Wladislaw Below über die Bundestagswahlen: „Die Rhetorik bleibt hart“

Leiter des Zentrums für Deutschlandforschungen am Europa-Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften Dr. Wladislaw Below über die Bedeutung der Bundestagswahlen für Russland.

Herr Dr. Below, Sie haben gesagt, dass ihr Telefon nach den Wahlen nicht still steht. Die russischen Medien wollen Ihre Meinung über die Wahlergebnisse in Deutschland wissen. Woher kommt dieses große Interesse?

Das Interesse ist legitim und verständlich. Die Wahlen waren ein wichtiger nächster Schritt nach den Wahlen in Frankreich. Interessant ist, dass die Wahlen in Österreich auf kein großes Interesse in Russland gestoßen sind, obwohl es dort eine richtige Intrige gab. Deutschland ist der wichtigste westeuropäische Partner Russlands, das Land, von dem die Einstellung der EU gegenüber Russland (vor allem in Bezug auf Sanktionen) abhängt.

Wie wurden die Wahlen in den russischen Medien beleuchtet?

Seit etwa Mai dieses Jahres nach dem Treffen zwischen Putin und Merkel in Sotschi haben die meisten Medien auf propagandistische Berichterstattung verzichtet, die seit Frühling 2014 zu beobachten war. Der Wahlkampf wurde objektiv dargestellt und kommentiert. Alle medialen Angriffe auf die Bundekanzlerin haben nach Sotschi aufgehört.

Putin hat Frau Merkel zum Sieg gratuliert. Bedeutet das, dass die russische politische Elite aufatmen kann – man weiß ja schließlich, mit wem man es zu tun hat.

Bei der gemeinsamen Presskonferenz am 2. Mai in Sotschi betonten beide Politiker den guten Zustand der deutsch-russischen Beziehungen. Das war das erste Mal seit 2014. Gleichzeitig hat der russische Präsident seine Unterstützung bei den Vorbereitungen des G20-Gipfels in Hamburg versprochen und sein Wort gehalten. Ich denke, dass der Kreml und Wladimir Putin persönlich noch vor den Wahlen verstanden haben, dass die CDU/CSU mit Angela Merkel an der Spitze gewinnen und dass Merkel die Regierung bilden werde. Deswegen waren die Gratulationen von Putin keine rein formelle Sache. Denn Russland ist auf gar keinen Fall an einem unstabilen Deutschland interessiert und Putin wünschte Merkel, dass sie so schnell wie möglich eine Regierung bilden kann. Der Kreml hat mit diesen Ergebnissen gerechnet, und, ich muss das betonen, es gab keine Angriffe weder auf Merkel noch gegen Martin Schulz.

Man warf aber Russland vor, den Wahlkampf in Deutschland beeinflussen zu wollen.

Es gibt keine Hinweise, dass der Kreml die AfD oder eine andere Partei unterstützt hätte. Es gibt auch keine Hinweise, dass Russland an so einer Einmischung interessiert war, geschweige denn sich tatsächlich eingemischt hat. Der Kreml und die russischen Massenmedien haben eine absolut neutrale Position bezogen. Auch solche Blätter wie Rossijskaja Gazeta, Komsomolskaja Prawda oder Iswestija und der erste und der zweite Fernsehkanal, also alles Organe, die die offizielle Meinung vertreten bzw. die öffentliche Meinung bilden, waren sehr zurückhaltend. Man kann natürlich scherzhaft sagen, dass Putin persönlich Merkel bei den G20-Vorbereitungen unterstützt hat und sich so in die Wahlen eingemischt hat. Interessant ist, dass die deutschen Medien dieser Tatsache keine Aufmerksamkeit schenkten.

Sie persönlich gelten in Russland als Deutschland-Versteher.

Ich habe versucht den Begriff „Merkel-Versteher“ im Russischen einzuführen, aber es ist sehr schwer übersetzbar. Viele verwechseln, genauso wie beim Begriff „Putin-Versteher“, leider das Wort „Versteher“ mit „Anhänger“. In Wirklichkeit ist der Versteher derjenige, der sich mit Hintergründen auskennt und imstande ist, die Position oder das Verhalten des Anderen für die zu erklären, die negativ eingestellt sind. Man muss zuerst verstehen, akzeptieren und erst dann urteilen. Denn die russische Bevölkerung ist Deutschland gegenüber eher skeptisch eingestellt. Am 03. Oktober dieses Jahres lief eine sehr populäre Talkshow „Stimmrecht“ zum Thema der deutschen Wiedervereinigung. Während dessen konnten die Zuschauer im Internet abstimmen, ob Deutsche und Russen Freunde oder Feinde sind. 82 Prozent haben ausgesagt, wir seien Feinde und nur 18 Prozente sehen uns als Freunde. Das bestätigt, dass das seit Jahren gepflegte Bild Merkels als Handlanger Washingtons seine Früchte trägt. Seit Mai dieses Jahres konnte man dieses Bild in den Köpfen der Menschen nicht mehr ändern.

Wenn die Jamaika-Koalition zu Stande kommt, was muss man vor der deutschen Außenpolitik in Bezug auf Russland erwarten? Die Grünen sind ziemlich hart in ihrer Rhetorik bezüglich Russland.

Man muss zwischen der Rhetorik und der tatsächlichen Regierungspolitik unterscheiden. Denn falls sich Merkel und Seehofer einigen und mit der FDP und den Grünen eine Regierung bilden werden, wird es absolut egal sein, wer der Außenminister sein wird. Denn ob Özdemir, von der Leyen oder Lambsdorff, sie werden sehr schnell im Einklang mit dem Kanzleramt sein. Jeder Außenminister wird hart in Fragen der Krim und der Ostukraine bleiben, diese Themen bleiben im Fokus. Denn in Sotschi war Merkel z.B. nicht weniger kritisch als Özdemir. Damit werden wir die nächsten vier Jahre leben müssen. Auf der anderen Seite ist aber auch die Erkenntnis vorhanden, dass sich alle anderen Bereiche der deutsch-russischen Beziehungen weiterentwickelt werden müssen. Deswegen bleibe ich optimistisch.

[Daria Boll-Palievskaya/russland.NEWS]

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