Die russische Einmischung in US-Wahlen wird massiv aufgebauscht

Die russische Einmischung in US-Wahlen wird massiv aufgebauscht

[von Urs P. Gasche – Infosperber.ch] Neue Auswertung: Russische Facebookeinträge und Tweets waren im Vergleich zu allen Social-Media-Botschaften zu den Wahlen «winzig».

Die Russen hatten einen «unbedeutenden» Einfluss auf die Präsidentschaftswahlen in den USA. Zu diesem Schluss jedenfalls kommt Gareth Porter, ein unabhängiger Recherchier-Journalist, der auf Sicherheitspolitik spezialisiert ist.*

Porter hat von grossen Medien verbreitete Zahlen der Einträge auf Facebook und Twitter, die aus russischen Quellen stammen, auf der Webseite «Consortium News» näher analysiert. Sein Fazit: Auf die Präsidentschaftswahlen bezogen waren sie unbedeutend. Er widerspricht damit der «New York Times» und andern grossen Medien, die verbreitet hatten, dass «Anti-Clinton und Pro-Trump-Botschaften aus russischen Quellen, die Millionen von Wahlberechtigten erreichten, beim Wahlresultat den Unterschied ausgemacht haben könnten».
«Wir wissen mit Sicherheit», schrieben Scott Shane and Mark Mazzetti am 20. September in der «New York Times», «dass uns die historische Einmischung der Russen noch jahrzehntelang beschäftigen wird».

«Irreführende Statistik»

Die beiden Autoren der NYT bezeichnen den Impakt – den Einfluss – der russischen Interventionen als «eindrücklich»: 2’700 Fake-Accounts, 80’000 Online-Beiträge, viele davon mit einprägsamen Slogans und Bildern. Alles für ein Publikum von 126 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner allein auf Facebook. «Das ist nicht weit von der Zahl der 137 Millionen Amerikanerinnen und Amerikanern entfernt, die bei den 2016er Präsidentschaftswahlen ihre Stimme abgaben», dramatisierten Shane und Mazzetti.

Doch das widerspreche – erklärt Gareth Porter – der Zeugenaussage des Facebook-Vertreters Colin Stretch vor dem «Senate Judiciary Committee» im letzten Oktober: «Ungefähr 126 Millionen Leute könnten mit diesen [russischen] Storys während einer Periode von zwei Jahren bedient worden sein.» Offen bleibe, was in diesen Storys stand und ob sie überhaupt gelesen wurden.

Porter macht zu Facebook unter anderem geltend,

  • dass längst nicht alle von Facebook angegebenen «Posts» aus vermutlich russischen Quellen etwas mit den Wahlen zu tun hatten;
  • dass diese «Posts» über einem Zeitraum von zwei Jahren gezählt wurden und nicht nur diejenigen im Jahr vor den Wahlen;
  • dass die Facebook-Kontoinhaber nach Angaben von Facebook-Vizepräsident Adam Moseri lediglich etwa 10 Prozent aller eingehenden «Posts» überhaupt zu Gesicht bekommen;
  • dass Facebook während der Wahlperiode nach Inhalten gesucht hatte, was es «Bürger-Engagement» nennt. Die Facebook-Spezialisten kamen zum Schluss, dass die «Reichweite» der Inhalte, welche sogenannte «falsche Verstärker» teilen, «marginal ist im Vergleich zum Volumen der während der US-Wahlen geteilten Inhalte von Bürger-Aktivitäten».

Bei Twitter sehe es nicht viel anders aus. Shane und Mazzetti schrieben von 3’814 Twitter Accounts, die mit der russischen «Internet Research Agency» IRA in Verbindung gebracht werden und die «in Interaktion mit 1,4 Millionen Amerikanerinnen und Amerikanern» gewesen seien.

Doch nach Angaben von Twitter versandten die 3’814 Twitter-Accounts während der zehn Wochen vor der Wahl nur 175’993 Tweets. Davon hätten lediglich 15’000 Tweets etwas mit den Wahlen zu tun gehabt. Das seien 0.00008 Prozent sämtlicher 189 Millionen Tweets gewesen, die Twitter insgesamt als wahlbezogen identifiziert hat.
Die andern Tweets mit russischen Verbindungen seien kommerziell oder weder in englisch noch in spanisch abgefasst gewesen.

Nach Auskunft von Twitter wurden weitere 50’258 automatisierte Twitter-Accounts russischen Quellen zugeschrieben. Sie verbreiteten zusammen 2,1 Millionen Tweets – kaum mehr als 1 Prozent aller 189 Millionen wahlbezogenen Tweets während der Wahlkampagne. Twitter selber räumte vor dem Kongress zudem ein, dass eine russische IP-Adresse oder kyrillische Buchstaben genügten, um einen Account als russisch zu betrachten. Aber das heisse nicht, dass der russische Staat oder russische Geheimdienste und deren Auftragnehmer dahinter steckten. Beim russischen Provider mit der Webseite BuyAccs.com beispielsweise könne jedermann Hunderttausende von Twitter-Accounts erstellen lassen.

