Laut einer Statistik der Justizabteilung des Obersten Gerichts der Russischen Föderation über die Arbeit der Gerichte der allgemeinen Gerichtsbarkeit und der Friedensrichter wurden im Jahr 2021 8,9 Millionen Fälle von Ordnungswidrigkeiten verhandelt, gegenüber 7,4 Millionen im Jahr 2020. Nach denselben Statistiken beschränkten sich die Richter in nur 1,23 Prozent der Fälle auf eine mündliche Rüge. Gleichzeitig sieht das Gesetzbuch über Ordnungswidrigkeiten die Einstellung von Verfahren wegen Geringfügigkeit der Vergehen vor. Experten sind der Ansicht, dass der Anstieg der Zahl der Strafen weitgehend auf ‚politische‘ Artikel des Gesetzbuches der Ordnungswidrigkeiten zurückzuführen ist.
Vor sieben Jahren hat der Oberste Gerichtshof bereits eine Auslegung des Begriffs ‚geringfügige Straftat‘ gegeben: Es handelt sich um eine Straftat, „wenn sie angesichts der Art der begangenen Straftat, der Rolle des Täters, des Ausmaßes des Schadens und der Schwere der Folgen keine erhebliche Störung der geschützten öffentlichen Rechtsverhältnisse darstellt“. Nach Ansicht der Experten handelt es sich dabei eindeutig um Werturteile, das heißt man rechne mit dem Gewissen der Richter.
Allerdings laufen die Verfahren nach dem Gesetzbuch der Ordnungswidrigkeiten im Fließbandverfahren ab, bei dem die Richter nicht auf den Inhalt der Anklage eingehen, sondern sich mit Standardbeweisen, Protokollen und Polizeiberichten zufriedengeben. Richter befassen sich nicht mit trivialen Angelegenheiten, und wenn ihnen einmal Akten vorgelegt werden, müssen die Fälle mit aller Härte behandelt werden, erklärte ein russischer Jurist gegenüber der Zeitung Nowaja Gaseta.
Der Journalist und Blogger Pawel Prjannikow kommentierte die traurige Statistik in seinem Telegramkanal Interpreter so: „Dafür gibt es wahrscheinlich mehrere Gründe. Es gibt eine allgemeine Zunahme der Kontrolle über die Gesellschaft und den Wunsch, den Haushalt mit Dutzenden oder sogar Hunderten von Milliarden Rubel an Bußgeldern zu füllen, zumal wir einen unglaublichen Anstieg der Bußgelder erleben. Geldstrafen von 30.000 und 40.000 Rubel für kriegsfeindliche Äußerungen und Geldstrafen von 100 oder 300.000 Rubel für Versammlungsverweigerung sind bereits die Regel“.
[hrsg/russland.NEWS]
COMMENTS