Wechsel an der Spitze der deutschen „linken Denkfabrik“ in Moskau

[Hartmut Hübner] Musik statt Krieg – so war die internationale Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Moskau überschrieben, die gestern den Rahmen bildete für die offizielle Amtseinführung der neuen Leiterin der Filiale in Russland. Kerstin Kaiser nahm das Motto dann auch persönlich und präsentierte sich am Ende der Tagung, begleitet vom deutschen Liedermacher Tino Eisbrenner und dem chilenischen Gitarristen Ernesto Villalobos, als Sängerin mit einer Stimme, die auch außerhalb der Politik hätte Karriere machen können.

Doch sie zog es in die Politik – 16 Jahre lang war die gebürtige Stralsunderin Abgeordnete im Brandenburger Landtag für dieselbe linke Partei mit unterschiedlichen Bezeichnungen, sogar als Fraktionschefin und sie brachte 2009 mit dem damaligen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD) eine rot-rote Koalitionsregierung auf den Weg. In den vergangenen Jahren war sie in der Fraktion als europapolitische Sprecherin aktiv, bis sie sich für die freiwerdende Stelle im Büro der Rosa Luxemburg-Stiftung in Moskau bewarb.

Für die diplomierte Slawistin ist die Tätigkeit in der russischen Hauptstadt praktisch ein Heimspiel, denn ihre universitäre Ausbildung erhielt sie an der staatlichen Universität in Leningrad. „Ich freue mich auf die neue Tätigkeit in einem höchst engagierten Kollektiv“, erklärte sie gestern vor Journalisten in Moskau. Die Vorstandsvorsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Dagmar Enkelmann, bezeichnete es als Ziel einer „linken Denkfabrik“, wie sie die Büros in derzeit 18 Ländern auf vier Kontinenten sieht, gemeinsam mit Partnern im Land durch gesellschaftspolitische Bildung und Kommunikation die Vorzüge einer emanzipierten Zivilgesellschaft sowie einer friedlichen Problemlösung sichtbar zu machen. „Aber wir wollen Russland keine deutschen Rezepte aufzwingen“, betonte Kerstin Kaiser und verwies auf die Schlüsselvorhaben der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Moskau. Dabei geht es beispielsweise um Erfahrungsaustausch zum Thema Konklusion in Russland, um die Unterstützung eines Kunstprojektes zwischen Tschetschenien und St. Petersburg oder auch um die Auswertung der Ergebnisse des Seminars zur weiteren Erforschung sowie zu Problemen der Arktis in St. Petersburg, das die Stiftung mitorganisiert hat.

Nächstes Jubiläum: 100 Jahre Revolution in Russland

Im nächsten Jahr, so kündigte sie an, werde der 100. Jahrestag der Revolution in Russland in ihrem gesamten Verlauf von Februar bis Oktober ein Schwerpunktthema sein. Zugleich stellte sie klar: „Natürlich geht bei unseren Diskussionen und Konferenzen immer um politische Inhalte, aber wir machen als Stiftung keine Politik.“ Sie wies darauf hin, dass die Rosa-Luxemburg-Stiftung, die der Partei DIE LINKE nahesteht, in ihrem juristischen Wesen ein Verein ist, der vom Bundestag finanziert wird und der sich, wie alle anderen parteinahen Stiftungen an das Prinzip der Nichteinmischung in die Angelegenheiten des Gastgeberlandes zu halten hat.

Gegenüber russland.NEWS bestätigte sie, dass die in Moskau vertretenen Stiftungen anderer Parteien im Kontakt miteinander stehen, denn man bearbeite mitunter ähnliche Themen und habe oft dieselben Probleme. Zum Beispiel das russische NGO-Gesetz, das die Zusammenarbeit russischer Staatsbürger und Vereine mit ausländischen Organisationen regelt. „Als parteinahe Stiftung sind wir von dem Gesetz zwar nicht betroffen, aber unsere Partner. Wir leben von unserem föderationsweiten Netzwerk mit derzeit über 100 Partnern und es ist gewiss nicht angenehm, wenn jemand, der mit uns zusammenarbeitet, nach der aktuellen Rechtslage als „ausländischer Agent“ gilt“, monierte sie. Allerdings habe die überwiegende Mehrheit der Partner an der Kooperation mit der Stiftung festgehalten.

Auch Dietmar Bartsch, einer der beiden Fraktionsvorsitzenden der Partei DIE LINKE im Bundestag, betonte die Rolle der Büros der Stiftung im Ausland als Dialogpartner für den Diskurs um gesellschaftliche Zusammenhänge und Alternativen, für die Darstellung der Werte und Ziele der Linken, für das gemeinsame Eintreten gegen Gewalt, Rassismus und Diskriminierung in jeglicher Form. „Ich stehe dazu, dass wir Deutsche auch gegenüber Russland historisch in einer besonderen Verantwortung stehen. Unsere Fraktion war die einzige, die vorschlug, des 75.Jahrestages des Überfalls Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion in besonderer Form zu gedenken. Immerhin haben wir eine so genannte vereinbarte Debatte zu diesem Thema erreicht. Als Putin im Jahre 2001 im Bundestag gesprochen hat, haben ihm die Mitglieder aller Fraktionen applaudiert. Heute wäre das undenkbar. Russland ist heute kein sozialistischer oder kommunistischer Staat. Aber gute Beziehungen zu Russland, das zeigt die Geschichte, waren auch immer im Interesse Deutschlands, wirtschaftlich wie politisch. Dass die russische Führung das ähnlich sieht, zeigt der heutige Besuch von Präsident Putin in der deutschen Schule in Moskau.“ In diesem Kontext sei die Rolle der Rosa-Luxemburg Stiftung in Moskau nicht hoch genug einzuschätzen.
(Hartmut Hübner/russland.NEWS)

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