Die allgemeine Empörung und breite Berichterstattung über russische Einflussversuche auf die Wahlen sind noch aus einem andern Grund scheinheilig. Was Russen in den USA taten und anderswo immer noch tun, tun die USA seit Jahrzehnten in viel grösserem Stil. Infosperber hat am 21. und 25. Juli darüber berichtet.

«Die wahren Profis sind die Amerikaner selbst»

Über die Wahlbeeinflussung der Russen «können Insider nur müde lächeln», schrieb New-York-Korrespondent Andreas Mink am 4. März 2018 in der «NZZ am Sonntag». Denn: «Die wahren Profis dieses Metiers sind die Amerikaner selbst».

Es ist eine Binsenwahrheit, dass alle Grossmächte schon immer versucht haben und versuchen, die Entwicklungen in andern Staaten zu beeinflussen:

  • mit getarnten Aktivitäten in den Social Media;
  • mit dem Ausspionieren im Internet («Cybar War»);
  • mit dem Finanzieren und zum Teil Bewaffnen von Oppositionsgruppen;
  • mit der Finanzierung von NGOs, Oppositionsgruppen und «Think Tanks» in andern Ländern. Als Vehikel dient beispielsweise weltweit die mit Staatsgeldern finanzierte US-Organisation «National Endowment for Democracy».
  • mit weltweit von der US-Regierung finanzierten Sendern «Radio Liberty» und «Radio Free Europe» oder «Radio Free Asia», die teilweise auch TV-Kanäle betreiben. Russland finanziert seit 2005 den Auslandfernsehsender «RT», vormals «Russia Today». Das Satellitenprogramm wird mit unterschiedlichen Inhalten auf Englisch, Arabisch, Spanisch und Französisch ausgestrahlt.
  • mit dem Finanzieren und Platzieren von Beiträgen im Fernsehen und Radio, deren Quellen nicht offengelegt werden, zum Manipulieren der öffentlichen Meinung;
  • usw.

«Für gute Zwecke und die Demokratie»

Die «NZZ am Sonntag» zitiert den früheren CIA-Chef James Woolsey, die USA seien «sehr geübt in diesem Spiel». Aber die USA täten dies – im Gegensatz zu Russland – «für gute Zwecke und die Demokratie». Stuart Schwartzstein, der drei Jahrzehnte im US-Aussen- und Verteidigungsministerium gearbeitet hatte und bereits 1996 das Buch «The Information Revolution and National Security: Dimensions and Directions» veröffentlichte, erklärt:

«Die USA fühlen sich generell überlegen. Gott steht angeblich auf unserer Seite und gibt den USA das Recht zur Gestaltung der Welt nach eigenem Vorbild.»

Hinter dem Etikett idealistischer Anliegen stünden dabei allerdings häufig Eigeninteressen.

Tatsächlich ging es den US-Regierungen seit dem Zweiten Weltkrieg in erster Linie darum, als mächtigster Staat der Erde für Ordnung zu sorgen, den Zugang zu Erdöl- und Erdgasquellen zu sichern und den US-Konzernen das weltweite, möglichst unbehinderte Geschäften zu ermöglichen («liberale Weltordnung mit freien Märkten»).

Je ein führender Mitarbeiter des US-Aussenministeriums, des Pentagons und des Nationalen Sicherheitsrats erklärten laut «NZZ am Sonntag» übereinstimmend, dass «die USA nicht nur Wahlen manipulierten, sondern in Politik und Gesellschaft anderer Staaten massiv eingriffen».

Der NZZ-Korrespondent zitiert eine Statistik des Politologen Dov H. Levin vom «Institute for Politics and Strategy» der Carnegie-Mellon Universität in Pittsburgh. Levin hatte in seiner Doktorarbeit die Wahleinmischungen der USA sowie der UdSSR und von Russland zwischen 1946 und 2000 dokumentiert. Sein Fazit:

  • Die USA haben mindestens 81-mal bei Wahlen im Ausland interveniert.
  • Der Kreml hat 36-mal bei Wahlen im Ausland interveniert.

Vor den November-Wahlen in den USA

Im Vorfeld der kommenden Kongresswahlen in den USA vom November seien vor allem rechtsextreme und auch linksextreme Gruppen mit Manipulationen auf Facebook und Twitter ungleich aktiver als etwa vermutete russische Quellen. Die Wahlbeeinflussung mit Falschinformationen und mit getürkten «Teilen»-Klicks sei «zunehmend ein inländisches Problem», räumte jetzt auch die New York Times am 13. Oktober ein.

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