Rosstat: 2022 lebten weniger als 10 Prozent der Russen unter der Armutsgrenze© russland.news

Rosstat: 2022 lebten weniger als 10 Prozent der Russen unter der Armutsgrenze

Weniger als 9,8 Prozent der Russen – 14,3 Millionen Menschen – lebten 2022 unter der Armutsgrenze, teilte die russische Statistikbehörde Rosstat mit. Das berichtet RBK unter Berufung auf die überarbeitete Schätzung der Armutsgrenze in Russland durch Rosstat. Die endgültige Zahl liegt um 0,7 Prozentpunkte unter der ursprünglichen Schätzung ­– 1 Million Menschen weniger. Im Vergleich zu 2021 sank die Zahl der armen Russen um 1,2 Prozent oder 1,7 Millionen Menschen.

Nach der neuen Schätzung liegt der Indikator zum ersten Mal seit 1992 unter 10 Prozent. Die Zahl der unter der Armutsgrenze lebenden Russen war im Jahr 2012 mit 15,4 Millionen Menschen oder 10,7 Prozent am niedrigsten.

Den Rückgang des Anteils der Armen in Russland erklärt Rosstat mit der gezielten Unterstützung der ärmsten Bevölkerungsgruppen. Diese Daten wurden im Vergleich zum März erheblich angepasst – auf der Grundlage zusätzlicher Informationen aus administrativen Quellen, Bankstatistiken und der Analyse der Ergebnisse einer Stichprobenerhebung zum Haushaltseinkommen und zur Teilnahme an Sozialprogrammen im Jahr 2022.

Ab 2021 berechnet Rosstat die Zahl der armen Menschen anhand der neuen „Armutsgrenze“. Die Armutsgrenze wird berechnet, indem das Existenzminimum für das vierte Quartal 2020 (die sogenannte Basisarmutsgrenze) mit der Inflationsrate multipliziert wird. Bisher wurde die Armutsquote als Anteil der Bevölkerung mit einem Einkommen unterhalb des Existenzminimums (absolute „Armutsgrenze“) definiert. Das Zählsystem musste geändert werden, weil die Regierung begann, das Existenzminimum neu zu berechnen.

In Moskau und St. Petersburg sank die Armutsquote im vergangenen Jahr um 0,5 Prozentpunkte auf 5 bzw. 4,5 Prozent der Bevölkerung. Am schlechtesten ist die Lage in Inguschetien und Tuwa: In beiden Regionen lebt selbst nach offiziellen Angaben fast ein Drittel der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Nach den nationalen Entwicklungszielen Russlands soll die Armutsrate im Land bis 2030 auf 6,5 Prozent der Bevölkerung sinken.

Experten stehen den Angaben von Rosstat skeptisch gegenüber. Zahlungen an einkommensschwache Bürger spielten zwar eine Rolle, sagt Alexander Safonow, Professor an der staatlichen Finanzuniversität. Er glaubt aber, dass auch die höhere Sterblichkeitsrate unter Rentnern (vor allem aufgrund von Covid), die unter den Armen besonders hoch ist, einen erheblichen Einfluss hatte.

Ljubow Chrapylina, Professorin an der Russischen Akademie für Volkswirtschaft und öffentliche Verwaltung, ist der Ansicht, dass der derzeitige Ansatz zur Bewertung der Armutsgrenze falsch ist. Der Indikator „Armutsgrenze“ könne kaum als überzeugend bezeichnet werden, da er nur das Einkommen analysiere und die Ausgaben außer Acht lasse. Dieser Ansatz sei einseitig und lasse keine eindeutigen Rückschlüsse auf die Dynamik der Armut im Land zu: „Wir müssen herausfinden, was die Kaufkraft des Geldes ist. Es kann sein, dass man für 13,5 Tausend Rubel nur halb so viel kaufen kann wie im letzten Jahr. Meiner Meinung nach sollte die Armutsstudie umfassend sein und auch Daten über die Ausgaben enthalten. Sonst führen wir uns selbst in die Irre“, sagt Chrapylina.

Es stimmt, dass dank der gezielten Zahlungen weniger Russen unter der Armutsgrenze leben. Im Januar schrieb Bloomberg, dass im Laufe des Jahres 700.000 Russen der extremen Armut entkommen seien. Doch diese Zahl ist kaum ein Indikator für eine allgemeine Verbesserung des Wohlstands der Russen, denn sie lässt einen anderen wichtigen Negativtrend außer Acht: die schrumpfende Mittelschicht, der nur noch zehn Prozent der Russen angehören. „Die Menschen werden insgesamt ärmer, aber es gibt weniger Arme“, beschreibt der Ökonom Jewgeni Gontmacher die Situation.

[hrsg/russland.NEWS]

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