht der Einmischung sorgt derzeit in den deutsch-europäischen Beziehungen für viel Unruhe. Man bräuchte vielleicht nicht unbedingt neue Verträge, aber wenn man sich zu einer Resolution, einer gemeinsamen Erklärung zwischen Brüssel und Moskau durchringen könnte, damit wäre schon viel gewonnen“, meinte der Journalist. Darin sollte eine Vereinbarung stehen, dass ein Staat nicht politische Parteien eines anderen Staates fördern darf. Auch in Fragen der digitalen Einmischung sollte man eine Einigung finden. Thumann schlug vor, eine gemeinsame Institution zur Überwachung solcher Angriffe einzurichten. „Das wäre ein wichtiger Schritt“.

[Daria Boll-Palievskaya/russland.NEWS]

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