„Wer die Daten hat, hat die Macht“

Im Rahmen des Sankt Petersburger Internationalen Wirtschaftsforums SPIEF-2016 veranstaltete der Ost-Ausschuss (OA) der Deutschen Wirtschaft ein Rundtischgespräch zu dem politisch unverfänglichen, aber zukunftsträchtigen Thema „Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaften von Deutschland und Russland über die Kooperation in Industrie 4.0“.

Der frühere OA-Chef und heutige Aufsichtsratsvorsitzende der TUI AG, Klaus Mangold, begründete die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit mit Russland bei der Digitalisierung der Wirtschaft nicht zuletzt mit der Notwendigkeit, den eurasischen Wirtschaftsraum  gegenüber den anderen ökonomischen Schwergewichten in der Welt, vor allem den USA, wettbewerbsfähig zu halten. Er hatte auch einige Beispiele für die bereits praktizierte deutsch-russische Kooperation parat, wie die Zusammenarbeit des deutschen Softwareunternehmens SAP mit Gazprom oder auch die Entwicklung eines Super -Computers für das Forschungszentrum in Jülich. Auch die GPS-gesteuerte Arbeit der Claas-Mähdrescher auf den riesigen russischen Feldern.

Für die russische Führung bleibt Deutschland, trotz Sanktionen, der Schlüsselpartner Nummer eins in der technologischen Zusammenarbeit, erklärte Alexander Morosow, stellvertretender Industrie- und Handelsminister Russlands. „Deutschland ist für uns nicht nur der wichtigste Wirtschafts- und Industriepartner. Wir haben es zum großen Teil Deutschland zu verdanken, unsere Industrie tiefgreifend modernisiert zu haben“, erklärte Morosow. Es sei kein Zufall, so betonte er, dass Ausrüstung und Zulieferteile über die Hälfte aller Wareneinfuhren aus Deutschland ausmachten.

Europäische digitale Eigenständigkeit sichern

Der deutsche EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft, Günther Oettinger, verglich die Digitalisierung der Wirtschaft in ihrer Bedeutung mit der Erfindung des Buchdrucks, der Dampfmaschine oder die Entdeckung der Elektrizität und Automatisierung. „Bis zu deren Einführung vergingen ein bis zwei Generationen. Wir werden aber bereits in den nächsten zehn Jahren eine Digitalisierung der gesamten Wirtschaft erleben. „wir brauchen eine europäische Digitalisierung“, forderte der EU-Kommissar.

Die USA wollten eben durch digitale Überlegenheit ihre Vormachtstellung in der Welt sichern und ausbauen. „Wer die Daten hat, hat die Macht“, meinte er mit Blick auf die US- Großunternehmen aus der IT-Branche, wie Google, Apple, Microsoft und Uber. „Google und Apple werden keine Autos bauen, aber sie verkaufen Mobilität und das bringt das Geld. Das Bohren, Schweißen und Zusammenschrauben überlassen sie den Betrieben Wolfsburg, Rüsselsheim, Stuttgart und München.

Wenn wir auch bei der Digitalisierung unsere europäische Eigenständigkeit bewahren wollen, dann geht das nur, wenn wir das gesamte verfügbare Potenzial nutzen, und dazu gehört auf jeden Fall Russland“, mahnte er. Dies betreffe auch das Problem der Datensicherheit, für die gemeinsame Standards geschaffen werden sollten. Konnektivität dürfe nicht an Ländergrenzen haltmachen“ erklärte Oettinger, „deshalb bieten wir Russland die gemeinsame Einführung des 5 G-Standards auf dem 700-Megahertz-Band an, das bislang vor allem nur für militärische Zwecke verwendet wird.“ Wenn Europa nicht reagiere, werde es zwischen der digitalen Supermacht USA und der Eins-zu-Eins-Kopie aus Asien zerdrückt.  „Wir brauchen eine europäische digitale  Strategie, zu der wir auch Norwegen, Russland, die Ukraine, den West-Balkanstaaten oder die Türkei einladen. Dann werden wir unsere Position in der Welt zumindest halten können.“

Anwendungsbeispiele für digitale Technologien in der Produktion gibt es in Russland bereits. Bei Sewerstal, einem der größten russischen Stahlproduzenten, tragen sie dazu bei, die Produktionskosten gegenüber herkömmlichen Verfahren um 20 Prozent zu senken, erläuterte der  Vorstandsvorsitzende des Konzerns, Alexei Mordaschow. Allerdings sei insgesamt der Anteil der Informationstechnologien an der Wirtschaftsleistung mit zweieinhalb Prozent noch zu gering, denn in der Europäischen Union liege er bei fünf Prozent und bei sechs Prozent in den USA. „Der technologische Nachholbedarf Russlands gegenüber Europa von fünf bis sechs Jahren droht zu einem Rückstand von 15 bis 20 Jahren anzuwachsen“, befürchtete Mordaschow.

Jedoch hätten Russland und Deutschland ein enormes Kooperationspotenzial in diesem Bereich und sollten ihre Bemühungen vereinigen. Insofern sei  es sinnvoll und nützlich, wenn die gemeinsame strategische Arbeitsgruppe beider Staaten, die erst kürzlich  wieder ihre Arbeit aufgenommen hat, das Thema Digitalisierung  der Wirtschaft und Industrie 4.0 auf ihre Tagesordnung setzt, betonte der Sewerstal-Manager.

Mit dem tags zuvor unterzeichneten Abkommen zwischen SAP und Gazprom werde die fast dreißigjährige Kooperation auf ein neues Level der Digitalisierung gehoben, machte Hofbauer deutlich. Außerdem biete man russischen Software-Entwicklern und Start-Ups die Nutzung der SAP- Technologie als Plattform an, um eigene industriespezifische Lösungen zu entwickeln. „Aber wir bieten auch russischen Software-Entwicklern an, ihre Lösungen, wie Digital Oilfields, über Russland hinaus zu vermarkten.

Die Linde AG ist das erste Unternehmen, dass in Kürze Carsharing auf der Basis wasserstoffbetriebener Fahrzeuge anbieten wird. „Wir haben dieses Projekt inklusive Software innerhalb eines Jahres aus dem Boden gestampft“, erklärte Konzernchef und Ost-Ausschuss-Vorsitzender Wolfgang Büchele, „weil wir junge Mitarbeiter aus der allgemeinen Arbeitsorganisation herausgenommen und ihnen bei der Entwicklung des Autos, inklusive aller Software-Lösungen freie Hand gelassen haben.“ Denn die eigentliche industrielle Revolution finde im Kopf statt. „Denn die Frage für unser 135 Jahre altes solides Unternehmen ist, ob wir bereit sind, von unserer bisherigen linearen Evolution zur exponentiellen Entwicklung überzugehen. Und  das bedeutet umfassende Digitalisierung.“
(Hartmut Hübner/russland.news)

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